Uni Heidelberg veranstaltet 1935 erste öffentliche Dolmetschkonferenz – Presse ist begeistert

Heidelberg, Brücke Altstadt
Das "Institut für Übersetzen und Dolmetschen" (IÜD) befindet sich in der Heidelberger Altstadt. Seit 90 Jahren werden hier Dolmetscher und Übersetzer ausgebildet. - Bild: ujaldi / Pixabay

Das Institut für Übersetzen und Dolmetschen der Universität Heidelberg ist zu Recht stolz auf die gut 90-jährige Tradition seiner Dolmetsch-Übungskonferenzen, die am Institut als „Montagskonferenzen“ bekannt sind. Diese praxisnahe Komponente der Dolmetscherausbildung wurde später von anderen Einrichtungen übernommen, zum Beispiel dem Fachbereich in Germersheim, wo sie als „Freitagskonferenz“ stattfindet.

Das Konzept wurde im Dezember 1935 vor mehreren Hundert Zuhörern erstmals der Öffentlichkeit vorgestellt. Der dazu ebenfalls eingeladene Vertreter der Badischen Presse war begeistert, wie einem Bericht vom 12. Dezember 1935 zu entnehmen ist.

Der in Heidelberg beschrittene Weg sei „neuartig“, „erfolgversprechend“ und stelle eine „der praktischen Wirklichkeit sehr weit angenäherte Ausbildungsmöglichkeit der Dolmetscher“ dar. Die Demonstration sei „überraschend gut“ verlaufen.

Wie dem Bericht zu entnehmen ist, wurde damals noch nicht simultan, sondern konsekutiv gedolmetscht.

Nachfolgend der Zeitungsartikel im Wortlaut. Gesperrter Druck im Original wurde durch Fettschrift ersetzt.

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Konferenz-Dolmetschen
an der Universität Heidelberg.

Das Dolmetscher-Institut an der Universität Heidelberg hat zur praktischen Ausbildung des deutschen Dolmetschernachwuchses einen neuartigen und – soweit man das nach dem ersten Versuch sagen kann – erfolgversprechenden Weg beschritten. Neben der wissenschaftlichen Ausbildung im Institut und der hier nur im kleinen Rahmen der Fachinteressenten möglichen praktischen Ausbildung wurde in der Aula der alten Universität zum erstenmal in Deutschland ein öffentliches Konferenz-Dolmetschen durchgeführt.

Vor einer mehrere hundert Personen zählenden Zuhörerschaft, die sich aus Angehörigen der in der staats- und wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät zusammengeschlossenen Dolmetscher-, Zeitungswissenschaft- und Auslandskunde-Institute zusammensetzte, sprach der Assistent des Erziehungswissenschaftlers Professor Dr. Krieck, Dr. Clasen, über den Arbeiter und Bauern als Grundpfeiler des japanischen Staates. Anschließend wurde der Versuch unternommen, diesen Vortrag vor der gesamten Zuhörerschaft mündlich ins Französische und Englische zu übertragen. Je vier Schüler bzw. Schülerinnen des Dolmetscher-Instituts übernahmen diese Aufgabe und lösten sie – wenn man dem Urteil der vielen anwesenden Ausländer folgen darf – überraschend gut.

Das Erfreuliche an diesem neuen Weg der Sprachschulung ist – wie der Leiter des Zeitungswissenschaftlichen Instituts, Professor Dr. Adler, einleitend betonte – nicht nur die der praktischen Wirklichkeit sehr weit angenäherte Ausbildungsmöglichkeit der Dolmetscher, sondern darüber hinaus auch eine Vertiefung des Wesens der Sprache bei den übrigen beteiligten Studierenden der Staats- und Wirtschaftswissenschaften und nicht zuletzt auch eine ausgezeichnete Erweiterung der Schulungsmöglichkeiten des deutschen Pressenachwuchses, dem sich hier erstmalig ein beinahe wirklichkeitsgetreues Abbild einer internationalen Konferenz darstellte und zur journalistischen Verarbeitung anregte.

Der erste erfolgreiche Versuch in dieser Richtung ist gemacht. Das Ergebnis berechtigt zu der Hoffnung, daß die weiteren angekündigten „Konferenzen“ in den interessierten Kreisen der deutschen Wissenschaft, der Dolmetscher und Presse Widerhall finden.

M.W.

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Es ist anzunehmen, dass die Konferenz im Dezember 1935 nicht die erste, sondern lediglich die erste öffentliche Veranstaltung dieser Art war. Ihr dürften mehrere interne Probeläufe vorausgegangen sein.

Erste öffentliche Dolmetschkonferenz Heidelberg 1935
Quelle: Badische Presse, Generalanzeiger der Residenz Karlsruhe und des Großherzogtums Baden, 12.12.1935, Seite 10. Gefunden im Deutschen Zeitungsportal der Deutschen Digitalen Bibliothek.

Richard Schneider

 

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