Ukraine: Selenskyj unterzeichnet Gesetz zum Verbot russischer Ortsnamen

Ukraine-Flagge
Bild: Muhammad Imran / Pixabay

Nach dem Motto „wie du mir, so ich dir“ bekämpft die Ukraine seit dem Zerfall der Sowjetunion die russische Sprache. Und zwar auf die gleiche Weise, wie über Jahrhunderte zuvor von russischer Seite die ukrainische Sprache unterdrückt wurde.

Jetzt hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj weitere Gesetze zur Entrussifizierung unterzeichnet, die russische Ortsnamen verbieten und Kenntnisse der ukrainischen Sprache und Geschichte zur Voraussetzung für die Staatsbürgerschaft machen. Das berichten unter anderem die New York Times und Der Spiegel.

„Öffentlichen Raum von Symbolen der russischen Welt befreien“

Nach einer vom ukrainischen Parlament verbreiteten Erklärung soll das Ortsnamen-Gesetz in drei Monaten in Kraft treten. Anschließend haben die Behörden auf kommunaler Ebene sechs Monate Zeit, um „den öffentlichen Raum von den Symbolen der russischen Welt zu befreien“, wie es heißt.

Ein nationales Gremium soll eine Liste von Ortsnamen erstellen, die getilgt werden sollen. Die Städte und Gemeinden sind verpflichtet, diese Vorgaben umzusetzen.

Der Umbenennungsfuror ist nicht neu und tobt schon seit Jahren. So hieß die 2023 unter dem Namen Bachmut zu trauriger Berühmtheit gelangte Stadt im russischsprachigen Osten der Ukraine von 1924 bis 2016 Artjomowsk (ukrainisch Artemiwsk). Ebenfalls 2016 wurde auch die viertgrößte Stadt des Landes, Dnipropetrowsk, in Dnipro umbenannt.

Ukraine bekämpft Teil ihrer eigenen Identität

Problematisch werden die Bemühungen zum Abwürgen der russischen Sprache dadurch, dass sie nicht nur die Sprache des verhassten großen Bruders ist, sondern auch Muttersprache von fast einem Drittel aller Ukrainer. Die früher unproblematische und selbstverständliche Zweisprachigkeit der Ukraine machte einen Teil ihres Charmes aus.

Damit ist es seit Beginn der „heißen Phase“ des Kriegs um die Ukraine im Jahr 2014 und spätestens seit dem Einmarsch der russischen Armee im Februar 2022 endgültig vorbei.

Maßnahmen verstoßen gegen Völkerrecht, KSZE und Europäische Charta

Die Maßnahmen der Ukraine zur Unterdrückung der russischen Sprache verstoßen ebenso wie die Maßnahmen Russlands zur Unterdrückung der ukrainischen Sprache in den russisch kontrollierten Gebieten gegen mehrere internationale Normen.

Im Lehrbuch Völkerrecht (herausgegeben von Vitzthum, Bothe, Dolzer et al.) heißt es unter der Überschrift „Recht auf Sprache“ in der Auflage von 2007:

Das Recht auf den Gebrauch der eigenen Sprache gehört zum Kern der völkerrechtlichen Minderheitenschutzrechte. Grundlegend sichert Art. 27 IPBPR [Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte] Angehörigen ethnischer, religiöser oder sprachlicher Minderheiten das Recht zu, sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen.

Auch das Kopenhagener Schlussdokument der KSZE vom 29.6.1990 will den Gebrauch von Minderheitensprachen schützen. Als Ausdruck ihrer Identität haben Angehörige nationaler Minderheiten u. a. das Recht, privat und öffentlich ihre Muttersprache zu sprechen und Informationen in ihrer Muttersprache zu verbreiten und auszutauschen. Ungeachtet der Notwendigkeit, die offiziellen Sprachen des jeweiligen Staates zu erlernen, soll Unterricht in der Muttersprache und – soweit notwendig und möglich – der Gebrauch der Muttersprache gegenüber Behörden ermöglicht werden.

Die Europäische Charta der Regional- oder Minderheitensprachen des Europarats von 1992 schafft keine individuellen Rechte für die Angehörigen von Minderheiten, betont aber die allgemeine kulturelle Bedeutung der Sprache.

Auch das Rahmenübereinkommen zum Schutz nationaler Minderheiten des Europarats von 1995 respektiert den freien Sprachgebrauch.

Artikel 27 des oben genannten „Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte“, der auch von der Ukraine und Russland ratifiziert wurde, lautet:

In Staaten mit ethnischen, religiösen oder sprachlichen Minderheiten darf Angehörigen solcher Minderheiten nicht das Recht vorenthalten werden, gemeinsam mit anderen Angehörigen ihrer Gruppe ihr eigenes kulturelles Leben zu pflegen, ihre eigene Religion zu bekennen und auszuüben oder sich ihrer eigenen Sprache zu bedienen.

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Richard Schneider