„Eigentlich begann der Freitag, 25.09.2015, wie viele in der letzten Zeit“, heißt es in einer Pressemitteilung der Bundespolizeiinspektion Dresden. Doch dann ereignete sich eine schicksalhafte Begegnung:
Bei der Bundespolizeiwache im Hauptbahnhof Dresden meldete sich eine 27-jährige Syrerin mit den Worten „Help me“.
Die Frau wurde routinemäßig zur polizeilichen und asylrechtlichen Bearbeitung zur Dienststelle in der Schweizer Straße gebracht, ein Dolmetscher angefordert und die Registrierung durchgeführt.
Doch als der Arabisch-Dolmetscher N. Amairi eintraf, war plötzlich alles anders. Schon als er die Dienststelle betreten habe, berichtet er später, habe er „ein seltsames Gefühl“ gehabt: „Da war etwas anders als sonst.“
Und als er dann den Vernehmungsraum betrat, erkannte er seine Schwester, die er zuletzt vor vier Jahren bei der Beerdigung ihres Vaters gesehen hatte. Beide umarmten sich überglücklich. Die zunächst verdutzten Beamten staunten nicht schlecht, als der Dolmetscher ihnen die Situation erklärte.
„Es war eine bewegende Szene“, so die Bundespolizisten. Und Dolmetscher Amairi ergänzt: „Als ich die Nachricht an meine Mutter und meine Familie übermittelte, wollten alle sofort zur Dienststelle der Bundespolizei gekommen. Aber ich habe gesagt, dass wir später gemeinsam nach Hause dürfen“.
Bruder und Schwester wurde etwas Zeit eingeräumt, bevor die polizeilichen und asylrechtlichen Maßnahmen durchgeführt wurden. Außerdem wurde ein neuer Dolmetscher bestellt, da allen klar war, dass der letzte glückliche Moment mit seiner Schwester, für Herrn Amairi schon viel zu lange her war.
„Dieser bewegende Moment wird sich noch lange in den Köpfen der Bundespolizisten in Dresden halten“, so die Bundespolizei in ihrer Pressemitteilung über das Ereignis.
Frau Amairi wohnt inzwischen bei ihrem Bruder.
Die Vorgeschichte
N. Amairi (46) kam als ältester von 7 Geschwistern bereits 1988 nach Deutschland. In diesem Jahr wurde seine jüngste Schwester geboren. Ab 1989 studierte er in Dresden Wirtschaftsinformatik und lebt seitdem in der Landeshauptstadt. Ab 1998 war Amairi als Dolmetscher für den Bundesgrenzschutz und nach der Umbenennung weiterhin für die Bundespolizei tätig.
Seine Angehörigen verblieben in Damaskus/Syrien, aber der Kontakt blieb immer bestehen. Auch als 2011 die Situation in seinem Heimatland eskalierte und er im Dezember aus den Nachrichten erfuhr, dass der elterliche Wohnblock nach heftigen Bombardierungen völlig zerstört worden war. Die Angehörigen kamen zunächst in der Nähe von Damaskus unter.
Die Situation in Syrien wurde jedoch immer prekärer, seine Geschwister hatten „genug mit sich selbst zu tun“ und so überlegte Amairi, wie er seine Mutter und seine jüngste Schwester auf legalem Wege nach Deutschland holen konnte. Aufgrund der deutschen Bestimmungen musste er sich jedoch entscheiden – entweder für seine 26 Jahre alte Schwester oder seine mittlerweile erkrankte Mutter. Die schwere Entscheidung fiel auf seine Mutter.
Seine Schwester hielt sich weiterhin „über Wasser“ und arbeitete so gut es ging in ihrem Beruf als Computerfachfrau. Nachdem der Bereich um Damaskus komplett durch Militär gesperrt wurde, entschied sich die Schwester ebenfalls, sich auf den Weg nach Europa zu machen. „Es war einfach nicht mehr sicher“ schilderte Frau Amairi.
Sie nutzte wie Tausende andere ebenfalls die Ostbalkanroute und gelangte von der Türkei über Griechenland, Mazedonien, Serbien, Ungarn und Österreich nach Deutschland. Während der gesamten Flucht nutzte die gelernte Computerspezialistin alle Möglichkeiten, um mit ihrem Bruder in Kontakt zu bleiben.
Doch nachdem Sie Österreich erreicht hatte, war plötzlich „Funkstille“. Über mehrere Tage gab es kein Lebenszeichen mehr. Dolmetscher Amairi: „Ich wollte noch 24 Stunden warten und dann eine Vermisstenanzeige aufgeben. Ich habe sogar befreundete Dolmetscher angerufen, aber niemand hatte etwas gehört!“
[Text: Bundespolizei Dresden, leicht überarbeitet von Richard Schneider. Quelle: Pressemitteilung Bundespolizei Dresden, 2015-10-08. Bild: Bundespolizei Dresden.]