Prüfungsordnungen sind ein Spiegel der Zeitgeschichte und der sich wandelnden Anforderungen an Übersetzer und Dolmetscher. Bei einem Online-Antiquariat hat UEPO.de ein Exemplar aus dem Jahr 1937 für das damalige Dolmetscher-Institut (DI) der Universität Heidelberg entdeckt und erstanden. Es enthält die folgenden Prüfungsordnungen:
- Ordnung der Fachprüfung für akademisch geprüfte Übersetzer
- Ordnung der Diplomprüfung für Dolmetscher
Anmeldung zur Prüfung nur mit Abstammungsnachweis und Führungszeugnis
Für die Anmeldung zur Prüfung musste ein Abstammungsnachweis und ein polizeiliches Führungszeugnis eingereicht werden.
Die Berechtigung zum Führen der Bezeichnung Akademisch geprüfter Übersetzer und des Grades Diplom-Dolmetscher konnten nachträglich entzogen werden, „wenn sich der Inhaber durch sein späteres Verhalten des Führens dieser Bezeichnung unwürdig erwiesen hat“.
In den Prüfungsausschüssen wurde folgenden Personen bzw. den von ihnen entsandten Vertretern ein Platz als Beisitzer eingeräumt:
- Leiter der Reichsfachschaft für das Dolmetscherwesen, RfD (Otto Monien)
- Leiter des Sprachendienstes im Auswärtigen Amt (Paul Gautier)
Im Jahr 1939 war das Dolmetscher-Institut das zahlenmäßig bestbesuchte nichtmedizinische Institut der Universität Heidelberg. Im Gegensatz zu allen anderen Einrichtungen der Universität führte das DI seinen Betrieb über die gesamte Kriegszeit fort (1939 bis 1945). Denn die Ausbildung von Übersetzern und Dolmetschern wurde als „kriegsrelevant“ eingestuft.
Knapp ein Jahr nach Eingliederung in die Universität, im Wintersemester 1934/35, waren lediglich 84 Studierende eingeschrieben. Im Sommersemester 1943, also mitten im Zweiten Weltkrieg, belief sich deren Zahl hingegen auf 643. Das ist mehr als eine Versechsfachung der Einschreibezahlen innerhalb von neun Jahren.
Interessantes Dokument der Zeitgeschichte
Nachfolgend veröffentlichen wir die Prüfungsordnung. So ist sie für diejenigen auffindbar, die zur Geschichte der Berufsgruppe oder der Institute forschen. (Verweise auf UEPO-Artikel finden sich in einer ganzen Reihe von Seminar- und Abschlussarbeiten sowie Dissertationen der letzten beiden Jahrzehnte.)
Das Heft umfasst 16 Seiten und hat im Original die Abmessungen 14,1 x 20 cm. Die Seiten 2, 14 und 15 sind unbedruckt und werden hier nicht wiedergegeben.
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Auf der obigen Seite handschriftlich in Sütterlin hinzugefügt: „zu [Punkt] d[:] Geographie, Geschichte oder Litteratur [sic] des Landes, dessen Sprache als Hauptfach gewählt wird.“
Über das Heidelberger Institut für Übersetzen und Dolmetschen
Das heutige Institut für Übersetzen und Dolmetschen (IÜD) wurde 1929 an der Handelshochschule Mannheim als Dolmetscher-Institut (DI) gegründet. Nach der Auflösung der Handelsschule im Jahr 1933 wurde es in die philosophische Fakultät der Universität Heidelberg eingegliedert. Es ist damit zwar nicht die älteste, aber die älteste heute noch bestehende Ausbildungseinrichtung für Übersetzer und Dolmetscher in Deutschland.
Die älteste Ausbildungseinrichtung für Übersetzer und Dolmetscher im deutschsprachigen Raum ist die 1754 von Maria Theresia in Wien gegründete Kaiserlich-königliche Akademie der Orientalischen Sprachen. An ihr wurden Dolmetscher für den Handel und den diplomatischen Dienst ausgebildet. Die institutionalisierte Dolmetscherausbildung im deutschsprachigen Raum ist damit 265 Jahre alt.
Das heute noch in Wien als Diplomatische Akademie bestehende Institut legt nach wie vor viel Wert auf eine intensive Fremdsprachenschulung, versteht sich aber nicht mehr als Ausbildungsstätte für Sprachmittler.
In Preußen ließ Bismarck ab 1887 am Seminar für orientalische Sprachen der damaligen Königlichen Friedrich-Wilhelm-Universität Berlin (später Humboldt-Universität) Dragomane (Dolmetscher) für das Auswärtige Amt ausbilden.
Über die Universität Heidelberg
Die 1386 gegründete Heidelberger Universität gilt heute als älteste Hochschule Deutschlands. Im damaligen Heiligen Römischen Reich deutscher Nation wurden jedoch lange vorher bereits zwei andere Universitäten gegründet, nämlich in Prag (1348) und in Wien (1365).
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[Text: Richard Schneider.]