Die Universitätskliniken in Genf haben unter dem Titel „Mit anderen Worten – Dolmetschen in Behandlung, Beratung und Pflege“ einen mit 60 Seiten recht umfangreichen Leitfaden für Krankenhausbedienstete und Dolmetscher herausgegeben.
Chefarzt Prof. Dr. med. Hans Stalder schreibt dazu im Vorwort:
Das Gespräch ist die Grundlage jeder zwischenmenschlichen Beziehung. Ganz besonders gilt dies für das Verhältnis zwischen Ärzten oder Pflegepersonal und ihren Patienten. Was aber, wenn der andere unsere Sprache nicht beherrscht?
Oft greift das Pflegepersonal dann auf nonverbale Kommunikationsmittel zurück. Besonders häufig geschieht dies auf der Notfallstation, wenn Beschwerden als irgendwelche Schmerzen angedeutet werden. Dabei wird übersehen, dass in fremden Kulturen nicht nur andere Sprachen gesprochen werden, sondern zuweilen auch Mimik und Gesten eine andere Bedeutung haben.
Wer sich dessen bewusst ist, bemüht sich in der Regel, einen »Übersetzer« zu finden, etwa einen Freund des Patienten, einen Angehörigen oder einen Mitarbeiter aus dem Spital. Dieser Notbehelf kann dazu beitragen, Verständnisprobleme zu lösen und ist in bestimmten Situationen durchaus hilfreich.
Häufig reicht eine wörtliche Übersetzung jedoch nicht aus, da bestimmte Worte in verschiedenen Kulturen unterschiedliche Bedeutung haben. Zudem ist die Rolle des Ad-hoc-Dolmetschers heikel, wenn es sich um die Intimsphäre des Patienten handelt oder politische und gesellschaftliche Zusammenhänge mitspielen.
Für die Verständigung zwischen Pflegendem und fremdsprachigem Patienten ist deshalb eine blosse Wort-für-Wort-Übersetzung ohne Rücksicht auf die tiefere Bedeutung einer Aussage, sowie das politische und kulturelle Umfeld des Patienten in der Regel ungenügend.
Als aussenstehender Dritter ist ein guter Dolmetscher »Mittler« der erschwerten Beziehung zwischen Pflegendem und Patienten. Dolmetschen bedeutet dann nicht nur, eine Sprache zu übersetzen, sondern eine andere Kultur einfühlbar zu machen, den Sinn der Worte zu erfassen, kurz: Fürsprecher des anderen zu sein.
Als Mittler steht der Dolmetscher zwischen den Gesprächspartnern. Er nimmt eine schwierige, jedoch ausgesprochen wichtige Stellung ein.
Aus dem Dialog wird in seiner Anwesenheit gewissermassen ein »Trialog«. Die Kommunikation im Dreieck, bei gleichzeitiger Verwendung zweier Sprachen, ist eine grosse Herausforderung und muss sowohl von den Pflegenden als auch von den Dolmetschern erlernt und eingeübt werden.
Dieser Leitfaden verfolgt somit ein zweifaches Ziel:
• den Pflegenden zu helfen, ein Gespräch im Dreieck zu führen und zu erfassen, was und wie die dritte Person, die Dolmetscherin (der Dolmetscher), zum besseren Verständnis des Patienten beitragen kann;
• der Dolmetscherin (dem Dolmetscher) zu helfen, sich als Mittler in das Gespräch einzufügen.
Die Verfasser dieses Leitfadens können aus einem grossen Erfahrungsschatz schöpfen, den sie in zahlreichen Gesprächen mit Patienten aus fremden Kulturen gesammelt haben. Auf konkrete und leicht verständliche Weise behandeln sie ein häufig vernachlässigtes Thema, das in neuerer Zeit, wo viele freiwillig reisen oder unfreiwillig auswandern, zunehmende Bedeutung erhält.
Der Leitfaden ist bereits im Jahr 2000 erschienen, aber nach wie vor aktuell und für alle diejenigen interessant, die sich für das Thema Community Interpreting interessieren. Er kann als PDF-Datei auf der Website der Uniklinik Genf heruntergeladen werden.
[Text: Richard Schneider. Quelle: Hôpitaux Universitaires de Genève, Département de Médecine Communautaire. Bild: Richard Schneider.]