Kinder und Jugendliche, die aus ihrer Heimat in ein anderes Land ziehen, stehen vor großen Herausforderungen. Sie müssen sich nicht nur an fremde Gepflogenheiten gewöhnen, sondern meist zusätzlich zu ihrer Muttersprache eine zweite Sprache lernen.
In Deutschland gibt es dafür an den meisten Schulen Willkommensklassen mit speziell ausgebildeten Lehrkräften. „Für den Start können diese Klassen ein probates Mittel sein“, sagt Prof. Dr. Christine Czinglar von der Universität Jena. „Nach kurzer Zeit sollte jedoch der Übergang in Regelklassen erfolgen, wo insgesamt mehr Deutsch gesprochen wird.“
Wie unbegleitete Minderjährige die deutsche Sprache lernen, hat die neue Professorin für Deutsch als Fremd- und Zweitsprache intensiv erforscht.
Analphabetismus und fehlende Vorbildung
Christine Czinglar zufolge stellt der fehlende Bildungshintergrund vieler Jugendlicher eine große Hürde beim Erlernen des Deutschen dar. „Viele können nicht nur nicht richtig lesen und schreiben“, sagt die gebürtige Österreicherin. „Wenn sie in ihrer Heimat nicht unterrichtet wurden, fehlt auch das Metawissen darüber, wie Schule und Lernen ganz allgemein funktionieren.“
Test zur Bestimmung der Lese- und Schreibfähigkeiten in Dari entwickelt
Aufgrund der oftmals traumatischen Fluchtsituation sei es für das Lehrpersonal nicht immer einfach zu erkennen, wie viel von diesem Wissen vorhanden ist.
Czinglar hat deswegen gemeinsam mit einer ihrer Masterstudentinnen das Testinstrument „Lit-L1-L2“ konzipiert, mit dem sich die Lese- und Schreibfähigkeiten auch in der Erstsprache Dari – einer Amtssprache in Afghanistan – bestimmen lassen. Das Instrument will sie an der Universität Jena weiterentwickeln.
Strukturelle Unterschiede zwischen Sprachfamilien
Außerdem geht Prof. Czinglar der Frage nach, welche grammatikalischen Besonderheiten für die Jugendlichen zu Stolpersteinen werden. „Die Verben des Deutschen sorgen für Verwirrung, weil sie in Haupt- und Nebensatz an unterschiedlichen Stellen stehen“, erklärt die Sprachwissenschaftlerin.
Gewöhnungsbedürftig seien auch Häufungen von Konsonanten, etwa in dem Wort „Strumpf“, die in den meisten Sprachen nicht üblich sind. Die Forschung dürfe daher nicht nur die deutsche Sprache im Blick haben, sondern müsse auch die Herkunftssprachen berücksichtigen.
„Arabisch wird zum Beispiel von rechts nach links gelesen und nach ganz anderen Prinzipien verschriftlicht als das Deutsche. Solche strukturellen Unterschiede haben neben anderen Faktoren wie dem Alter, der Motivation und der Bildung auch einen Einfluss darauf, wie schnell jemand Deutsch lernt.“
Österreicherin Czinglar arbeitete fünf Jahre in Ungarn
Christine Czinglar weiß aus eigener Erfahrung, dass der Zweitspracherwerb auch mit großen Anstrengungen verbunden sein kann. Sie wuchs im österreichischen Vorarlberg auf, wo sie als Kind neben der Standardsprache einen alemannischen Dialekt lernte, der im restlichen Österreich nicht vorkommt.
Nachdem sie an der Universität Wien allgemeine Sprachwissenschaft studierte, ging sie für fünf Jahre nach Ungarn und arbeitete als Lektorin für den Österreichischen Austauschdienst. Dort lernte Czinglar die ungarische Sprache, die sich in Wortschatz und Grammatik stark von den indogermanischen Sprachen unterscheidet, die man üblicherweise bei uns als Fremdsprachen spricht.
Nachdem sie in Wien über das Thema Altersfaktor im Zweitspracherwerb promovierte, folgte der Umzug in die Mitte Deutschlands: Zunächst forschte und lehrte sie als Juniorprofessorin an der Universität Kassel, bevor sie nun nach Jena kam.
Nächstes Projekt: Sprach- und Schrifterwerb von Erwachsenen
In Jena hat sich Christine Czinglar bereits gut eingelebt. „Besonders gefällt mir, dass es hier so viele internationale Studierende gibt“, sagt die Sprachforscherin. In der Lehre will sie die Studierenden nicht nur unterrichten, sondern aktiv in die Forschung einbinden. Zum Beispiel in ihrem nächsten Projekt, das den Sprach- und Schrifterwerb von Erwachsenen untersuchen wird.
[Text: Christine Czinglar / Till Bayer. Quelle: Pressemitteilung Universität Jena, 2019-12-09.]