Niederländische Gerichtsdolmetscher starten Petition – Übergabe in Den Haag geplant

ORTV-Protest
Protestveranstaltung des ORT&V im Oktober 2021. - Bild: ORTV

Die niederländische Gerichtsdolmetschervereinigung Orde van Registertolken en -vertalers (ORT&V) ruft erneut zu einer Protestaktion gegen die veränderte Ladungspraxis der Justiz auf. Nach im Jahr 2020 angekündigten und inzwischen umgesetzten Reformen können nun auch minderqualifizierte Sprachkundige mit B2-Sprachniveau regulär vor Gericht eingesetzt werden – und nicht mehr nur im Notfall.

Im Januar 2020 und im Oktober 2021 war es deshalb bereits zu Aktionstagen und längeren Streiks der in der Gerichtsdatenbank (Register) eingetragenen Justizdolmetscher und -übersetzer gekommen. Unterredungen mit dem damaligen Justizminister und Parlamentsdebatten zum Thema blieben weitgehend ohne Wirkung.

Im Zuge der Proteste ist Ende 2020 auch der neue, speziell auf Gerichtsdolmetscher ausgerichtete Verband ORT&V entstanden. Die Angehörigen der Berufsgruppe fühlten sich damals von den etablierten Übersetzerverbänden der Niederlande im Stich gelassen.

Jetzt hat der ORT&V eine Online-Petition gestartet, die am 04.02.2022 bereits von mehr als 800 Unterstützern gezeichnet wurde. Diese soll am 14. Februar 2022 am Regierungssitz in Den Haag im Rahmen einer Protestkundgebung an Justizministerin Dilan Yeşilgöz-Zegerius übergeben werden.

Interessant ist, dass in den Niederlanden ebenso wie in Österreich, wo sich die Gerichtsdolmetscher ebenfalls in einer schwierigen Lage befinden, die im deutschen JVEG (Justizvergütungs- und -entschädigungsgesetz) festgeschriebenen Honorarsätze und Abrechnungsverfahren als mustergültig betrachtet werden. Auch die vom ORT&V initiierte Petition bezieht sich an einer Stelle auf die deutschen Honorarsätze:

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ORTV-Logo
Bild: ORT&V

An die Ministerin für Justiz und Sicherheit, Frau D. Yeşilgöz-Zegerius

Dolmetscher und Übersetzer protestieren gegen die Politik des Ministeriums für Justiz und Sicherheit

Die auf C1-Niveau eingetragenen Dolmetscher und Übersetzer, vertreten durch den Orde van Registertolken en -vertalers, stellen fest, dass die Qualität der niederländischen Rechtspflege zunehmend untergraben wird. Die kommerziellen Vermittlungsagenturen, denen die Regierung eine immer größere Rolle im System zugestanden hat, wählen die Dolmetscher und Übersetzer nicht nach Qualität, Professionalität und Fachkenntnissen aus, sondern nach preislichen Gesichtspunkten.

Zwar erklärt das Ministerium, es lege Wert auf Qualität, es bezieht sich dabei aber lediglich auf die Qualität der von den Agenturen erbrachten Vermittlungsleistung, nicht auf die der Dolmetscher und Übersetzer selbst.

Das kann so nicht weitergehen.

Wir haben festgestellt, dass in den bereits ausgeschriebenen Losen immer weniger Dolmetscher auf C1-Niveau eingesetzt werden. Stattdessen setzen die Vermittler Dolmetscher ein, die auf dem niedrigeren Sprachniveau B2 arbeiten. Zudem sind die Entscheidungen nicht hinreichend transparent. Sowohl die C1-Dolmetscher als auch die Kunden/Auftraggeber werden dadurch benachteiligt.

Darüber hinaus machen wir uns große Sorgen um den Datenschutz im Rahmen von Telekommunikationsüberwachungen, da es keine Kontrolle über die Art und Weise gibt, wie die vermittelnden Agenturen mit persönlichen Daten umgehen.

Was ist zu tun?

  • Die gegenwärtige Ausschreibungspraxis für Dolmetsch- und Übersetzungsdienste muss beendet werden.
  • Die bereits ausgeschriebenen Lose müssen zeitnah unabhängig und transparent kontrolliert werden.
  • Die Arbeits- und Beschäftigungsbedingungen müssen so verbessert werden, dass sie der unverzichtbaren Stellung der C1-qualifizierten Registerdolmetscher und -übersetzer angemessen sind.
  • Honorarsätze nach deutschem Muster, d. h. mindestens 85,00 Euro pro Stunde.
  • Jährliche Indexierung der Honorare für Dolmetscher und Übersetzer.
  • Einführung der Normzeile (zwischen 1,80 und 2,10 Euro pro Normzeile) und Abschaffung der Abrechnung nach Zieltext-Wörtern bei Übersetzungen.
  • Bei Dolmetschern Abschaffung der Bezahlung nach Minuten und Einführung einer Bezahlung für die gebuchte Zeit mit Aufrundung auf die volle Stunde, wenn diese Zeit überschritten wird.
  • Wahrung der Anonymität und Sicherheit von Dolmetschern und Übersetzern, die für die Polizei an sensiblen Ermittlungsfällen beteiligt sind.

Warum ist das wichtig?

Der Orde van Registertolken en -vertalers hat festgestellt, dass Dolmetscher des niedrigeren Sprachniveaus B2 zunehmend auch im komplexen juristischen Umfeld der Gerichte eingesetzt werden. Erfahrene vereidigte Übersetzer, die sich auf das Straf- und Einwanderungsrecht spezialisiert haben, sind nicht mehr bereit, für Honorarsätze zu arbeiten, die seit 1963 nicht mehr angehoben wurden und die jetzt sogar um durchschnittlich 30 % gesenkt werden.

Das ist von Belang, denn unsere Arbeit kann erhebliche rechtliche Folgewirkungen nach sich ziehen. Unter Umständen wird ein Asylantrag abgelehnt, weil der Dolmetscher Aussagen des Betroffenen nicht richtig wiedergegeben hat. Ein bei einer Abhörung missverstandenes Wort kann eine höhere Haftstrafe zur Folge haben, weil der Verdächtige seine Sicht der Dinge nicht richtig darstellen konnte. Man könnte viele Beispiele dieser Art nennen, die einen Verstoß gegen Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention darstellen.

In Anbetracht der vorangehend dargestellten Sachlage werden wir unsere Petition am 14. Februar 2022 in Den Haag übergeben:

  • an die Ministerin für Justiz und Sicherheit,
  • an den Präsidenten des Rates für das Justizwesen (Raad voor de rechtspraak), und
  • an den Korpschef der Polizei (Nationale Politie).

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Weiterführende Links

Richard Schneider