Weißrussland heißt jetzt Belarus: Aber wie nennt man die Einwohner – Belarusen oder Belarussen?

Belarus in Europa
Durch die jahrzehntelange Abschottung nach außen ist Belarus den Deutschen fremd, obwohl es näher liegt als Spanien. - Bild: Wikimedia Commons

Das Jahr 2020 wird nicht nur als Anfang vom Ende des letzten Diktators in Europa in die Geschichte eingehen. Es ist auch das Jahr, in dem die deutschen Medien Weißrussland in Belarus umbenannt haben.

Ist das notwendig und sinnvoll? Darüber kann man lange diskutieren. Klar ist aber: Wenn man es macht, sollte man es richtig machen. Doch danach sieht es zurzeit nicht aus.

Chronologie der Umbenennung

  • Den Anfang machte im Januar 2020 die Neue Zürcher Zeitung mit einem vehementen Plädoyer für die Verwendung des Ausdrucks Belarus.
  • Im April schwenkte die dpa und andere Nachrichtenagenturen auf diesen Kurs ein. Das heißt: In allen Agenturberichten über Weißrussland, die bei den Zeitungs- und Online-Redaktionen eingingen, wurde das Land bereits seit April nur noch Belarus genannt. Viele Publikationen haben das vor der Veröffentlichung wieder zu Weißrussland geändert oder die jeweils andere Benennung in Klammern ergänzt („auch als Weißrussland bezeichnet“).
  • Im Vor- und Umfeld der belarusischen Präsidentschaftswahlen im August, als jedes Medium täglich mehrere Beiträge über die Entwicklung im Land brachte, erklärten dann in schneller Folge der Deutschlandfunk, ARD und ZDF, n-tv,  der Spiegel und zum Beispiel die Berliner Zeitung, künftig nur noch die Bezeichnung Belarus zu verwenden. Damit war die Wende vollzogen.

Medien bezeichnen Einwohner weiterhin als Belarussen

Wer Belarus sagt, müsste logischerweise als Adjektiv dann belarusisch verwenden und die Einwohner des Landes Belarusen nennen. Dazu konnten sich die Redaktionen aber nicht durchringen.

Mit dieser inkonsequenten Terminologie, die auch die deutsche Bundesregierung seit Jahren pflegt (Verzeichnis der Staatennamen für den amtlichen Gebrauch in der Bundesrepublik Deutschland), entlässt man einerseits das Land sprachlich durch die Bezeichnung Belarus in die Unabhängigkeit von -russland, ordnet dessen Einwohner aber andererseits als Belarussen wieder klar dem Nachbarvolk im Osten zu.

Wie man es richtig machen sollte, zeigt die Belarusisch-Deutsche Geschichtskommission, deren Sprecher Prof. Dr. Thomas Bohn im Juli 2020 eine Pressemitteilung mit Empfehlungen zur Schreibweise herausgegeben hat. Nachfolgend der Text im Wortlaut:

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Empfehlungen zur Schreibweise von Belarus in deutschsprachigen Texten

Thomas Bohn
Thomas Bohn lehrt als Professor für osteuropäische Geschichte an der Universität Gießen.
  • Staatsname: Republik Belarus
  • Landesname: Belarus
  • Adjektiv: belarusisch
  • Einwohner: die Belarusen, eine Belarusin
  • Stadtnamen: entsprechend dem Duden Hrodna, Homel, Mahiljou, Wizebsk
  • Aussprache: Be-la-rús, belarúßisch

Land, Name, Sprache

Wir empfehlen, auf Deutsch statt Weißrussland als Landesnamen die offizielle Bezeichnung Belarus und als Adjektiv belarusisch zu verwenden. Damit wird deutlich, dass es sich bei der Republik Belarus um einen souveränen Staat handelt, der nicht Teil Russlands ist.

Belarusisch ist eine ostslawische Sprache mit eigener Grammatik und Lexik. Wir empfehlen diese – analog zur Schreibweise im Belarusischen: belaruskaja mowa – nur mit einem s zu schreiben. Dies entspricht auch dem angelsächsischen Sprachgebrauch: Belarus und Belarusian.

Das heutige Territorium der Republik Belarus war Teil der Kiewer Rus, des Großfürstentums Litauen, der Polnisch-Litauischen Adelsrepublik, des Russischen Reichs, der Zweiten Polnischen Republik und bis 1991 der Sowjetunion. 1918 war es zu einem nicht geglückten Versuch einer Gründung als Nationalstaat gekommen. 1919 wurde eine Sowjetrepublik proklamiert.

Die Belarusische Sozialistische Sowjetrepublik hatte seit der Gründung der Vereinten Nationen in der New Yorker Vollversammlung einen eigenen Sitz. Mit der Auflösung der Sowjetunion entstand im Dezember 1991 die unabhängige Republik Belarus.

Ursprüngliche deutsche Bezeichnung: Weißruthenien

Der ursprüngliche Name der historischen Landschaft war auf Deutsch Weißruthenien. „Bela“ bezieht sich auf die Farbe Weiß. Der Begriff Ruthenien verwies auf diejenigen Gebiete der Kiewer Rus, die bis 1772 zum Großfürstentum Litauen gehörten.

Wir empfehlen, die Bezeichnung Weißruthenien nur noch historisch zu gebrauchen, da sie von den deutschen Besatzungsregimen in zwei Weltkriegen als koloniale Projektion verwendet wurde.

Die Republik Belarus im Überblick

  • Einwohnerzahl: 9,4 Millionen
  • Fläche: 207.600 Quadratkilometer
  • Amtssprachen: Belarusisch und Russisch
  • Hauptstadt: Minsk
  • Jahr der Unabhängigkeit: 1991

Belarusisch als Schriftsprache

  • Kanzleisprache des Großfürstentums Litauen: ab dem 14. Jahrhundert
  • Erste Bibelübersetzung: 1517
  • Alte Bezeichnung auf Deutsch: Ruthenisch
  • Erscheinungsjahr der Grammatik: 1918

Wie spricht man belarusisch aus?

Sowohl das Substantiv Belarus als auch das Adjektiv belarusisch gehen auf das mittelalterliche Reich der Ostslawen zurück, das auf Deutsch als die Rus bezeichnet wird. Da in allen der drei modernen ostslawischen Sprachen das s in Rus scharf ausgesprochen wird, empfehlen wir, es auch auf Deutsch scharf wie ein ß auszusprechen und die Betonung im Staatsnamen Be-la-rús auf die dritte Silbe zu legen.

Warum gibt es die Sprache Belarusisch zweimal bei Wikipedia?

Belarusisch entstand 1918 als moderne Schriftsprache in Anlehnung an die Regeln der Grammatik von Branislau Taraschkewitsch. Die 1933 im Zuge einer Reform erarbeitete Rechtschreibung setzte sich weitgehend durch, wobei heute vereinzelt noch immer die Version von 1918 verwendet wird.

Daher gibt es auf Wikipedia zwei Varianten:

  1. be.wikipedia.org – die offizielle, heute in Belarus gültige Rechtschreibung, sowie
  2. be-tarask.wikipedia.org in der Rechtschreibung, die die Reform nicht anerkennt.

Wie wird Belarusisch richtig transkribiert?

Belarusisch wird heute mit kyrillischen Lettern geschrieben. Lateinische Buchstaben wurden bis ins frühe 20. Jahrhundert vorwiegend im katholischen Milieu verwendet.

Wir empfehlen für den allgemeinen Sprachgebrauch auf Deutsch die im Duden verwendete Umschrift (z. B. Homel, Hrodna, Mahiljou, Polazk, Wizebsk). Die Nationale Akademie der Wissenschaften Belarus hat eine lateinische Umschrift erarbeitet, die als Norm Eingang in die Namen von Ortschaften der Republik Belarus gefunden hat.

Die Belarusisch-Deutsche Geschichtskommission

Anlässlich der Eröffnung eines Gedenkortes am ehemaligen nationalsozialistischen Vernichtungslager Maly Traszjanez regten die Präsidenten der Republik Belarus und der Bundesrepublik Deutschland die Gründung einer Belarusisch-Deutschen Geschichtskommission an.

Seit ihrer Konstituierung 2020 wird der Austausch von Historikerinnen und Historikern aus beiden Ländern in Minsk an der Nationalen Akademie der Wissenschaften Belarus und in Berlin von der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde mit finanzieller Unterstützung des Auswärtigen Amts koordiniert.

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Richard Schneider