Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg, hat in Stuttgart auf dem medienpolitischen Kongress „Source“ der Landesregierung einmal mehr die Unterrichtung einer zweiten Fremdsprache auf dem Weg zum Abitur in Zweifel gezogen. „Das brauchen wir heute nicht mehr“, so der 76-Jährige.
Kretschmann: „Mein Telefon übersetzt“
Der Politiker der Grünen zeigte sich offen für ein Schulfach „Digitale Medienkompetenz“. Dafür müsse allerdings ein anderes Fach aufgeben werden, etwa eine verpflichtende zweite Fremdsprache.
Die sei ohnehin bald nicht mehr notwendig: „Ich stecke mir einen Knopf ins Ohr und mein Telefon übersetzt – egal ob mein Gegenüber Spanisch, Polnisch oder Kisuaheli spricht.“
Scherer: „KI lernt nur durch und aus Sprache“
„Ich bin fassungslos über die Aussage des Ministerpräsidenten – der selbst Lehrer war -, dass ein ‚Knopf im Ohr‘ alles richten soll“, so Martina Scherer, Landesvorsitzende des Philologenverbands Baden-Württemberg, der in einer Stellungnahme schreibt:
Eine wesentliche Aufgabe schulischer Bildung auf höherem Niveau muss weiterhin sein, sich Kompetenzen und Wissen anzueignen, um als mündiger Bürger Entscheidungen treffen zu können. Den bloßen Umgang mit einem Werkzeug – hier der KI – zu erlernen, kann kein ausreichendes Ziel gymnasialer Bildung ein.
Die Souveränität des Nutzers steht im Vordergrund: Das Formulieren sinnvoller Fragen für die KI und die Bewertung ihrer Antworten brauchen Grundlagenwissen und Denkfähigkeit. Dazu sind vor allem auch sprachliche Kompetenzen notwendig.
Selbstverständlich sei es notwendig, dass digitale Medienkompetenz an den Schulen Raum erhalte. Der Preis dafür dürfe aber nicht eine Absage an andere Fächer sein:
Die zweite Fremdsprache und auch die Möglichkeit, eine weitere Sprache zu erlernen, müssen weiterhin für das Gymnasium selbstverständlich sein.
Gerade die KI hängt an Sprache! Wer keine Sprache hat, kann auch KI nicht sinnvoll nutzen. Und: KI lernt nur durch und aus Sprache, da sie keine analogen Erfahrungen machen kann. Fehlende Sprache ist also letztlich selbst für die KI schädlich.
Zweite Fremdsprache Alleinstellungsmerkmal der Gymnasien
„Die verpflichtende zweite Fremdsprache ist ein Alleinstellungsmerkmal des Gymnasiums“, bekräftigt Martina Scherer. Und weiter:
Die Kompetenzen durch das Erlernen einer Fremdsprache gehen weit über die reinen Sprachkenntnisse hinaus, es geht auch um den interkulturellen Gedanken, um Landeskunde und Traditionen.
Gerade in unserer vielfältigen Gesellschaft ist dies doch mehr als notwendig, nicht nur, um den europäischen Gedanken weiterzutragen. Sollen diese Lernziele nicht mehr zählen? Das wäre ein neuerlicher Angriff auf das Gymnasium mit seinen spezifischen Aufgaben.
Philologenverband vertritt Interessen der Gymnasiallehrer
Der Philologenverband Baden-Württemberg vertritt mit über 9.000 im Verband organisierten Mitgliedern die Interessen der rund 26.500 Lehrer an den 462 öffentlichen und privaten Gymnasien des Bundeslands.
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Richard Schneider