Der Schauspieler, Musical-Darsteller und Sänger Yul Brynner (1920-1985) wird 1974 vom französischen Fernsehen gefragt: „Sie sprechen sechzehn oder siebzehn Sprachen?“ Brynner: „Nein, elf.“
Darauf will der Interviewer wissen: „Und welche der elf Sprachen ist Ihre Muttersprache?“ Brynners Antwort: „Ich weiß es nicht. Ich habe einen ziemlich undefinierbaren Akzent. Ich habe einen leichten Akzent im Französischen, im Englischen, auch in den anderen Sprachen. Und ich weiß nicht, woher er kommt, dieser Akzent. Er kommt wohl aus mir selbst.“
Das in einer Dokumentation des Fernsehsenders Arte wiedergegebene Gespräch setzt sich fort: „In welcher Sprache denken Sie heute?“ – „Das hängt davon ab, woran ich denke.“ – „Hätten Sie ein Beispiel parat?“ – „Also wenn es um Filme geht, zum Beispiel in Gesprächen mit meiner Frau [zu dem Zeitpunkt eine Französin], die zweisprachig ist und sehr gut Englisch spricht, und wir über das Filmgeschäft und Verträge reden, dann sprechen wir Englisch. Denn das ist die Sprache, in der ich dieses Metier ausübe. Geht es um Mode oder Kunst, wechseln wir zurück ins Französische.“
Neue Sprachen lernte das polyglotte Multitalent nicht aus intellektuellem Ehrgeiz, sondern aus praktischen Gründen für ein neues Land, einen neuen Job oder eine neue Liebe. So wechselte der viermal Verheiratete mit jeder Ehe das Land.
Dass Brynners Behauptung, elf Sprachen zu sprechen, nicht aus der Luft gegriffen und keine Angeberei ist, belegen einige erhaltene Film- und Interview-Ausschnitte auf YouTube, die vor allem auf Englisch, Französisch und Russisch vorliegen.
Amerikaner, Russe, Mongole oder einfach nur Schweizer?
Weltweit bekannt geworden ist Yul Brynner als Hollywood-Schauspieler, weshalb viele ihn für einen eingebürgerten Amerikaner fernöstlicher Herkunft halten. Tatsächlich erhielt Brynner 1943 die amerikanische Staatsbürgerschaft, gab sie jedoch 1965 aus steuerlichen Gründen wieder auf. Formaljuristisch war der in Wladiwostok, also auf russischem Territorium unweit der chinesichen und koreanischen Grenze geborene Yul Brynner zeitlebens Schweizer.
Geboren wurde er als Juli Borissowitsch Briner in der damaligen Fernöstlichen Republik Russlands als Sohn eines deutschschweizerischen Vaters mit teils burjatisch-mongolischen Wurzeln und einer russischen Mutter. Gestorben ist er in New York. Dazwischen verbrachte er Lebensjahre in China, Frankreich und der Schweiz. Monatelange Dreharbeiten führten ihn in zahlreiche weitere Länder wie Italien und Jugoslawien.
„Bin einer von ihnen“ – Ein halber Zigeuner
Besonders verbunden fühlte er sich dem fahrenden Volk, für das er sich – wie in der Arte-Dokumentation zu sehen – auch sozialpolitisch engagierte. Ein Vorfahre soll der Volksgruppe der Roma angehört haben, weshalb Brynner häufiger angab, sowohl im konkreten als auch im übertragenen Sinn ein halber Zigeuner zu sein. Ab 1977 war er bis zu seinem Tod Ehrenpräsident der International Romani Union.
Nach eigenen Angaben hätte er ohne die Zigeuner, deren Sprache er sprach, in jungen Jahren in Paris nicht überleben können. Mit ihnen trat er als Sänger auf und konnte sich so finanziell über Wasser halten.
Fünf Jahre im Zirkus am Trapez
In seiner Pariser Zeit arbeitete er auch fünf Jahre im Zirkus als Trapezartist, bis eine schwere Schulterverletzung nach einem Absturz vom Hochseil dies unmöglich machte.
Brynners Statur war eher klein als groß, aber zeitlebens athletisch und durchtrainiert. Dieser Aspekt war ein wichtiger Teil seiner Bühnenpräsenz. Sowohl in seiner Broadway-Paraderolle in Der König und ich als auch in Filmen machte er mit blankem Oberkörper eine gute Figur.
„Reisen, ohne heimatlos zu sein“ – dank weit verzweigter Wurzeln
Als er mit seiner französischen Frau ein Haus in Lausanne am Genfer See gekauft hatte, wurde er am Flughafen vom Fernsehen gefragt: „Sie sind der Mann von nirgendwo, doch nun sind Sie sesshaft geworden …“
Seine Antwort: „Oh, ich bin kein Mann von nirgendwo, im Gegenteil. Ich habe extrem weit verzweigte Wurzeln, die sehr tief und weit zurückreichen. Das erlaubt es mir zu reisen, ohne heimatlos zu sein. Und ich bin immer noch unterwegs …“
Richard Schneider