Corona-Soforthilfen: VGSD schickt Brandbrief an Wirtschaftsminister Altmaier

Peter Altmaier, VGSD
Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ist das dienstälteste Mitglied im Kabinett Merkel. Der Saarländer spricht fließend Englisch, Französisch und Niederländisch und gilt als gesprächsbereit und Sachargumenten gegenüber aufgeschlossen. - Bild: Steffen Kugler / BPA

Allmählich kristallisiert sich heraus, dass die von der deutschen Bundesregierung in bewundernswerter Geschwindigkeit aufgelegten Soforthilfen für Solo-Selbstständige nicht zur Deckung des Lebensunterhalts verwendet werden dürfen.

Sie sind stattdessen ausschließlich für berufsbedingte Ausgaben gedacht. Und dies auch nur dann, wenn der Liquiditätsengpass auf die staatlichen Maßnahmen zur Stillegung der Wirtschaft zurückzuführen und erst ab März 2020 aufgetreten ist.

Die berufsbedingten Fixkosten sind bei Übersetzern und Dolmetschern aber vergleichsweise gering. Wirtschaftskrisen machen sich in erster Linie und umgehend im Privaten bemerkbar, sodass dann zum Beispiel die Miete für die Wohnung (die gleichzeitig Betriebsstätte ist) nicht mehr gezahlt werden kann.

Die Vorgabe zur Verwendung der Mittel geht an der Berufs- und Lebenswirklichkeit von Einzelunternehmern vorbei. Beruf und Privatleben lassen sich bei Solo-Selbstständigen nicht trennen – auch nicht finanziell.

Andreas Lutz, der Vorsitzende des Verbandes der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD) hat deshalb heute den unten wiedergegebenen offenen Brief an Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier geschickt.

In der 2017 vom VGSD angeregten Bundesarbeitsgemeinschaft Selbstständigenverbände (bagsv) engagieren sich auch die Übersetzerverbände BDÜ und ATICOM sowie der Verband der freien Lektorinnen und Lektoren (VFLL).

Andreas Lutz
Der promovierte Diplom-Kaufmann Andreas Lutz hat 2012 den VGSD gegründet und ist seitdem dessen Vorstandsvorsitzender. – Bild: Thomas Dreier

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Offener Brief des VGSD an Wirtschaftsminister Altmaier

15.05.2020

Sehr geehrter Herr Bundesminister Altmaier,

lassen Sie uns bitte nicht länger im Regen stehen!

Wir sind drei Millionen Solo-Selbstständige und Kleinstunternehmen mit bis zu zehn Mitarbeitern. Drei von vier Millionen Unternehmen in Deutschland. Wir zahlen unsere Steuern in Deutschland. Wir sind das Rückgrat der Wirtschaft, sorgen für Vielfalt in den Städten und für das kulturelle Leben. Wir stehen für Wettbewerb, Innovation und jeden dritten neuen Job in Deutschland.

Zu Beginn der Corona-Krise haben Sie uns Hoffnung gemacht. Sie haben klargestellt, dass wir kleinen Unternehmen von der Krise ganz besonders betroffen sind, und wir Ihre Unterstützung verdienen. Das ist richtig, denn die aktuelle Situation ist nicht auf schlechtes Wirtschaften zurückzuführen, sondern auf einen Virus. Um die Gesundheit Aller zu schützen, hat die Bundesregierung in nie dagewesener Art und Weise unsere Berufsausübung eingeschränkt.

Diejenigen von uns mit eigenen Büros, Läden und Praxen habe diese abgeschlossen, oft mit Tränen in den Augen. Ohne zu zögern waren wir alle bereit, Verantwortung zu übernehmen. Wir haben alle persönlichen Interessen zurückgestellt und einen großen Teil der Lasten geschultert, die mit dem Lockdown verbunden waren.

Die Corona-Maßnahmen dienen dem Schutz aller. – Sie dürfen uns mit dem ausgelösten Schaden nicht alleine lassen

Die ergriffenen Maßnahmen dienen dem Schutz der Gesundheit Aller. Der dadurch ausgelöste enorme wirtschaftliche Schaden ist eine Gemeinschaftsaufgabe. Wir sind bereit, einen Teil dieser Last zu schultern. Aber Sie dürfen uns nicht damit alleine lassen.

  • Sie haben uns, werbewirksam, einen Schutzschirm von 50 Milliarden Euro zugesagt. Dieser Betrag würde uns auch wirklich weiterhelfen. Warum aber spannen Sie diesen Schirm in unserem Fall nicht auf? Sondern lassen ihn bis heute, gut drei Monate nach der Erklärung des Pandemiefalles, zu drei Vierteln geschlossen? Warum lassen Sie uns ganz überwiegend im Regen stehen?
  • Warum verknüpfen Sie Ihre „Soforthilfe“ mit Bedingungen, die dazu führen, dass die Bundesländer – gegen ihren ausdrücklichen Willen – nur einen kleinen Teil der tatsächlichen Kosten der Solo-Selbstständigen übernehmen dürfen? (Während die Hilfen bei kleinen Unternehmen, die Mitarbeiter beschäftigen, meist nur einen Tropfen auf den heißen Stein darstellen.)
  • Warum nehmen Sie uns die Möglichkeit, unser Geld selbst zu verdienen und verweisen uns dann zur Deckung unseres Existenzminimums auf Hartz IV – statt sich, wie versprochen, schnell und unbürokratisch an den im Interesse der Allgemeinheit herbeigeführten Schäden, zumindest teilweise, zu beteiligen? Damit wir nicht nur laufende Betriebskosten (die vielen Soloselbstständigen im Home-Office kaum entstehen), sondern auch ansatzweise Kosten für die Lebensführung decken können?
  • Warum lassen Sie es zu, dass Bundesmittel in jedem Bundesland und je nach Antragszeitraum nach ganz unterschiedlichen Bedingungen vergeben werden? So dass Rechtsunsicherheit, Ungerechtigkeiten und Wettbewerbsverzerrungen programmiert sind? Steht das nicht im Widerspruch zu Ihren Aufgaben als Wirtschaftsminister?
  • Warum lassen Sie zu, dass wir als Leistungsträger der deutschen Wirtschaft in Hartz IV gedrängt werden? Mit der absehbaren Konsequenz, dass später behauptet wird, wir seien ja qua Selbstständigkeit prekär – und der Folge, dass wir dann künftig mit noch mehr Abgaben und Bürokratie gegängelt werden?

Warum machen Sie öffentliche Versprechungen, die dann im Stillen einkassiert werden?

  • Warum machen Sie gemeinsam mit Ihren Ministerkollegen in der Öffentlichkeit Ankündigungen, die dann im Stillen wieder einkassiert werden?
  • Warum versprechen Sie vor den Medien, es gäbe sechs Monate lang keine Vermögensprüfung bei der Grundsicherung? Um dann eine kleinteilige Prüfung zu etablieren, die dazu führt, dass Selbstständige und ihre Familien kurz vor der Rente ihre Altersvorsorge aufbrauchen müssen, statt unbürokratisch Hilfe zu erhalten?
  • Warum sprechen Sie öffentlich von einer vereinfachten Antragstellung, die dann bei den betroffenen Selbstständigen inklusive der Anlagen 100 Seiten und mehr umfasst – spätere Prüfungen und Nachweise noch nicht eingeschlossen?
  • Warum lassen Sie zu, dass ein Großteil der zuständigen Stellen noch nicht einmal diese „vereinfachte Prüfung“ praktiziert?
  • Warum vergeben Sie Hilfen nicht einheitlich über die Finanzämter (denen, als einzige Behörde, alle Selbstständigen bekannt sind und die wissen was diese verdienen) – und etablieren stattdessen einen Zuständigkeitswirrwarr, der zu schier unvorstellbarerer Bürokratie führt und eine Einladung an Betrüger ist?
  • Warum handeln Sie nicht, wenn Ihre Ministerkollegen aus allen 16 Bundesländern Ihnen gemeinsam schreiben, dass die so ausgestalteten Hilfen an den Bedürfnissen der Betroffenen vorbei gehen und nicht bei ihnen ankommen?

Ist EIN Unternehmen Ihnen wichtiger als drei Millionen andere?

  • Warum lassen Sie einen solchen Brief Ihrer Ministerkollegen seit dem 8. April, also seit mehr als fünf Wochen, unbeantwortet? Obwohl es um das Schicksal von Millionen Selbstständigen und ihren Angehörigen geht?
  • Warum ignorieren Sie die zahlreichen Erinnerungen der Minister, die Briefe verschiedenster Fachpolitiker sowie zahlloser Betroffener?
  • Warum behandeln Sie in Talkshows die Anliegen von Soloselbstständigen beiläufig (um nicht zu sagen abschätzig)? Um dann im nächsten Moment Hilfen für die Automobilindustrie wortreich zu verteidigen?
  • Zählen unsere drei Millionen Existenzen, die Arbeitsplätze, die wir schaffen, unsere Familienangehörigen und die unserer Mitarbeiter weniger als die Arbeitsplätze in der Großindustrie?
  • Warum verhandeln Sie wochenlang über Hilfen für EIN Unternehmen und überlassen die anderen ihrem Schicksal?
  • Warum wollen Sie einem einzigen Unternehmen fast genau so viel Hilfe zukommen lassen wie drei Millionen anderen Unternehmen zusammen?
  • Wann werden Sie für die deutsche Wirtschaft in ihrer ganzen Breite handeln?

Sie merken es dem Ton dieses Briefes an: Wir sind tief enttäuscht darüber, wie Sie mit uns umgehen.

Lauter Protest entspricht eigentlich nicht unserem Stil. Wir lamentieren für gewöhnlich nicht, sondern krempeln die Ärmel hoch und machen uns an unsere Arbeit. Denn unsere Arbeit ist unser ganzer Stolz. Wir übernehmen Verantwortung. Wir halten uns an unsere Zusagen. Daran werden wir gemessen.

Wir erwarten von Ihnen, dass auch Sie sich an Ihre Zusagen halten:

Dass Sie jetzt tätig werden. Dass Sie auf uns zukommen, dass Sie uns mit demselben Respekt behandeln und uns die gleiche Priorität geben wie der Minderheit der großen Unternehmen.

Wenn Sie uns die Hand reichen und ohne weiteren Zeitverlust für eine faire Teilung der Corona-Lasten sorgen, werden wir mit anpacken.

Herr Altmaier, wir messen Sie an Ihren Taten.

rs, VGSD