Übersetzungsgerecht übersetzen? Sieben Tipps aus der Praxis

Man könnte von einer Schicksalsgemeinschaft sprechen. Redakteure und Übersetzer sind aufeinander angewiesen, um die Unternehmensdokumentation in guter Qualität für den globalen Markt zu produzieren.

Die heutigen industriellen Prozesse bei der Dokumentationserstellung basieren auf Modularität, Standardisierung und Wiederverwendung von Inhalten mithilfe von Redaktionssystemen oder Translation-Memory-Systemen. Ohne diese Verfahren und Technologien wäre die heutige Menge an Informationen für die unterschiedlichsten Medien und Plattformen nicht vorstellbar.

Technische Redakteure sollen übersetzungsgerecht schreiben, aber tun das auch die Übersetzer?

Seit Jahren wird Redakteuren eingetrichtert, dass sie übersetzungsgerecht schreiben sollen. Interessanterweise hat sich aber bisher kaum jemand mit der Frage befasst, ob Übersetzungen ebenfalls übersetzungsgerecht formuliert werden.

Die Frage ist gar nicht so abwegig, denn für Übersetzungen gelten genau dieselben Zwänge wie für die Ausgangsdokumentation. Eine übersetzungsgerechte Ausgangsdokumentation führt nicht automatisch zu einer übersetzungsgerechten Übersetzung.

Die heutigen Produktionsprozesse setzen sehr stark auf Wiederverwendung und diese wiederverwendbaren Einheiten sind in der Regel kleiner als bei Redaktionssystemen. Es sind Segmente (meistens Sätze), die ganz oder teilweise (sog. Fuzzy-Matches) aus einem Übersetzungsspeicher genommen und in die Übersetzung eingefügt werden.

Module oder Bausteine aus Redaktionssystemen liefern immerhin noch einen kleinen Kontext; Segmente aus Translation-Memory-Systemen hingegen selten. Bei ihrer Wiederverwendung ist man mehr denn je auf Eindeutigkeit angewiesen.

Übersetzer, die nicht ähnliche Regeln befolgen, produzieren Missverständnisse und Sinnfehler

Wenn der Übersetzer sich nicht an ähnliche Regeln wie die für Redakteure geltenden hält, kann seine Übersetzung in einem anderen Zusammenhang missverstanden werden oder Sinnfehler enthalten.

Sehr oft werden vorhandene Übersetzungen unkontrolliert übernommen, etwa weil sie für die Bearbeitung gesperrt sind oder gar nicht an den Übersetzer weitergegeben werden. Dass dies bei kontextrelevanten Inhalten bzw. bei Terminologieaktualisierungen zu Fehlern führen kann, liegt auf der Hand.

Wer übersetzungsgerecht übersetzen möchte, muss auf folgende Punkte achten:

(1) Kontextabhängige Pronomen vermeiden

Probleme entstehen, wenn der Übersetzer kontextabhängige Pronomen (ihn, sein, diesen…) verwendet, ohne dass das Bezugswort im Satz steht. Beispiel:

  • Deutsch: „Auf Verschleiß prüfen, ggf. austauschen.“
  • Französisch: „Contrôler l’usure, le remplacer si nécessaire.“

Es gibt u. a. in romanischen Sprachen mehrere Möglichkeiten, das Pronomen zu übersetzen, je nachdem, welches Genus das Bezugswort hat. Das männliche „le“ ist in diesem Beispiel einfach überflüssig.

(2) Oberbegriffe vermeiden

Was für Redakteure gilt, gilt gleichermaßen für Übersetzer. Wenn ein Übersetzer einen breiter gefassten Begriff als in der Ausgangssprache einsetzt, riskiert er, dass seine Übersetzung in einem anderen Kontext falsch verwendet wird.

So kann er nicht davon ausgehen, dass allgemeine Begriffe wie „unit“, „container“ usw. in jedem Zusammenhang passen. In manchen Fällen verlangt die Situation eine mindestens so präzise Aussage wie in der Ausgangssprache, um das Produkt richtig zu bedienen. Beispiel:

  • Deutsch 1: „Kasten austauschen.“ (z. B. Luftfilterkasten)
  • Deutsch 2: „Behälter ersetzen.“ (z. B. Tonerbehälter)
  • Englisch: „Replace the box.“ (englische Übersetzung mehrdeutig)

(3) Präziser übersetzen

Umgekehrt wählt ein Übersetzer manchmal für einen Begriff der Ausgangssprache eine enger gefasste Übersetzung, weil in seiner Sprache deutlicher differenziert werden muss. Nicht immer lassen sich solche Situationen vermeiden, weil die Begriffssysteme der betroffenen Sprachen nie vollständig übereinstimmen. Das kommt u. a. bei Begriffen vor, die implizite Handlungen enthalten. Beispiel: „Spannvorrichtung“ = „clamping device“ oder „tensioning device“, je nach Verfahren.

(4) Uneinheitliche Formulierungen vereinheitlichen

Zwar erkennt ein Übersetzer oft, dass eine Aussage im Ausgangstext trotz zweier oder mehrerer Varianten dieselbe ist und setzt dafür richtigerweise dieselbe Übersetzung ein.

Aber der umgekehrte Fall kann auch eintreten, vor allem wenn unterschiedliche Dienstleister sich eine Sprache teilen und die Translation-Memorys nicht gemeinsam benutzen. Dann sieht man wie im folgenden Beispiel immer wieder unterschiedliche Übersetzungen für die gleiche Aussage:

  • Version 1: „Check the acoustic signal output regularly“
  • Version 2: „Periodically check the acoustic signal output“

Diese Formulierungsvarianten erscheinen u. a. bei Anweisungen, die je nach Sprache teils im Imperativ, teils im Infinitiv vorkommen (Italienisch: „apra la valvola“ oder „aprire la valvola“).

(5) Unnötige Synonyme vermeiden

Angesichts der heutigen Übersetzungsprozesse ist es umso wichtiger, unnötige Synonyme zu vermeiden. Das ist eine der häufigsten Ursachen für Übersetzungsvarianten in Translation-Memorys. Das gilt insbesondere für wichtige, oft verwendete Termini oder Verben: z. B. „kontrollieren“ und „(über)prüfen“, „check“ und „verify“, „speichern“ und „sichern“ usw…

(6) Uneinheitliche Schreibweise vereinheitlichen

Wenn der Übersetzer Fachwörter inkonsistent schreibt, führt es genauso wie bei den Ausgangstexten zu Problemen bei der Erkennung von Terminologie durch Qualitätssicherungsprogramme. Ein typisches Beispiel von unnötigen Übersetzungsvarianten ist: „setup mode / set-up mode“.

Während Firmen bereits einiges für die Produktion standardisierter und wiederverwendbarer Ausgangstexte unternommen haben, scheint das Thema der Wiederverwendbarkeit von Übersetzungen noch nicht auf dem Radarbildschirm zu stehen.

Man darf die Auswirkung von nicht übersetzungsgerechten Übersetzungen nicht unterschätzen. Solche Übersetzungen verursachen Qualitätsverluste und zusätzliche Kosten.

Sie kommen insbesondere dann vor, wenn Unternehmen mit vielen Dienstleistern zusammenarbeiten und weder Qualitätsstandards definieren, noch auf qualitätsgeprüfte und gemeinsam genutzte Translation-Memorys achten. Somit verpuffen die Einsparungen, die angeblich durch den ständigen Vergleich von Projektangeboten erzielt werden. Die Reparatur von Inkonsistenzen und Fehlern oder die Bearbeitung von Reklamationen sind die Folgen.

(7) Qualitätsbewusste Übersetzungsdienstleister beauftragen

Auftraggeber, die über kein internes Übersetzungsmanagement mit all dem, was es beinhaltet (Ressourcen und Knowhow, Technologien, Qualitätssicherungsprozesse), verfügen, fahren auf jeden Fall besser und sicherer, wenn sie einen oder wenige qualitätsbewusste Übersetzungsdienstleister einsetzen, die übersetzungsgerecht übersetzen und ihre Translation-Memorys und Terminologie mithilfe geeigneter Technologien wie ErrorSpy pflegen.

[Text: D.O.G. Dokumentation ohne Grenzen GmbH. Quelle: D.O.G.news 02/2016. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Dr. François Massion.]