Digitalisierung der Justiz betrifft auch Gerichtsdolmetscher – Uni Saarbrücken startet Forschungsprojekt

Stephan Weth, Christoph Sorge
Die Professoren Stephan Weth (links) und Christoph Sorge gehören zu den Beteiligten des Projekts „Digitale Präsenz bei Gericht“. - Bild: Das Bilderwerk, Oliver Dietze

Was muss bei Gerichtsverhandlungen per Videokonferenz beachtet werden? Was ist zulässig beim Einsatz digitaler Technik im Gerichtssaal und was nicht? Welche technischen Lösungen eignen sich besonders für den modernen Prozess? Diesen Fragen gehen Experten der Universität des Saarlandes und aus der Gerichtspraxis im Forschungsprojekt Digitale Präsenz bei Gericht auf den Grund. Das Bundesjustizministerium fördert das Vorhaben mit rund 700.000 Euro für drei Jahre.

Möglichkeit von Online-Verhandlungen besteht schon länger, hat aber erst durch Corona an Fahrt aufgenommen

Von seinem Büro in Berlin aus beantwortet ein Sachverständiger im Videochat Fragen des Richters im Saarbrücker Landgericht. Ein Anwalt nimmt kurz nach einem Gerichtstermin am Amtsgericht Homburg per Videoschalte eine Familiensache in München wahr. Und ein Zeuge sagt während seiner Corona-Quarantäne vor Gericht per Videoschalte aus: „Der Gesetzgeber hat schon vor Jahren den Weg für solche Videokonferenzen in Gerichtsverhandlungen freigemacht“, sagt der Rechtswissenschaftler Professor Stephan Weth. Flächendeckend durchgesetzt hatte sich die Technik bislang nicht. Bis Corona kam: Mit der Pandemie hat die Digitalisierung der Gerichte Fahrt aufgenommen.

„Eine Pandemie darf nicht zu einem Stillstand an den Gerichten führen“

„Im Kern geht es um die Funktionsfähigkeit der Justiz. Eine Pandemie darf nicht zu einem Stillstand an den Gerichten führen. Und mit den heutigen technischen Möglichkeiten können mündliche Verhandlungen stattfinden und Verfahren vorangetrieben werden“, erklärt Weth, der an der Universität des Saarlandes gemeinsam mit dem Rechtsinformatik-Professor Christoph Sorge und Jura-Professor Christian Gomille die digitale Präsenz bei Prozessen in einem neuen Projekt erforscht. Die gerichtliche Praxis bringen hierbei über das saarländische Justizministerium das Landgericht Saarbrücken und die Amtsgerichte Ottweiler und Homburg ein.

Bundesjustizministerium fördert Projekt mit 700.000 Euro

Möglich macht das Projekt eine Förderung durch das Bundesjustizministerium in Höhe von rund 700.000 Euro über einen Zeitraum von drei Jahren, die maßgeblich dem Einsatz des saarländischen Bundestagsabgeordneten Markus Uhl zu verdanken ist. „Die saarländische Justiz und die Universität des Saarlandes stellen durch das Forschungsprojekt ihre Vorreiterrolle bei Fragen der Digitalisierung unter Beweis“, stimmen der Bundestagsabgeordnete Markus Uhl und Justizstaatssekretär Roland Theis überein. „Dass die Initiative zu diesem Projekt aus der Mitte des deutschen Bundestags kam und nur durch die tatkräftige Unterstützung des Bundestagsabgeordneten Markus Uhl zustande gekommen ist, zeigt das große Interesse des Bundesgesetzgebers an den Ergebnissen dieser Forschungsarbeit“, so Roland Theis weiter.

Dolmetscher werden aus der Ferne zugeschaltet

Schon jetzt erkennen viele Richter und andere Prozessbeteiligte, allen voran auch Anwälte, die Vorteile der orts- und zeitunabhängigeren digitalen Präsenz auch über die Pandemie hinaus. „Das Bewusstsein, welche Chancen hier für die überlasteten Gerichte liegen, wächst zusehends mit dem Einsatz der Technik. Mündliche Verhandlungen oder Anhörungen können ohne langen zeitlichen Vorlauf stattfinden, schlicht, weil lange Anreisewege etwa von Sachverständigen oder Dolmetschern wegfallen“, erläutert Bernd Klasen, Direktor des Amtsgerichts Ottweiler.

Werden Sachverständige und Zeugen per Webcam und Mikro aus der Ferne angehört, während ein Dolmetscher parallel online übersetzt, so spart dies nicht nur Umstände und viel Geld, sondern vor allem Zeit. Das kann die Verfahren schneller in Gang bringen. „Hier liegen große Chancen für die Justiz, die heute an der Belastungsgrenze arbeitet. Mithilfe der digitalen Technik können Verfahren vereinfacht und beschleunigt werden. Der Vorlauf, den Verfahren heute oftmals brauchen, um alle in einem Saal zu versammeln, wird hierdurch verkürzt und so werden die Gerichte entlastet“, erklärt der Präsident des Landgerichts Saarbrücken, Hans-Peter Freymann.

Wo liegen die Grenzen der digitalen Präsenz? Was ist zulässig, was nicht?

Kommen in Gerichtsverfahren digitale Hilfsmittel zum Einsatz, muss jedoch alles rechtlich überprüft sein. Alles muss sicher, vom Datenschutz gedeckt und mit dem Verfahrens- und Prozessrecht vereinbar sein. „Mit dem Praxis-Einsatz der digitalen Technik stellen sich in den Gerichten zahlreiche neue Rechtsfragen und es ergeben sich auch viele technische Besonderheiten“, sagt Rechtsinformatiker Professor Christoph Sorge. Es muss geklärt werden, wo die Grenzen der digitalen Präsenz im Prozess liegen, was zulässig ist und was nicht, was beim Einsatz der neuen Technologien zu beachten ist, und in welchen Fällen ein Gericht unmittelbar Auge in Auge mit Prozessbeteiligten zusammenkommen muss.

So ist zum Beispiel noch ungeklärt, ob die Prozessbeteiligten ihre Kamera zwingend einschalten müssen, ob sie alle die ganze Zeit über zu sehen sein müssen oder ob auch der Einsatz einer Schwenkkamera genügt. Ebenso stellt sich die Frage, ob alle Richter und Schöffen vor Ort im Gerichtssaal anwesend sein müssen, oder ob auch hier Homeoffice möglich ist. In Pandemiezeiten stehen zum Beispiel gerade auch Betreuungsrichter vor der Frage, ob es ausreichend ist, Betroffene statt in Klinik oder Altenheimen sicher per Video anzuhören.

Datenschutz und Rechtssicherheit müssen gewahrt bleiben

In solchen Fragen Rechtssicherheit zu schaffen, ist ein Ziel des Forschungsprojektes. „Unser Ziel ist es auch, dem Gesetzgeber aufzuzeigen, welcher notwendigen gesetzlichen Regelungen es in Bezug auf die Digitalisierung der Justiz zukünftig noch bedarf“, erläutert Staatssekretär Roland Theis aus dem saarländischen Justizministerium.

„Ein wesentlicher Punkt, den wir im Rahmen des Projektes klären wollen, ist auch der Datenschutz, hier wollen wir in rechtlicher und technischer Hinsicht das digitale Verfahren überprüfen und praxistaugliche Lösungen entwickeln“, erklärt Professor Christoph Sorge. Außerdem wollen die Projektpartner ergründen, wo besonders effiziente technische Lösungen für den modernen Gerichtsprozess liegen.

So soll etwa auch die mögliche Einrichtung von aktuell diskutierten virtuellen Rechtsantragsstellen oder eines bundesweit einheitlichen elektronischen Bürgerzugangs in Form eines Online-Portals untersucht werden, von der sich Experten die Möglichkeit einer einfacheren und damit effektiveren Arbeitserledigung auf Seiten der Gerichte versprechen.

Bereits im Vorgängerprojekt Amtsgericht 4.0, das ebenfalls vom Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz gefördert wurde, arbeiteten Professor Stephan Weth, das Amtsgericht Ottweiler und das Saarländische Justizministerium zusammen.

Projektbeteiligte bei „Digitale Präsenz bei Gericht“

Im Rahmen des Projektes arbeiten an der Universität des Saarlandes Professor Christoph Sorge (Lehrstuhl für Rechtsinformatik), Professor Christian Gomille (Lehrstuhl für Bürgerliches Recht, Europäisches und Internationales Privatrecht sowie Zivilprozessrecht) und Professor Stephan Weth (Lehrstuhl für Deutsches und Europäisches Prozess- und Arbeitsrecht sowie Bürgerliches Recht) zusammen. Die Anbindung an die gerichtliche Praxis erfolgt über das Ministerium der Justiz des Saarlandes durch das Landgericht Saarbrücken und die Amtsgerichte Ottweiler und Homburg.

Universität des Saarlandes, Saarländisches Ministerium der Justiz