Im Werk des niederländischen Bildhauers und Malers Hans Bayens (1924 – 2003) haben wir eine gelungene bildliche Darstellung einer Übersetzerin des ausgehenden 20. Jahrhunderts entdeckt.
Das Gemälde
Das Porträt zeigt die Literaturübersetzerin Thérèse Cornips (1926 – 2016) an ihrem Schreibtisch bei der Arbeit. Das Gemälde entstand 1987, sodass vor ihr kein Computer, sondern eine Schreibmaschine zu sehen ist. Inmitten des kreativen Chaos auf der großen Tischplatte fällt diese aber nicht weiter auf. Würde man sie durch einen Laptop ersetzen, hätten wir ein typisches Mitglied des Literaturübersetzerverbandes VdÜ vor uns.
Dass hier eine Übersetzerin und keine Schriftstellerin dargestellt wird, erkennt man an dem ausgangssprachlichen Werk, das als Übersetzungsvorlage auf einem Leseständer aufgeschlagen vor ihr steht.
Die Übersetzerin
Cornips übertrug aus dem Deutschen, Englischen und Französischen Klassiker wie Goethe, Hesse, Capote, Dickinson und Duras in ihre Muttersprache Niederländisch.
Bekannt wurde sie mit der vollständigen Übersetzung von Marcel Prousts siebenteiligem Romanzyklus À la recherche du temps perdu.
Die Arbeitsbibliothek, die sie für ihre jahrzehntelange Beschäftigung mit Proust aufgebaut hatte, wurde nach ihrem Ableben dem Europäischen Übersetzer Kollegium (EÜK) in Straelen gestiftet.
Der Maler
Hans Bayens studierte an der Nationalen Hochschule für Schöne Künste in Antwerpen, arbeitete einige Zeit in Paris und ließ sich 1952 in Amsterdam nieder.
Er arbeitete als Maler in einem impressionistischen Stil und wird der Bewegung des „unabhängigen Realismus“ zugerechnet.
Das Original des oben abgebildeten Gemäldes wird im städtischen Frans-Hals-Museum im niederländischen Haarlem verwahrt.
Bayens hat von Cornips auch eine Zeichnung mit Pastellkreide angefertigt, deren Jahreszahl sich nicht entziffern lässt:
Die Kunst hat Übersetzer noch nicht als Sujet entdeckt
Künstlerische Darstellungen von Übersetzern in ihrem Arbeitsumfeld sind kein Sujet der Malerei und dementsprechend selten.
Eine Ausnahme stellen Sophronius Eusebius Hieronymus und Martin Luther dar, die über die Jahrhunderte dutzendfach in Holz geschnitzt, in Kupfer gestochen oder in Öl auf Leinwand gebannt wurden. Entsprechende Abbildungen zeigen den Kirchenvater und den Reformator oft ausdrücklich beim Übersetzen.
Weiterführender Link
- Gemälde von Hans Bayens in höherer Auflösung herunterladen (2048 x 1471 Pixel, eignet sich auch als Bildschirm-Hintergrund).
Richard Schneider