Preis der Leipziger Buchmesse 2021 in Kategorie Übersetzung geht an Timea Tankó

Timea Tankó
Freudestrahlend reagiert die Literaturübersetzerin Timea Tankó Sekunden nach der Bekanntgabe ihres Namens. - Bild: Screenshot

Ein wenig Oscar-Atmosphäre herrschte heute Nachmittag in der Leipziger Kongresshalle am Zoo, als die Preise der Leipziger Buchmesse 2021 vergeben wurden:

Jury und Messeleitung waren vor Ort auf der Bühne versammelt, die Nominierten per Video zugeschaltet. Ehrengäste zogen aus großen, roten Umschlägen die Gewinner. Die Reaktion der Auserwählten war dank kluger Bildregie für die mehr als 400 Online-Zuschauer unmittelbar mitzuerleben.

Und wie bei den Oscars bedankte sich die Preisträgerin am Ende nicht nur bei den für die Organisation Verantwortlichen – in diesem Fall Buchmesse, Jury und Verlag -, sondern sichtlich gerührt auch bei ihrer Familie.

Preis der LBM
Timea Tankó verfolgte die Zeremonie aus dem Gebäudekomplex des Aufbau Verlags in der Berliner Prinzenstraße. Sie holte kurzerhand die zwei Verlagsmitarbeiter mit ins Bild, denen sie „am meisten zu verdanken“ habe, nämlich Lektor Ron Mieczkowski (links) und Christian Döring, Programmleiter der Buchreihe „Die Andere Bibliothek“. – Bild: Screenshot

In der Kategorie Übersetzung entschied sich die siebenköpfige Jury um den Vorsitzenden Jens Bisky für Timea Tankó. In den beiden anderen Kategorien Belletristik und Sachbuch/Essayistik wurden die Autorinnen Iris Hanika bzw. Heike Behrend geehrt. Insgesamt waren 389 Werke für die diesjährige Preisrunde eingereicht worden.

Tankó wird für ihre Übersetzung Apropos Casanova – Das Brevier des Heiligen Orpheus ausgezeichnet. Das Buch des Autors Miklós Szentkuthy (1908 – 1988) erschien in Ungarn bereits 1938, war bislang aber noch nicht ins Deutsche übersetzt worden.

Szentkuthy gilt in seinem Heimatland als einer der bedeutendsten Autoren des 20. Jahrhunderts. In Deutschland ist er kaum bekannt, da sein umfassendes – manche sagen „uferloses“ – Œuvre bislang nur in wenigen Auszügen auf Deutsch vorliegt.

Preis der LBM
Martin Buhl-Wagner (links), Geschäftsführer der Leipziger Buchmesse, öffnet den roten Umschlag mit der Jury-Entscheidung. Timea Tankó ist im Hintergrund wie die übrigen Nominierten zugeschaltet und ahnt in diesem Moment noch nichts. – Bild: Screenshot
Preis der LBM
Die Nominierten harren der Dinge, die da kommen sollen. Von links oben: Hinrich Schmidt-Henkel, Frank Heibert, Sonja Finck, Nikolaus Stingl, Dirk van Gunsteren, Timea Tankó, Ann Cotten. – Bild: Screenshot

„Was für ein Schmelz in den Beschreibungen, welch ein sanfter Rhythmus“

Die Jury schreibt in ihrer Begründung zur Wahl Tankós:

Wie lässt sich so etwas Quecksilbriges, sich jeder Zuordnung Entziehendes, wild Fantasierendes und zugleich messerscharf Argumentierendes in eine andere Sprache bringen? Die Antwort kann nur lauten: indem man mitdenkt. Und nichts anderes tut Timea Tankó.

Ihre deutsche Fassung wird der intellektuellen Beweglich-, ja Quirligkeit Szentkuthys absolut gerecht, dank ihr gerät man unweigerlich in den Sog seiner kapriolenhaften Gedankenflüge – und ohne, dass einem flau dabei wird.

Er und sie, Miklos und Timea, diese beiden Liebenden der Sprache, können aber auch ganz anders, konkret-anschaulich und poetisch-bildhaft zugleich: „An einem Vormittag“, heißt es da, „war das Meer ungewöhnlich blau, die kleinen weißen Wellenspalten waren besonders parallel und zahncremefrisch, die Luft war sportlich klar, die Möwen wirkten einen Hauch melancholischer, herbstblattähnlicher als sonst, die fernen griechischen, persischen und russischen Yachten vibrierten noch höher über den Horizont als sonst – und wegen dieser kleinen Frühlingskomposition, die einen halben Augenblick zuvor noch nicht einmal ansatzweise so aussah und im nächsten ihren fröstelnden Maifestcharme bereits verloren hatte, musste Rom untergehen.“

Wow. Was für ein Satz, was für ein Schmelz in den Beschreibungen, welch ein sanfter Rhythmus, und was für ein eiskalter Knalleffekt am Ende. Dafür, dass sie sich dieser Prosa einfühlsam und doch selbstbewusst angeschmiegt und dabei immer die Spannung gehalten hat, dafür danken wir Timea Tankó.

Bibliophile Aufmachung in der Buchreihe „Die Andere Bibliothek“

Apropos Casanova
Bild: BANK™ Graphic Design

Die jetzt ausgezeichnete Übersetzung ist im Verlag „AB – Die Andere Bibliothek“ erschienen, der zur Gruppe des Aufbau Verlags gehört. Wie alle Bände der 1985 begonnenen Reihe „Die Andere Bibliothek“ erscheint auch Apropos Casanova in bibliophiler Aufmachung mit geprägtem Einband, weinrotem Vorsatzpapier, Lesebändchen und Schuber.

Die Satzgestaltung erfolgte mit einer Schrift, die speziell für dieses Buch erstellt wurde. Es handelt sich um eine serifenbetonte Modifizierung der klassischen Times New Roman mit ergänzendem Kursivschnitt („Times Slab“).

Ein solches Fest für die Sinne hat allerdings auch seinen Preis: Die rund 300 Seiten sind für 44,00 Euro im Buchhandel erhältlich. Und als E-Book wird Apropos Casanova ganz gewiss nicht erscheinen.

Tankó ist gebürtige Leipzigerin, lebt aber in Berlin

Timea Tankó wurde 1978 in Leipzig geboren, wuchs in Deutschland und Ungarn auf und lebt heute in Berlin. Am Institut für Angewandte Linguistik und Translatologie (IALT) der Universität Leipzig hat sie Französisch und Spanisch sowie Kulturwissenschaften studiert. Im Jahr 2004 schloss sie ihre Studien als Diplom-Übersetzerin ab. Heute arbeitet sie als Dolmetscherin sowie als freie Übersetzerin ungarischer und französischer Literatur.

Zu den von ihr ins Deutsche übersetzten Schriftstellern zählen István Kemény, Antal Szerb und György Dragomán. Darüber hinaus brachte sie aber zum Beispiel auch Texte von Esther Kinsky ins Ungarische.

Zuletzt wurde sie 2020 mit dem Exzellenzstipendium des Deutschen Übersetzerfonds ausgezeichnet. Im Jahr 2019 war sie bereits einmal für den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Übersetzung nominiert, damals für die Novellensammlung Löwenchor des ungarischen Autors György Dragomán.

Preis der LBM 2021, nominierte Titel
Diese fünf Titel kamen in der Kategorie Übersetzung in die Endauswahl. – Bild: LBM

Nominierte erhalten je 1.000 Euro, der Gewinner zusätzlich 15.000 Euro

Der Preis der Leipziger Buchmesse wurde von einer siebenköpfigen Jury vergeben: Unter der Leitung von Jens Bisky haben Anne-Dore Krohn, Tobias Lehmkuhl, Andreas Platthaus, Marc Reichwein, Katrin Schumacher und Katharina Teutsch die Nominierten und Preisträger ausgewählt.

Die mit insgesamt 60.000 Euro dotierte Auszeichnung ehrt seit 2005 herausragende deutschsprachige Neuerscheinungen und Übersetzungen in den Kategorien Belletristik, Sachbuch/Essayistik und Übersetzung.

In der Kategorie Übersetzung wird ein Preisgeld von 20.000 Euro wie folgt vergeben: Die fünf Nominierten, darunter dieses Mal zwei Übersetzerduos, erhalten je 1.000 Euro, der Gewinner zusätzlich 15.000 Euro. Mit einem Gesamtpreisgeld von 16.000 Euro für den Gewinner liegt der Preis unter den höchstdotierten deutschen Übersetzerpreisen an dritter Stelle. Höher dotiert sind nur der Straelener Übersetzerpreis mit 25.000 Euro und der Paul-Celan-Preis mit 20.000 Euro.

Der Freistaat Sachsen und die Stadt Leipzig unterstützen den Preis der Leipziger Buchmesse. Partner des Preises ist das Literarische Colloquium Berlin.

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Richard Schneider, LBM, AB