Am 14.03.2014 hat die Bevölkerung der seit Jahrhunderten russischen Krim in einer Volksabstimmung beschlossen, sich von der in Chaos und wirtschaftlicher Not versinkenden Ukraine zu lösen und um Aufnahme in die Russische Föderation zu bitten.
Klar war, dass dieser Vorgang kontrovers diskutiert werden würde. Aufgabe der Medien wäre es gewesen, die Argumentation der ukrainischen und der russischen Seite wiederzugeben und zu erläutern, damit die Leser sich eine eigene Meinung bilden können.
Stattdessen vollführen die deutschen Medien seit Wochen wieder einmal das sonderbare Schauspiel einer freiwilligen Gleichschaltung. Nicht Information, sondern Meinungsmache scheint das Ziel sämtlicher Redaktionen zu sein.
Die regionalen und überregionalen Zeitungen, alle Nachrichtenmagazine sowie sämtliche Rundfunk- und Fernsehsender verbreiten nur eine einzige Sichtweise. Und die lautet: Putin ist böse – die Chaoten, Oligarchen, Preisboxer und Faschisten vom Maidan sind gut. Putin ist ein Diktator – das Putschistenregime in Kiew besteht aus Demokraten.
Dass viele kluge Leute – wie etwa Michael Gorbatschow, Gerhard Schröder und Helmut Schmidt (russisches Vorgehen „durchaus verständlich“, Sanktionen „dummes Zeug“) – und große Teile der Deutschen dies anders sehen, wird nur am Rande erwähnt.
Putin-Rede entscheidendes Dokument der Zeitgeschichte
Eine entscheidende Bedeutung zum besseren Verständnis der Vorgänge kam der 45-minütigen Rede von Wladimir Putin am 18.03.2014 zu. Einen Tag nach der Volksabstimmung und unmittelbar vor Unterzeichnung eines Abkommens zur Aufnahme der Krim in die russische Föderation erläuterte und begründete der russische Präsident darin ausführlich sein Vorgehen und die Beweggründe.
Im Publikum saßen mehrere Hundert Abgeordnete der Staatsduma, Mitglieder des Föderationsrats, Gouverneure des Landes und Vertreter der Zivilgesellschaft.
Einige Nachrichtensender wie Phoenix übertrugen die Rede in voller Länge und ließen sie simultan verdolmetschen. Die Printmedien und ihre Online-Ableger suchten sich hingegen nur einzelne Bruchstücke heraus und zerpflückten und kommentierten sie im Sinne der herrschenden Meinung.
Dabei ist Putins Vortrag viel aufschlussreicher als das Gerede der selbsternannten Russlandexperten in den fast täglich im deutschen Fernsehen veranstalteten Talkshows. Er beantwortet all die Fragen, über die in den vergangenen Wochen im Westen orakelt wurde.
Roman Bannack übersetzt Rede auf eigene Faust vollständig ins Deutsche
Wie wäre es, wenn man die Rede einfach in voller Länge ins Deutsche übersetzen und den Lesern zur eigenen Meinungsbildung präsentieren würde? Das dachte sich der in Dresden lebende Russischübersetzer Roman Bannack, der in seinem Blog chartophylakeion.de regelmäßig unter anderem russische Zeitdokumente in übersetzer Form präsentiert.
Er übertrug die Rede Putins kurzerhand noch während sie gehalten wurde und überarbeitete sie den ganzen Tag über fortlaufend. Angesichts eines Umfangs von 646 Zeilen (5.179 Wörter) war das kein leichtes Unterfangen.
Bannacks Übersetzung war die erste und bleibt wohl auch die einzige vollständige Übertragung ins Deutsche, was dem Blog in den vergangenen Tagen vermutlich hohe Zugriffszahlen bescherte.
Übersetzer und Theologe in Dresden
Über den biografischen Hintergrund Bannacks schrieb die Sächsische Zeitung 2011 in einem Porträt:
Geboren in Dresden, aufgewachsen in Moskau, der Vater Deutscher, die Mutter Russin. Und das Kind Roman? War in den ersten Lebensjahren ein Staatsbürger der DDR und bereits bewandert in beiden Sprachen. „Russe“, haben sie ihn im deutschen Kindergarten genannt. Und später, als die Familie für einige Zeit das Land wechselte, wurde er in der russischen Schulklasse „Deutscher“ gerufen, manchmal sogar „Faschist“.
Verwirrend fand Bannack das Pendeln zwischen den Welten nie. „Für mich ist es immer ein Geschenk, ein Gewinn gewesen“, sagt er. „Die Möglichkeit, sich von einem Standpunkt zu lösen.“
Heute arbeitet Bannack als allgemein beeidigter und öffentlich bestellter Dolmetscher und Übersetzer für die russische Sprache. Darüber hinaus engagiert sich der studierte Theologe als Lektor in der russisch-orthodoxen Gemeinde Dresdens.
Weiterführender Link
- Vollständige Übersetzung der Putin-Rede ins Deutsche: www.chartophylakeion.de/blog/2014/03/18/putins-rede-zum-beitritt-der-krim
[Text: Richard Schneider. Quelle: chartophylakeion.de, 2014-03-18. Sächsische Zeitung, 2011-01-09. Bild: Presse- und Informationsamt des Präsidenten der Russischen Föderation. Die Fotos zeigen Wladimir Putin am 18.03.2014 bei der Rede zum Beitritt der Krim.]