Er war Titos Dolmetscher: Schriftsteller Ivan Ivanji 95-jährig in Weimar gestorben

Ivan Ivanji
Ivan Ivanji 2017 beim Interview in Belgrad. - Bildschirmfoto

Er hatte Humor, er konnte erzählen und er war trotz KZ-Erfahrung ein großer Freund der Deutschen und vor allem der deutschen Sprache. Der Schriftsteller Ivan Ivanji, in unserer Branche vor allem als „Titos Dolmetscher“ und Übersetzer der Werke von Brecht, Grass, Böll und Jaspers ins Serbische bekannt, ist am 9. Mai 2024 in Weimar verstorben. Wenige Stunden zuvor war er noch bei der Eröffnung des Museums „Zwangsarbeit im Nationalsozialismus“ in Weimar zugegen.

Wenn der in Belgrad und Wien lebende Romancier sich den Ort seines Todes hätte aussuchen können, dann hätte ihm das historische Hotel Elephant in Weimar als „Schlusspointe“ sicherlich gefallen, wie Michael Martens in der Frankfurter Allgemeinen treffend anmerkt:

Für einen Roman wäre diese Schlusspointe zu aufdringlich gewesen, aber als Abschluss eines echten Lebens ist sie unübertrefflich: Der serbische Schriftsteller Ivan Ivanji, 1929 geboren, Überlebender der Konzentrationslager Auschwitz und Buchenwald, der in seinen Romanen immer wieder auf diese Lagererfahrung zurückkam und seine Prosa oft nach Weimar verlegte, wo er einen seiner Protagonisten in einem Hinterzimmer des legendären Hotels Elephant erste politische Erfahrungen sammeln lässt, ist gestorben – und zwar in Deutschland, in Weimar, als Gast im Hotel Elephant. Er starb am 9. Mai. Am Tag zuvor hatte er noch als Ehrengast an der Eröffnung des „Museums Zwangsarbeit im Nationalsozialismus“ teilgenommen, hatte auch im Theater aus seinem Werk gelesen. Einprägsamer kann ein Leben nicht enden.

Neben Künstlern und Literaten war auch Adolf Hitler mehr als vierzig Mal zu Gast im Hotel Elephant. Thomas Mann verewigte das Hotel in seinem Roman Lotte in Weimar. 1946 hielt der Thüringer Landtag in einem Saal des Hotels seine konstituierende Sitzung ab.

Ivan Ivanji, Tito, Willy Brandt
Ivan Ivanji (oben Mitte) mit Tito und Willy Brandt. Zum Aufnahmedatum und Fotograf werden in Ivanjis Buch keine Angaben gemacht. – Repro: UEPO.de (Vergrößern mit Rechtsklick.)

Die Thüringer Staatskanzlei veröffentlichte folgende Stellungnahme:

Thüringen trauert um Ivan Ivanji

Am 9. Mai 2024 verstarb der serbische Schriftsteller, Diplomat, Holocaust-Überlebende und Träger des Thüringer Verdienstordens (2019) Ivan Ivanji im Alter von 95 Jahren in Weimar.

„Mit tiefer Trauer nehme ich Abschied von Ivan Ivanji, der nur wenige Stunden, nachdem er das Museum ‚Zwangsarbeit im Nationalsozialismus‘ in Weimar in einem symbolträchtigen Akt eröffnet hat, von uns gegangen ist. Am selben Abend hatte ich noch das Privileg, kostbare Momente mit ihm zu verbringen – fröhlich, kraftspendend und inspirierend. Mit seinem Tod verlieren wir eine außergewöhnliche Persönlichkeit, deren Leben und Werk untrennbar mit dem Erbe von Buchenwald verbunden waren. Sein unermüdlicher Geist und sein Engagement für die Erinnerung an die verbrecherische Geschichte des Nationalsozialismus werden unvergessen bleiben. In dieser schweren Zeit sind unsere Gedanken bei seiner Familie. Möge Ivan Ivanji in Frieden ruhen und die Erde ihm leicht sein“, so Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow zum Tod Ivan Ivanjis.

Ivan Ivanji war einer der bedeutendsten serbischen Schriftsteller, der durch seine Schriften und wichtigen Redebeiträge zu Gedenkveranstaltungen in Buchenwald, Weimar und Thüringen einen großen Beitrag leistete, der Erinnerung an das in Weimar Geschehene eine Zukunft zu geben.

Geboren am 24. Januar 1929 in Zrenjanin, erlebte Ivanji die Schrecken des Holocaust, wurde 1944 nach Auschwitz deportiert und überlebte die Konzentrationslager Buchenwald und Auschwitz. Nach dem Krieg kehrte er nach Jugoslawien zurück, wo er eine bedeutende Karriere als Schriftsteller, Übersetzer und Diplomat einschlug. Seit 1992 lebte Ivanji abwechselnd in Wien und Belgrad. Sein literarisches und öffentliches Wirken hinterlässt eine unvergessliche Spur in der Geschichte Thüringens und darüber hinaus.

Eintragung in das Kondolenzbuch der Stadt Weimar

Zur Würdigung Ivan Ivanjis, der auch Ehrenbürger der Stadt Weimar ist, bietet die Stadt den Bürgerinnen und Bürgern die Möglichkeit, sich am kommenden Samstag, dem 11. Mai, von 10 bis 14 Uhr sowie am Montag, dem 13. Mai, von 8 bis 18 Uhr im Rathaus-Festsaal in ein Kondolenzbuch einzutragen.

Die österreichische Kunst- und Kulturstaatssekretärin ließ zum Tod von Ivan Ivanji verlautbaren:

„Mit Ivan Ivanji verlieren wir einen unermüdlichen Schreiber und Chronisten der Zeitgeschichte“, so Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer zum Ableben des serbisch-österreichischen Schriftstellers, Übersetzers und Zeitzeugen. „Er hat in seinem vielfältigen Werk Erfahrungen aus seinem bewegten Leben als Autor, Lehrer, Diplomat und Dolmetscher Titos mit dem Weltgeschehen verwoben und so ein unersetzliches Gesamtwerk hinterlassen. Seine autobiografisch geprägten Bücher über die Gräueltaten des Nazi-Regimes sind schon jetzt fixer Bestandteil des Kanons der Erinnerungsliteratur. Seine Stimme wird fehlen.“

Ivan Ivanji war Träger des Großen Silbernen Ehrenzeichens für Verdienste um die Republik Österreich sowie des Österreichischen Ehrenkreuzes für Wissenschaft und Kunst I. Klasse.

Ivan Ivanji: Titos Dolmetscher
Bild: Richard Schneider

Buch und Interview für weitergehende Informationen

Wer sich über Ivanjis langes und ereignisreiches Leben eingehend informieren möchte, dem sei sein 2007 erschienenes Buch Titos Dolmetscher – Als Literat am Pulsschlag der Politik empfohlen, das antiquarisch noch erhältlich ist. Wir haben es 2008 bereits vorgestellt:

Ein ausführliches Gespräch mit „Titos Dolmetscher“ (1 Std. 40 Min.) hat der frühere rbb-Journalist Kayvan Soufi-Siavash 2017 geführt:

Richard Schneider