EU-Plattformarbeitsrichtlinie: Arbeitgeberverbände befürchten Ende der Solo-Selbstständigkeit

Europa-Flagge
Bild: Mediamodifier / Pixabay

Sieben Arbeitgeberverbände haben eine gemeinsame Erklärung zur geplanten Plattformrichtlinie der EU abgegeben: der Arbeitgeberverband des privaten Bankgewerbes (AGVBanken), der Arbeitgeberverband Luftverkehr (AGVL), die Versicherer als Arbeitgeber (AGV), die Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), die Chemie-Arbeitgeber (BAVC), die Arbeitgeberverbände der Metall- und Elektroindustrie (Gesamtmetall) und der Unternehmerverband Deutsches Handwerk (UDH).

Die Richtlinie hat auch Auswirkungen auf freiberuflich tätige Übersetzer.

Die Pressemitteilung im Wortlaut (Hervorhebungen wie im Original):

*

EMPL-Bericht Plattformarbeitsrichtlinie: Ende der Solo-Selbstständigkeit in Europa

Im Dezember 2021 hat die Europäische Kommission ihren Vorschlag für eine Richtlinie zur Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Plattformarbeit vorgelegt. Als Verbände der Wirtschaft unterstützen wir nachdrücklich das Ziel der Richtlinie, eine korrekte Bestimmung des Beschäftigungsstatuts sicherzustellen. Der aktuelle Richtlinienvorschlag schießt unseres Erachtens deutlich über das Ziel hinaus, er ignoriert bereits vorhandene und etablierte Lösungen in den Mitgliedstaaten, ohne dass damit den Interessen der Beteiligten gedient ist.

Unsere Anmerkungen dazu:

Digitale Plattformen müssen sich genauso wie alle anderen Unternehmen an geltendes nationales Arbeits- und Sozialversicherungsrecht sowie europäisches Datenschutz- und Wettbewerbsrecht halten. Zu Recht stellt daher Art. 3 Absatz 1 des Kommissionsvorschlags fest:

Die Mitgliedstaaten halten geeignete Verfahren bereit, mit denen die korrekte Bestimmung des Beschäftigungsstatus von Personen, die Plattformarbeit leisten, überprüft und gewährleistet wird, um – unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Gerichtshofs – feststellen zu können, ob ein Arbeitsverhältnis besteht, wie es in den Rechtsvorschriften, Kollektiv- bzw. Tarifverträgen oder gemäß den Gepflogenheiten der Mitgliedstaaten definiert ist, und um sicherzustellen, dass diese Personen die Rechte genießen, die sich aus dem für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer geltenden Unionsrecht ergeben.

Leider stellt die Kommission die Artikel 3 zugrundeliegenden Prinzipien mit der Einführung einer widerlegbaren Rechtsvermutung (Artikel 4 und Artikel 5) selbst in Frage. Nach Artikel 4 soll eine Klassifizierung von Plattformtätigen als Arbeitnehmer auf Basis von europaweit einheitlichen Kriterien erfolgen. Darin sehen wir einen Eingriff in die von den Mitgliedstaaten selbst festgelegte Definition von Arbeitnehmern.

Das deutsche Arbeitsrecht bietet effektive Verfahren, um gegen Scheinselbstständigkeit vorzugehen. Ein europäischer Kriterienkatalog, der letztlich einen europäischen Arbeitnehmerbegriff widerspiegelt, beeinträchtigt den Geltungsanspruch des deutschen Arbeitnehmerbegriffs und verletzt damit das europäische Kompetenzgefüge.

Im Mai 2022 hat die S&D-Abgeordnete Elisabetta Gualmini ihren Berichtsentwurf im Beschäftigungsausschuss des Europäischen Parlaments vorgelegt, der bald abgestimmt werden soll.

Vier entscheidende Punkte sehen wir mit großer Sorge:

1) Vorschläge zur Erweiterung der Definition von digitalen Arbeitsplattformen: Dass schon die Verwendung von Computerprogrammen und -verfahren für die Vermittlung, Überwachung oder Organisation von Arbeit ausreichen soll, um Unternehmen als digitale Arbeitsplattform zu definieren, geht deutlich zu weit. Eine solche Definition würde praktisch die gesamte Wirtschaft erfassen: Jede von Vorgesetzten per E-Mail verfasste Arbeitsanweisung würde ein Unternehmen zur „digitalen Arbeitsplattform“ machen. Wir lehnen diese Erweiterung auf Unternehmen außerhalb der Plattformökonomie ab – sie widerspricht jedem Verständnis einer modernen, sich digitalisierenden Arbeitswelt.

Stattdessen muss sich die Definition von digitaler Arbeitsplattform rechtssicher auf jene digitale Arbeitsplattformen fokussieren, die als digitale Vermittler zwischen Angebot und Nachfrage eine kommerzielle Dienstleistung erbringen.

2) Zwangstarifbindung: Der Vorschlag in Artikel 3, alle als digitale Arbeitsplattform definierten Unternehmen zu verpflichten, die „in dem Tätigkeitsbereich geltenden Tarifvereinbarungen einzuhalten“, käme einem allumfassenden Tarifzwang gleich und würde die Koalitionsfreiheit nach Artikel 9 Absatz 3 Grundgesetz sowie Artikel 28 der EU-Grundrechtecharta verletzen. Tarifbindung muss freiwillig bleiben.

Darüber hinaus würde so das Ziel von Kommissionspräsidentin von der Leyen, die Sozialpartner und den sozialen Dialog zu stärken, völlig ad absurdum geführt. Eine Zwangsbindung würde sowohl Arbeitnehmern als auch Arbeitgebern jeden Anreiz nehmen, in eine Gewerkschaft einzutreten bzw. sich in Tarifverbänden zu engagieren.

3) Anwendung der gesetzlichen Vermutung eines Beschäftigungsverhältnisses ohne jegliche Kriterienbasis: Der vorgeschlagene Artikel 4 würde dazu führen, dass faktisch alle Personen die über digitale Arbeitsplattformen arbeiten, in ein Arbeitnehmerverhältnis gedrängt werden. Dies geht völlig am richtigen Ziel einer korrekten Vertragseinstufung vorbei. Die gesetzliche Vermutung darf nur anhand von den in den Mitgliedstaaten geltenden Maßgaben ausgelöst werden.

4) Kriterien zur Widerlegung: Die unerschöpfliche Liste an Kriterien zur Widerlegung der gesetzlichen Annahme macht eine freie Tätigkeit als Einzelunternehmer in der Praxis de facto unmöglich. Die Widerlegung vor Gericht muss immer anhand nationaler Kriterien erfolgen. In der aktuellen Form würde die Richtlinie einen europaweiten Arbeitnehmerbegriff für die Plattformökonomie einführen, der nicht mit den bestehenden nationalen Arbeitssystemen vereinbar ist und weitreichende Folgen hätte.

Wenn sich diese Forderungen durchsetzen sollten, würde die Solo-Selbstständigkeit als ein Teil der freien Unternehmertätigkeit in der EU kaum weiter existieren. Unternehmerinnen und Unternehmer, die Solo-Selbstständige sind, würden in Beschäftigungsverhältnisse gedrängt, auch wenn dies nicht in ihrem eigenen Interesse ist. Eine Widerlegung ihres Beschäftigungsverhältnisses würde nur selten positiv beschieden werden. In der Praxis wäre dieser Zwang in den Arbeitnehmerstatus vor allem für KMU benachteiligend, da es die Beauftragung externer Spezialisten und Berater erheblich erschweren würde. Gerade der Projektbereich ist durch spezialisierte Einzelunternehmer geprägt, die ihre Dienstleistungen verschiedenen Unternehmen anbieten. Zudem würde eine Zwangstarifbindung das Ende der passgenauen und interessengerechten Tarifverträge und letztlich der Tarifautonomie in Deutschland und Europa bedeuten.

Es bestehen Herausforderungen in der Plattformökonomie, die wir durch Lösungen angehen müssen, die auf die spezifischen Probleme ausgerichtet sind. Davon ist der Entwurf der EMPL-Berichterstatterin weit entfernt. Das Signal an und die Folgen für den digitalen Fortschritt und die Solo-Selbstständigkeit wären europaweit fatal.

Wir rufen daher die zuständigen Verhandlerinnen und Verhandler im Europäischen Parlament und im Rat dazu auf, sich für Lösungen einzusetzen, die der eigentlichen und richtigen Zielsetzung des Richtlinienvorschlags Rechnung tragen.

Dafür müssen wir Abstand von verheerenden Definitionserweiterungen, einer Zwangstarifbindung und verfehlten Massenreklassifizierungen von freien Unternehmern in Form der Solo-Selbstständigkeit nehmen.

* * *

red