PEN-Präsident Deniz Yücel mahnt: „Der Feind heißt Putin, nicht Puschkin“

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Der Aktionismus im Rahmen der allgemeinen Begeisterung für einen umfassenden militärischen und wirtschaftlichen Krieg gegen Russland schlägt immer häufiger in plumpe anti-russische Ressentiments um. Viele Maßnahmen, die das Gefühl vermitteln, zumindest „ein Zeichen gesetzt zu haben“, treffen die Falschen:

  • Die Frankfurter Buchmesse, die über Jahrzehnte die Freiheit des Wortes und der Literatur tapfer verteidigt hat, ließ sich jetzt dazu hinreißen, den russischen Nationalstand von einer Teilnahme an der Messe im Oktober auszuschließen.
  • Die Europäische Union hat die Zusammenarbeit mit Russland auch im Bereich Forschung und Wissenschaft aufgekündigt. Durch die Beendigung der Programme Horizon Europe und Horizon 2020 sind 90 laufende Wissenschaftsprojekte ohne jeden politischen Bezug betroffen.
  • Und das PEN-Zentrum Ukraine hat gemeinsam mit dem Ukrainischen Buchinstitut, dem Lviv International BookForum und dem Book Arsenal in Kiew gar dazu aufgefordert, russische Literatur allgemein und insgesamt zu boykottieren. Selbst die Förderung von Übersetzungen in andere Sprachen solle eingestellt werden.

PEN Deutschland: Wahnsinn siegt, Vernunft und Menschlichkeit verlieren

Das PEN-Zentrum Deutschland tritt jetzt Forderungen entgegen, Bücher russischer Autoren nicht mehr aufzulegen, anzubieten, zu lesen oder ihre Stücke nicht mehr aufzuführen. „Wenn wir uns zu solchen Reflexen, zu Pauschalisierungen und Anfeindungen gegen Russinnen und Russen hinreißen lassen, hat der Wahnsinn gesiegt, die Vernunft und die Menschlichkeit verloren“, so die Schriftstellervereinigung in einer Pressemitteilung:

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Darmstadt, 6. März.2022. Es herrscht Krieg in Europa. Der russische Autokrat Wladimir Putin lässt seine Truppen die Ukraine überfallen. Alle, die in diesem verbrecherischen Angriffskrieg zu Tode kommen, sind Putins Opfer: sowohl die ukrainischen Zivilist:innen, als auch die ukrainischen Soldat:innen, die die Freiheit ihres Landes gegen Totalitarismus und Willkür verteidigen. Und auch die oft getäuschten und stets schlecht ausgerüsteten russischen Soldat:innen, die im Kampf für Putins Machtphantasien und Bedrohungsparanoia sterben, sind Opfer dieses Völkerrechtsbruchs.

Darum begrüßt das deutsche PEN-Zentrum Maßnahmen, die geeignet sind, die russische Kriegswirtschaft zu schwächen und das Putin-Regime international zu ächten. Doch wenn vom Ausschluss aus dem SWIFT-System bestimmte Banken ausgenommen werden, um Gaslieferungen aus Russland nicht zu gefährden oder die Verluste deutscher Banken zu mindern, lautet die fatale wie falsche Botschaft: Europa ist solidarisch, solange es uns nicht zu viel kostet.

Angesichts solch inkonsequenter Maßnahmen – oder der lange Zeit insbesondere von der Bundesregierung verweigerten praktischen Hilfe an die Ukraine – wirken Forderungen, Bücher russischer Autor:innen zu boykottieren oder ihre Stücke nicht mehr aufzuführen, erst recht nach symbolischen Ersatzhandlungen.

Ein pauschaler Boykott beträfe zudem die mutigen Kolleginnen und Kollegen in Russland, die Putins skrupelloser Gewaltherrschaft und diesem Krieg widersprechen.

Wenn wir uns zu solchen Reflexen, zu Pauschalisierungen und Anfeindungen gegen Russinnen und Russen hinreißen lassen, hat der Wahnsinn gesiegt, die Vernunft und die Menschlichkeit verloren.

PEN-Präsident Deniz Yücel erklärte: „Der Feind heißt Putin, nicht Puschkin, Tolstoi oder Achmatowa. Der PEN steht an der Seite aller Menschen in allen Ländern, die in Frieden, Freiheit und Würde leben wollen.“

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Über das PEN-Zentrum Deutschland

Das PEN-Zentrum Deutschland mit Sitz in Darmstadt ist der deutsche Ableger der Schriftstellervereinigung PEN International (Poets, Essayists, Novelists). Der Journalist und Schriftsteller Deniz Yücel ist seit Oktober 2021 dessen Präsident.

International wie national setzt sich der Verband vor allem für einen Schutz der Freiheit der Literatur ein. Hierzu gehören ein ungehinderter Gedankenaustausch und die freie Meinungsäußerung. Ausdruck dieses Engagements sind die PEN-Programme Writers in Prison und Writers in Exile.

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