„Politik ist die Kunst des Möglichen“, hat schon Otto von Bismarck vor 150 Jahren erkannt. Statt wie gewünscht 95 oder 90 Euro pro Stunde sind es jetzt wegen des Widerstands der Länder im Bundesrat nur 85 Euro geworden. Und der verhasste Rahmenvertragsparagraf, mit dem die gesetzlich vorgegebenen Honorarsätze unterlaufen werden können, bleibt unverändert bestehen.
Die Berufsverbände, die über Monate hinweg versucht haben, in der Politik für ihre Positionen zu werben, sind von der jetzt im Deutschen Bundestag beschlossenen Novellierung des Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetzes (JVEG) in gewisser Hinsicht enttäuscht.
Andererseits ist es in den neun Monaten, über die sich die Konsultationen hingezogen haben, aber auch gelungen, so tief wie noch nie in die Kreise der Macht vorzudringen. In Anhörungen und persönlichen Gesprächen konnte im Sinne der Berufsgruppe direkt Einfluss genommen werden. Wichtige Kontakte wurden geknüpft und neue Ansprechpartner gewonnen, die in Zukunft noch nützlich sein könnten.
VVU: Viele Verbesserungen, aber falsche Signale gesendet
Der Verband allgemein beeidigter Verhandlungsdolmetscher und öffentlich bestellter und beeidigter Urkundenübersetzer in Baden-Württemberg (VVU) hat in einer über Twitter verbreiteten Stellungnahme seine Einschätzung der erzielten Ergebnisse mitgeteilt:
Der Bundestag hat heute das neue JVEG einstimmig verabschiedet; eine zukünftige Indexierung wurde abgelehnt. Es enthält viele Verbesserungen, die nicht zuletzt auf unsere Verbandsarbeit zurückgehen. Sie werden aber durch folgende unnötige und unverständliche Regelungen überschattet:
a) Dolmetscher*innen sind jetzt gezwungen, für jede erarbeitete Stunde 5 Euro Pandemierabatt an den Staat bezahlen. Das ist zeitlich unbefristet.
Und geschieht, obwohl Dolmetschen während Corona anstrengender und gesundheitlich gefährlicher ist, sie pandemiebedingt besondere Umsatzeinbußen hinnehmen müssen und gleichzeitig die Gerichtskosten erhöht werden.
b) Davon abgesehen basieren die Erhöhungen der Sprachmittlerhonorare auf einer über drei Jahre alten Marktanalyse, sind weit weit niedriger als diejenigen der Tariflöhne, Abgeordnetendiäten, etc. und müssen darüber hinaus auch die fehlende Erhöhung bis etwa 2027 ausgleichen.
c) Immer noch können alle Verbesserungen und Erhöhungen durch das Aufzwingen von nachteiligen Vergütungsvereinbarungen unterbunden werden. Und für Dolmetschen bei der Polizei gibt es teilweise immer noch nur 15 Euro pro Stunde.
Bedenkt man, wie relativ gering eigentlich der damit ersparte Anteil für den Staat an denjenigen Kosten für Sprachmittlungsleistungen vor Gericht ist, die nicht von den Verfahrensbeteiligten getragen werden, hätte das alles nicht sein müssen.
Ziel des neuen JVEG war es, „die Voraussetzungen dafür zu erhalten, dass den Gerichten und Staatsanwaltschaften weiterhin qualifizierte Sprachmittler*innen zur Verfügung stehen“, indem ihre Honorare „an die wirtschaftliche Entwicklung angepasst“ werden.
Dafür haben sich viele eingesetzt.
Aber am Ende wurden die falschen Honorare beschlossen und die falschen Signale ausgesendet.
ADÜ Nord: In der Sache eine Niederlage, aber kein Grund zur Resignation
Beim schwerpunktmäßig in Norddeutschland agierenden ADÜ Nord ist ebenfalls eine gewisse Enttäuschung zu spüren. Aber man feiert auch Teilerfolge wie die Tatsache, dass es gelungen ist, das Bundesjustizministerium von der Sichtweise der Sprachmittler zu überzeugen. Gegenwind kam dann allerdings aus dem Bundesrat.
Auf der Website des Verbandes ist zu lesen:
Bundestag verabschiedet novelliertes JVEG unter Beibehaltung des § 14 JVEG
Das Gesetzgebungsverfahren betreffend die JVEG-Novellierung ist seit dem heutigen 27.11.2020 abgeschlossen. Das Bundestagsplenum ist der Beschlussempfehlung des federführenden Rechtsausschusses vom 25.11.2020 gefolgt und hat das JVEG mit allerletzten Änderungen, die uns Sprachmittler/innen nicht betreffen, verabschiedet. Der § 14 JVEG bleibt unverändert und auch die zuvor von den Bundesländern forcierte Kürzung des Regelhonorars für Dolmetschleistungen von 90,00 € auf 85,00 € pro Stunde wird Gesetz.
Damit ist die vom ADÜ Nord zuletzt ins Leben gerufene Briefaktion, mit der unser Berufsstand zuständige Abgeordnete der oppositionellen Fraktionen der Grünen und der FDP erreicht und zu unseren Berufsstand unterstützenden Positionierungen veranlasst hat, immerhin ein Achtungserfolg. So direkt und konsequent haben sich die Sprachmittler/innen noch nie in ein sie betreffendes Gesetzgebungsvorhaben eingebracht. Immerhin hat die Grünen-Abgeordnete Katja Keul auf unser Tätigwerden hin im Rechtsausschuss noch einen – wenn auch im Ergebnis nicht erfolgreichen – Antrag auf Aufhebung des § 14 JVEG eingebracht.
Richtig ist, dass wir uns aufgrund des massiven Widerstands der Bundesländer und der fehlenden Bereitschaft der Unions- und SPD-Abgeordneten, sich für gute Sprachmittlung in der Rechtspflege einzusetzen, nur begrenzt mit unseren berechtigten Forderungen durchsetzen konnten. Das heutige Zwischenstand ist aber kein Grund zur Resignation. Ganz im Gegenteil. Wir haben auf unserem Weg durchaus Teilerfolge wie die Überzeugung des Bundesjustizministeriums von unserer Position erreicht. Außerdem ist inzwischen klar, dass wir uns sehr konstruktiv in Gesetzgebungsverfahren einbringen und bei wichtigen Akteuren Gehör finden.
Auch wenn die bevorstehende JVEG-Novelle also keine Abschaffung der Rahmenverträge bringen wird, haben wir in der Begleitung des Gesetzgebungsverfahrens Einiges gelernt, was uns zukünftig noch sehr helfen wird. Die wichtigste Erkenntnis betrifft uns selbst und unser politisches Handeln. Wir haben den Beweis erbracht, dass wir konkrete Teilziele erreichen können, wenn wir uns gut vorbereiten und zur rechten Zeit in der passenden Form aktiv werden.
Wir mögen in der Sache heute eine Niederlage erlitten haben, aber wir gehen gestärkt aus dieser Erfahrung hervor. Wir wissen nun noch besser, worauf es wirklich ankommt und wo unsere Stärken und Schwächen liegen. An letzteren werden wir im Sinne einer weiteren Professionalisierung unserer Arbeit zu arbeiten haben. Wir werden uns noch besser strategisch aufstellen und bei nächster Gelegenheit mit neuen Initiativen vorstellig werden. Bund und Länder dürfen also weiter mit uns rechnen.
rs