Sprachkosmetik: WHO ersetzt „stigmatisierende“ Virusbezeichnungen durch griechische Buchstaben

WHO
Die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen mit Sitz in Genf, der 194 Mitgliedsstaaten angehören. - Bild: Miguel Á. Padriñán / Pixabay

„China-Virus“, „Wuhan-Virus“, „britische Mutante“, „brasilianische“, „südafrikanische“ und „indische“ Variante … Erreger und Krankheiten werden in der Umgangssprache oft nach dem Land benannt, in dem sie zuerst aufgetreten sind oder wissenschaftlich beschrieben wurden.

Die Weltgesundheitsorganisation (World Health Organization, WHO) hält derartige in Politik und Medien benutzten Bezeichnungen für „stigmatisierend und diskriminierend“, wie sie in einer am 31. Mai 2021 veröffentlichten Erklärung mitteilt.

Eine international besetzte Expertengruppe hat deshalb nach intensiven Konsultationen vorgeschlagen, die bisherigen und künftigen Varianten des COVID-19 auslösenden Coronavirus mit den Buchstaben des griechischen Alphabets zu benennen, und zwar in der Reihenfolge ihres Auftretens.

Eine auf der WHO-Website veröffentlichte Liste gibt darüber Auskunft, dass die britische Variante B.1.1.7 ab sofort politisch korrekt als Alpha-Variante, die südafrikanische als Beta-, und die brasilianische als Gamma-Variante zu bezeichnen ist.

Nur für Politik und Medien – wissenschaftliche Nomenklatur bleibt unverändert

Die neu erfundenen Bezeichnungen ersetzen nicht die bestehenden wissenschaftlichen Kürzel wie etwa B.1.1.7. Sie sind vielmehr als Empfehlung für medizinische Laien und die Öffentlichkeit gedacht. Die WHO fordert in der Erklärung Behörden und Medien auf, künftig diese neuen Namen zu verwenden.

Nicht allen Varianten will die WHO einen Buchstaben zuordnen, sondern nur denjenigen, die „besorgniserregend“ oder für die Öffentlichkeit von „Interesse“ sind. Die Tabelle mit den zurzeit vier Variants of Concern:

WHO
label 
Pango  
lineage 
GISAID
clade/lineage
Nextstrain  
clade 
Earliest documented  
samples 
Date of
designation 
Alpha B.1.1.7 GRY (formerly GR/501Y.V1) 20I/S:501Y.V1 United Kingdom,
Sep-2020
18-Dec-2020
Beta B.1.351 GH/501Y.V2 20H/S:501Y.V2 South Africa,
May-2020
18-Dec-2020
Gamma P.1 GR/501Y.V3 20J/S:501Y.V3 Brazil,
Nov-2020
11-Jan-2021
Delta B.1.617.2 G/452R.V3 21A/S:478K India,
Oct-2020
VOI: 4-Apr-2021
VOC: 11-May-2021

Darüber hinaus werden in einer weiteren Tabelle sechs Variants of Interest aufgeführt, für die die Buchstaben Epsilon bis Kappa vergeben wurden.

Was geschehen soll, sobald die noch freien 14 Buchstaben des 24 Zeichen umfassenden griechischen Alphabets verbraucht sind, ist unklar.

Die Mitteilung der WHO im Wortlaut:

WHO announces simple, easy-to-say labels for SARS-CoV-2 Variants of Interest and Concern

31 May 2021

WHO has assigned simple, easy to say and remember labels for key variants of SARS-CoV-2, the virus that causes COVID-19, using letters of the Greek alphabet.

These labels were chosen after wide consultation and a review of many potential naming systems. WHO convened an expert group of partners from around the world to do so, including experts who are part of existing naming systems, nomenclature and virus taxonomic experts, researchers and national authorities.

WHO will assign labels for those variants that are designated as Variants of Interest or Variants of Concern by WHO. These will be posted on the WHO website.

These labels do not replace existing scientific names (e.g. those assigned by GISAID, Nextstrain and Pango), which convey important scientific information and will continue to be used in research.

While they have their advantages, these scientific names can be difficult to say and recall, and are prone to misreporting. As a result, people often resort to calling variants by the places where they are detected, which is stigmatizing and discriminatory. To avoid this and to simplify public communications, WHO encourages national authorities, media outlets and others to adopt these new labels.

Auch Indien hält nichts von der Bezeichnung „indische Variante“

Wie der Deutschlandfunk meldet, hat das indische Informations- und Technologieministerium Online-Plattformen Ende Mai 2021 dazu aufgerufen, den Ausdruck „indische Variante“ im Zusammenhang mit der in Indien entdeckten Coronavirus-Mutante B.1.617 nicht zu gebrauchen. Begründet wurde dies unter anderem damit, dass die WHO diese Variante nicht mit einem bestimmten Land in Verbindung gebracht habe.

Mehr zum Thema

Weiterführender Link

Richard Schneider

Leipziger Buchmesse 2024