Nominiert für Preis der Leipziger Buchmesse, Übersetzung: Lee, Olof, Palmes, Seitz, Winkler

Leipziger Buchmesse, Treppe
Bild: Jens Schlüter / LBM

Die Jury des Preises der Leipziger Buchmesse 2024 hat bekannt gegeben, welche 15 Buchtitel in den Kategorien Belletristik, Sachbuch/Essayistik und Übersetzung in die engere Auswahl gekommen sind. In der Kategorie Übersetzung sind nominiert:

  1. Ki-Hyang Lee hat aus dem Koreanischen Der Fluch des Hasen von Bora Chung übersetzt (erschienen bei CulturBooks, September 2023)
  2. Klaus Detlef Olof hat aus dem Slowenischen 18 Kilometer bis Ljubljana von Goran Vojnović übersetzt (Folio Verlag, August 2023)
  3. Lisa Palmes hat aus dem Polnischen Bitternis von Joanna Bator übersetzt (Suhrkamp Verlag, Oktober 2023)
  4. Jennie Seitz hat aus dem Russischen Nimm meinen Schmerz – Geschichten aus dem Krieg von Katerina Gordeeva übersetzte (Droemer HC, Oktober 2023)
  5. Ron Winkler hat aus dem Englischen Angefangen mit San Francisco – Gedichte von Lawrence Ferlinghetti übersetzt (Schöffling & Co., August 2023)

Die Bekanntgabe des Gewinners erfolgt in Oscar-Manier am 21. März 2024 um 16:00 Uhr in der Glashalle des Leipziger Messegeländes. Die Verleihung der Preise wird auf der Website der Buchmesse und auf deren YouTube-Kanal direkt übertragen.

Die fünf Nominierten erhalten je 1.000 Euro, der Sieger zusätzlich 15.000 Euro.

Nominierte Preis Leipziger Buchmesse Übersetzung
Die fünf Nominierten Titel und Übersetzer für den Preis der Leipziger Buchmesse in der Kategorie Übersetzung. – Bild: LBM

(1) Der Fluch des Hasen

Jurybegründung: Bora Chung leuchtet die Abgründe der südkoreanischen Gesellschaft bedrohlich hell aus. Oft könnten sie auch unsere sein: das patriarchale Gesundheitssystem beschert einer jungen Frau eine unbefleckte Empfängnis, die wohlständigen Ausscheidungen einer anderen Frau reproduzieren sich. Oder sie? Ki-Hyang Lee hat Chungs bizarre Kurzgeschichten in eine pointierte und leicht neben die Norm gesetzte Prosa gebracht, die dem Absurden und Unheimlichen im Deutschen eine angemessen eigenartige Form gibt.

Leseprobe: »Gegenstände, die dafür bestimmt sind, mit einem Fluch belegt zu werden, sollten besonders hübsch sein«, pflegte mein Großvater zu sagen. Und die Lampe war ausgesprochen niedlich. Sie hatte die Form eines Hasen, der unter einem Baum sitzt. Der Baum wirkte etwas plump, aber der Hase war mit großer Sorgfalt ausgestaltet. Die Spitzen der Ohren und das Schwänzchen waren ebenso tiefschwarz wie seine Augen, sodass sich der Körper schneeweiß dagegen abhob. Er bestand aus einem harten Material, aber das rosa Schnäuzchen und das Fell waren ganz fein und sorgfältig gearbeitet, um den Anschein von Weichheit zu vermitteln. Schaltete man die Lampe an, erstrahlte der Körper hell, und man glaubte für einen Augenblick, der Hase wäre lebendig und würde jeden Moment das Näschen rümpfen. Jeder Gegenstand hat seine Geschichte. Da stellt dieser hier keine Ausnahme dar, ganz besonders, weil er verflucht ist.

(2) 18 Kilometer bis Ljubljana

Jurybegründung: Dieses Buch ist ein Schimpfkunstwerk, der innere Monolog eines bosnischen jungen Mannes am Plattenbaurand der slowenischen Gesellschaft, der uns von der Tragödie des ehemaligen Jugoslawiens erzählt: der Auflösung einer Vielvölkerutopie und ihren sozialen Folgen. Von verlorener Identität, von Gewalt, Anpassung und Rebellion, Dazugehören und Verlassenwerden. Klaus Detlef Olof hat den Rhythmus, den bitteren Humor und die sprachliche Dynamik von Goran Vojnovićs Milieuroman glänzend ins Deutsche übertragen.

Leseprobe: Ich fuhr über die Autobahn und zählte die Kilometer bis Ljubljana. Noch dreiundsechzig. Noch einundsechzig. Noch fünfundvierzig. Der Schriftzug Ljubljana auf den grünen Schildern machte mir zum ersten Mal im Leben Freude. Weil in Ljubljana Fužine war und weil ich mich in Fužine verstecken konnte. Dort hatte ich keine Angst vor irgendwelchen Schreckgespenstern, weil ich dort zu Hause war und ich jedem sagen konnte, dass er verschwinden soll. Noch achtzehn Kilometer bis Ljubljana. Noch ein bisschen, dann bin ich dieser Bela Krajina und Dolenjska entkommen, all diesen Grosupljanern und Škofljicern, denn die trauen sich nicht nach Ljubljana, und schon gar nicht nach Fužine. Sie wissen, dass dort befreites Gebiet ist. Dass dort die Tschefuren wohnen. Dass das meine Leute sind. Nur noch zehn Kilometer. Noch ein paar Tunnel, und ich bin in Ljubljana. Daheim.

(3) Bitternis

Jurybegründung: Vier Generationen von Frauen in Polen, die dafür, dass sie Urahnin, Großmutter, Mutter und Tochter sind, erstaunlich wenig voneinander wissen. Die Verschiedenheit ihrer Leben vermittelt Joanna Bator durch die unterschiedliche sprachliche Textur der ihnen gewidmeten Kapitel. Es ist Lisa Palmes zu verdanken, dass dies auch im Deutschen mit allen Sinnen spürbar wird. Gerüche, die Stofflichkeit der jeweiligen Epoche, die Erfahrung von Gewalt in einer Männerwelt werden so sprachlich erfahrbar.

Leseprobe: Violetta forderte permanente Beachtung, und wenn sie sie nicht bekam, begann sie zu toben. Niemand könne sie verstehen, es fehle eben allen an emotionaler Tiefe und Empathie. Warum, mein Gott, bohrst du in mich all deine Messer?, rief sie, und kurz darauf war sie verschwunden; wenn sie einige Monate später wieder auftauchte, trug sie ihr Haar anders, roch anders und hatte einen völlig neuen Lebensentwurf im Gepäck. Sie trommelte mit ihren künstlichen Fingernägeln auf die Tischplatte und wartete, bis wir unsere Position hinter ihr oder an ihrer Seite eingenommen hatten, aber natürlich machten wir wieder alles falsch. Mein Gott, du bohrst in mich all deine Messer! Barbara kochte schlecht, ich aß schlecht, unser Kleidungsstil war unsäglich, das Haus stand in einer furchtbaren Gegend, die ganze Stadt hatte sich gegen sie verschworen.

(4) Nimm meinen Schmerz – Geschichten aus dem Krieg

Jurybegründung: Die Journalistin Katerina Gordeeva begleitet seit Beginn des russischen Angriffskriegs Menschen aus der Ukraine und Russland. Für ihr Buch hat sie die Interviews zu Erzählungen in der Tradition von Swetlana Alexijewitsch verdichtet. Die Übersetzerin Jennie Seitz macht die verstörenden Erfahrungen eindringlich lesbar. Dabei sind die Stimmen in Ton und Sprechweise präzise unterschieden. Die Übersetzung entwickelt eine beeindruckende literarische Ausdruckskraft, um Angst und Schmerz zu dokumentieren.

Leseprobe: Ich bin Journalistin. Ich habe jahrelang für das russische Fernsehen gearbeitet, war als Reporterin an vielen Brennpunkten unterwegs. Ich musste meine Tätigkeit für das Fernsehen aufgeben, als das freie Wort nach und nach durch Propaganda ersetzt wurde und die Professionalität durch Loyalität gegenüber dem Regime. Nach der Annexion der Krim und der Entfesselung des Kriegs im Südosten der Ukraine verließ ich Russland. Ich wurde freie Journalistin: Ich betreibe einen YouTube-Kanal mit 1,5 Millionen Followern, meine Filme werden von Dutzenden Millionen von Menschen gesehen. Auch im Exil hörte ich nicht auf, von Russland zu erzählen: Eine andere Heimat werde ich in diesem Leben nicht haben.

(5) Angefangen mit San Francisco – Gedichte

Jurybegründung: Ron Winkler hat Gedichte von Lawrence Ferlinghetti ausgewählt und aus dem amerikanischen Englisch auf eine Weise übersetzt, die das lyrische Werk des Beat-Poeten in seiner spielerischen Dimension freilegt, ohne die Herkunft aus dem »dunkelsten der Orte« zu vernachlässigen. Winklers Phantasie und sprachlicher Übermut führen in ein Klang-Konzert, das Ferlinghetti als Wahlverwandten von Dante und Chagall plausibel macht. – Eine Übersetzung, die aus heutiger Zeit auf einen Geist von damals antwortet.

Leseprobe:

Also
das war so
als wir da reinspazieren
legen grad zwei Jazzgestalten
nen Shitbop aufs Parkett
Und ich so
Alter lass mal gehen
doch da ist bäm
ganz plötzlich diese Lady hinter mir
und fragt
Wollen wir ein bisschen Existenz ausleben
Und ich so Wow
Doch am Morgen dann
da hat sie schlechte Zähne
und Lyrik geht für sie
mal gar nicht

Preis der Leipziger Buchmesse, Jury
Die Jury 2024: Insa Wilke (Vorsitzende), Moritz Baßler, Shirin Sojitrawalla, Maryam Aras, Cornelia Geißler, David Hugendick und Marie Schmidt. – Bild: Tobias Bohm

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red