Bereits 200 Jahre vor Martin Luther übersetzte ein unbekannter Österreicher die Bibel ins Deutsche. Ein Forschungsprojekt der Bayerischen Akademie der Wissenschaften an der Universität Augsburg ediert und kommentiert das Gesamtwerk des sogenannten Österreichischen Bibelübersetzers. Als weiterer Meilenstein steht nun der Editionstext des „Evangelienwerks“ in der Erstfassung digital zur Verfügung.
Die Webseite www.bibeluebersetzer-digital.de bietet in einer Beta-Version einen Einblick in den Text selbst und ermöglicht zudem das Studium von Digitalisaten und Transkriptionen der dazugehörigen Handschriften. Sie gibt Wissenschaftlern, aber auch der interessierten Öffentlichkeit die Gelegenheit, sich mit diesem bedeutenden Werk vertraut zu machen.
Nachdem im letzten Herbst das „Alttestamentliche Werk“ als Buch erschien, erreicht das Forschungsprojekt „Der Österreichische Bibelübersetzer – Gottes Wort deutsch“ der Bayerischen Akademie der Wissenschaften an der Universität Augsburg und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften in Berlin nun einen weiteren Meilenstein zur Digitalisierung der Werke des Österreichischen Bibelübersetzers.
Harmonisierte Übersetzung der Evangelien entstand um 1330
Um 1330 entstand zwischen Passau und Salzburg im ehemaligen Herzogtum Österreich mit dem „Evangelienwerk“ als Teil seines Gesamtwerks eine harmonisierte Übersetzung der Evangelien. Der anonyme österreichische Bibelübersetzer übersetzt und kommentiert hier nicht nur das Leben Jesu, wie es in den Evangelien erzählt wird, sondern erweitert und ergänzt diese auch um weitere geistliche Texte und Legenden. Kurz nach der ursprünglichen Übersetzung wurde der Text bearbeitet.
In dem Online-Portal steht nun neben den Digitalisaten aller Handschriften und deren Transkriptionen jetzt neu auch die kritische Edition zur Verfügung: Aus den unterschiedlichen Lesarten aller Handschriften wurde ein kritischer Text hergestellt, der es erlaubt, den gesamten Text der Evangelienharmonie in ihrer Ausgangsfassung zu lesen, inklusive verschiedener Anmerkungen – Apparate genannt. Diese dokumentieren sämtliche handschriftlichen Lesarten ebenso wie die Quellen des Verfassers.
Offengelegt werden in diesen Apparaten aber auch die Beziehungen des Textes zu anderen Schriften des Verfassers. Ebenso bietet die Edition auch Lesehilfen, die das Verständnis des oft einzigartigen und neuen Wortmaterials erschließt.
„Gleichzeitig ist ein Umschalten zwischen diesem kritischen Text und den Digitalisaten der Handschriften selbst wie auch deren Transkription möglich, kurz: Eine Ausgabe, die heutigen digitalen Standards entspricht und den Lesern zahlreiche neuartige Möglichkeiten der Texterschließung zur Verfügung stellt“, sagt Projektleiter Prof. Dr. Freimut Löser.
Auf dem Weg zur Gesamtedition: Transkriptionen online
Das seit 2016 laufende Akademieprojekt „Gottes Wort Deutsch“, dessen mehrköpfige Arbeitsgruppe in Bayern an der Universität Augsburg angesiedelt ist, hat es sich zum Ziel gemacht, bis 2027 eine gedruckte und eine digitale Edition der Werke des „Österreichischen Bibelübersetzers“ zu erarbeiten.
Ein wichtiger Zwischenschritt auf dem Weg zu diesem Ziel konnte im Dezember 2022 erreicht werde. Seither können online alle Digitalisate und Transkriptionen der Handschriften des „Evangelienwerks“ (im Rahmen der urheberrechtlichen Möglichkeiten in Augenschein genommen werde – mitunter prächtig illustrierten und prunkvoll gestalteten Handschriften sowie deren Umschriften.
Nun ist auch die erste Editionsfassung ergänzt. Diese informiert zusätzlich über verschiedene Varianten von Textstellen, bietet Lese- und Verständnishilfen, nennt zusätzliche Quellen, Selbstzitate, Querverweise und Bibelstellen.
Weiterführender Link
- 2022-12-28: Neues vom „Österreichischen Bibelübersetzer“: erste Digitalisate und Transkriptionen online
Michael Hallermayer (Universität Augsburg)