Gibt es queeres Übersetzen? Workshop mit Kim de l’Horizon im Übersetzerhaus Looren

Übersetzungswerkstatt Blutbuch, Kim de l'Horizon
Gruppenbild mit Autor: Oben: Iryna Herasimovich (Leitung), Gabriela Stöckli (Geschäftsleiterin Übersetzerhaus Looren), Sano Rabasa (Küchenhilfe), Antonia Maino (Gästebetreuerin) und Elbert Besaris, Rose Labourie, Zuzana Demjánová, Ute Neumann. Mitte: Nataša Medved, Jamie Lee Searle, Silvia Albesano, Autor Kim de l’Horizon, Yanik Riedo. Unten: Ditte Hermansen, Ibon Zubiaur, Jana van Luxemburg, Joan Ferrarons i Llagostera. - Bild: Monica Mutti

Vom 13. bis 18. Mai 2023 findet im Übersetzerhaus Looren in Wernetshausen im Zürcher Oberland eine Übersetzungswerkstatt der besonderen Art statt. In diesem Zeitraum treffen sich elf Übersetzer, die alle den Roman Blutbuch übersetzen.

Autor Kim de l’Horizon ist an drei Tagen ebenfalls anwesend. Sein Blutbuch machte in den letzten Monaten viel von sich reden und wurde mit dem Schweizer und dem Deutschen Buchpreis ausgezeichnet.

Die Übersetzungsrechte für das literarisch hochkomplexe Werk wurden bereits in ein gutes Dutzend Sprachen verkauft. Die Übersetzer ins Italienische, Niederländische, Slowakische, Katalanische, Dänische, Französische, Tschechische, Kroatische, Norwegische, Englische und Spanische kommen nun für sechs Tage im Übersetzerhaus Looren zusammen, um sich über ihre Arbeit an dem Roman auszutauschen. Geleitet wird die Werkstatt von der belarusischen Übersetzerin Iryna Herasimovich.

Blutbuch zu übersetzen, ist eine große Herausforderung. Der Text bedient sich einer geschlechtergerechten Sprache, spielt mit dem Berndeutschen und mit verschiedenen literarischen Formen und Registern.

Wie übersetzt man das Bern-deutsche Verb braven ins Tschechische? Wie bezeichnet man eine genderneutrale Figur im Spanischen? Was, wenn Treue gegenüber dem Original gerade erst durch große sprachliche Freiheit und unkonventionelle Spielerei entstehen kann?

Diese und viele andere Fragen sind Thema der Übersetzerwerkstatt. Dabei haben die Teilnehmer auch Gelegenheit, sich drei Tage lang direkt mit Autor auszutauschen.

Blutbuch-Werkstatt
Arbeitssitzung unter der Leitung von Iryna Herasimovich (unter der Leinwand). – Bild: Gabriela Stöckli (Übersetzerhaus Looren)

Übersetzerin: „Der schwierigste Text, den ich bisher übersetzt habe“

Jamie Lee Searle, Übersetzerin ins Englische:

Kim de l’Horizons Blutbuch zu übersetzen ist eine lebensbejahende Herausforderung; ein perfektes Beispiel dafür, warum ich meine Arbeit als Übersetzerin liebe. Kims Schreiben ist kreativ, verspielt und wild, und daher muss – erfreulicherweise – der Übersetzungsprozess auch so sein.

Ich bin noch in der Entwurfsphase und weiss noch nicht genau, wie ich die sprachlichen Herausforderungen lösen werde, aber ich muss einfach vertrauen. Wie in Blutbuch betont wird, ist die Kreativität, die Schreibwut, etwas, das nur entsteht, wenn man darin eintaucht! Der Austausch mit den anderen Teilnehmenden in Loorenwird sicherlich eine bereichernde Erfahrung sein.

Ute Neumann, Übersetzerin ins Norwegische:

Das Übersetzen der gendersensiblen Sprache in Blutbuch lehrt mich, dass auch die norwegische Sprache nicht so progressiv ist, wie ich dachte. Die Probleme treten nicht unbedingt an den gleichen Stellen wie im Original auf, aber es zeigt sich, dass Diskriminierung an unerwarteten Stellen versteckt sein kann. Die Arbeit mit Blutbuch zwingt mich zu einer neuen Auseinandersetzung mit meiner Zielsprache.

Joan Ferrarons i Llagostera, Übersetzer ins Katalanische:

Trotz aller Herausforderungen macht die Arbeit an der Übersetzung von Blutbuch unglaublich viel Spaß, denn man fühlt sich als Übersetzer eingeladen, gegen die „guten Sitten“ der Zielsprache spielerisch zu verstoßen, um der unkonventionellen Vielstimmigkeit des Originals treu zu bleiben. Dadurch wird das Übersetzen an sich queer. Ich freue mich sehr auf den Austausch mit Kim de l’Horizon und den anderen Teilnehmenden, der sicherlich bereichernd sein wird.

Ditte Hermansen, Übersetzerin ins Dänische:

Es ist wunderbar, mit so einem außergewöhnlichen Text wie Blutbuch zu arbeiten. Es ist wirklich der schwierigste Text, den ich bisher übersetzt habe.

Normalerweise ist es bei der Übersetzung wichtig, dass man konsequent bleibt – und genau das werde ich bei Blutbuch oft nicht tun können. Manchmal werde ich Kims selbstgemachte Wörter übernehmen, manchmal nicht, manchmal werde ich versuchen, den Dialekt zu übernehmen, manchmal nicht.

Blutbuch ist ein Feeling, man bleibt dem Buch treu, indem man sich auf seinen Vibe einlässt.

Ibon Zubiaur, Übersetzer ins Spanische:

Die Übersetzung von Blutbuch stellt einen vor allerlei Herausforderungen, von der Sieben-Wörter-Verhexung im zweiten Teil zum ironischen Denglisch im dritten. Im Spanischen erfordert zudem die Grammatik viel mehr Binarität, aber in Absprache mit Kim entstand daraus ein Gewinn: Das Kind wird nun genderfluid in einer Form, die auf Deutsch nicht möglich wäre.

Jana van Luxemburg, Übersetzerin ins Tschechische:

Die größte Herausforderung für mich sind die Schweizerdeutschen Passagen, vor allem der Lebenslauf von Barbara Züllig, weil es ein größeres Textstück ist.

Ich habe vorläufig verschiedene Lösungen für kürzere Passagen auf Berndeutsch gefunden, aber hier weiß ich noch nicht genau, wie ich es lösen soll. Ich kann nicht einfach einen tschechischen Dialekt verwenden, und muss wahrscheinlich manche Wörter selbst erfinden. Beim Wort braven habe ich das beispielsweise schon gemacht.

Im Übersetzerhaus Looren können Literaturübersetzer aus der ganzen Welt wohnen und arbeiten. Hier finden Weiterbildungen statt und auch regelmäßig öffentliche Veranstaltungen.

Weiterführender Link

Gabriela Stöckli (Übersetzerhaus Looren)

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