Hannover: Amtsrichterin lehnt Dolmetscherin wegen Kopftuch ab – zu Unrecht

Kopftuch
Kopftücher, hier in der Form eines Hidschabs, in der Damenmoden-Abteilung von Primark in Mannheim. - Bild: Richard Schneider

Eine Richterin am Amtsgericht Hannover hat im September 2020 von einer Gerichtsdolmetscherin für Arabisch verlangt, ihr Kopftuch während der Verhandlung abzulegen.

Die Sprachmittlerin, die islamische Theologie und Rechtswissenschaften studiert hat, entgegnete, das Kopftuch sei ein Bestandteil ihrer Religion, sie wolle und könne es nicht abnehmen.

Daraufhin wurde sie aus der Verhandlung entlassen und durch eine nicht Kopftuch tragende Dolmetscherin ersetzt.

Niedersächsisches Justizgesetz verlangt neutrales Auftreten im Dienst

Die Richterin berief sich bei ihrer Entscheidung auf den § 31a des Niedersächsischen Justizgesetzes (NJG) über „Neutrales Auftreten im Dienst“, der erst wenige Monate zuvor am 16.05.2020 neu eingeführt worden war.

Er verbietet nicht nur Frauen das Tragen von Kopftüchern, sondern auch Männern das Aufsetzen einer jüdischen Kippa oder Christen das Zeigen von Halsketten mit Kreuz:

§ 31a Neutrales Auftreten im Dienst
Wer in einer Verhandlung oder bei einer anderen Amtshandlung, bei deren Wahrnehmung Beteiligte, Zeuginnen oder Zeugen, Sachverständige oder Zuhörerinnen oder Zuhörer anwesend sind, ihr oder ihm obliegende oder übertragene richterliche oder staatsanwaltliche Aufgaben wahrnimmt, darf keine sichtbaren Symbole oder Kleidungsstücke tragen, die eine religiöse, weltanschauliche oder politische Überzeugung zum Ausdruck bringen.

Gilt nur für Richter und Staatsanwälte

Die Regelung gilt jedoch nur für unmittelbar der Justiz zuzurechnende Personen, die „richterliche oder staatsanwaltliche Aufgaben“ wahrnehmen oder für Bedienstete, denen diese Aufgaben übertragen worden sind. Im Klartext geht es also um Richter, Staatsanwälte und ggf. von diesen beauftragte Justizangestellte oder Referendare.

Gerichtsdolmetscher sind in Deutschland keine Angestellten der rechtsprechenden Gewalt. Sie werden vom Gericht lediglich als Sprachsachverständige für ein einzelnes Verfahren geladen. Für sie gelten die Vorschriften für ein „neutrales Auftreten im Dienst“ daher nicht.

Dies erkannte auch die Richterin, nachdem sie sich später eingehender mit der Frage befasst hatte. Sie setzte sich mit der zuvor abgelehnten Dolmetscherin in Verbindung und entschuldigte sich bei ihr für die Fehlauslegung des neuen Paragrafen.

Vorschrift soll Neutralität der Justiz stärken

Die Überarbeitung des niedersächsischen Justizgesetzes war als Stärkung der Neutralität der Justiz gedacht und wurde mit großer Mehrheit, aber gegen die Stimmen der Grünen vom niedersächsischen Landtag verabschiedet. Justizministerin Barbara Havliza (CDU), früher Vorsitzende Richterin am OLG Düsseldorf, erläuterte:

Nirgendwo ist die Neutralität so wichtig wie in einem Gerichtsverfahren. Die Justiz entscheidet über existenzielle Sachverhalte, sie ist dabei ausschließlich an Recht und Gesetz gebunden. Diese innere Neutralität muss auch nach außen zum Ausdruck kommen. Dies ist Anlass für die Justiz, auf die erkennbare Neutralität von Richterinnen und Richtern oder Staatsanwältinnen und Staatsanwälten zu achten.

Unterstützt wurde das Vorgehen auch vom Niedersächsischen Richterbund, der argumentierte, die Rechtsprechung sei „in besonderer Weise der Neutralität verpflichtet“.

Bundesverfassungsgericht hält Kopftuchverbot für zulässig

Anlass für die Änderung des NJG war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 14.01.2020 (2 BvR 1333/17). Einer Rechtsreferendarin war von dem hessischen Gericht, an dem sie zur Ausbildung beschäftigt war, das Tragen eines Kopftuchs bei der Wahrnehmung bestimmter hoheitlicher Aufgaben untersagt worden.

Dagegen wehrte sie sich durch Anrufung des Bundesverfassungsgerichts. Dieses stellte mit 7 zu 1 Stimmen jedoch klar, dass ein solcher Eingriff in die Religionsfreiheit verfassungsrechtlich gerechtfertigt und von den Betroffenen hinzunehmen sei.

Richard Schneider