Übersetzer und Dolmetscher – eine aussterbende Spezies?

Vom Aussterben bedroht
Sind maschinelle Übersetzung und künstliche Intelligenz der Kometeneinschlag, der Übersetzern und Dolmetschern den Garaus macht? Nein, meint der ADÜ Nord. - Bild: Herschel Hoffmeyer / Fotolia

Zurzeit ist das Thema maschinelle Übersetzung (MÜ) mehr denn je in aller Munde. Sind Übersetzer und Dolmetscher tatsächlich vom Aussterben bedroht? Können Maschinen ein so lebendiges, sich ständig veränderndes Medium wie die Sprache mit all ihren Besonderheiten und Eigenarten wirklich verstehen und damit auch übersetzen?

„In ein paar Jahren wird es keine Übersetzer mehr geben“, verkündete der SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil am 25. November 2018 in einer ARD-Talkshow und sorgte damit für Aufruhr in der Sprachmittlerbranche.

Übersetzer, die anders als Rechtsanwälte und Steuerberater nicht verkammert sind, haben sich in Verbänden wie dem ADÜ Nord zusammengeschlossen, und diese bemühen sich seit Jahrzehnten darum, die Öffentlichkeit für die Leistungen ihres Berufsstands zu sensibilisieren.

Die Äußerung von Herrn Klingbeil gleicht nach Ansicht des ADÜ Nord einem Schlag ins Kontor. Denn ohnehin werden sprachmittlerische Dienstleistungen häufig unterschätzt. Auch der Unterschied zwischen Übersetzen und Dolmetschen ist nicht allen bekannt, geschweige denn zwischen Simultan- und Konsekutivdolmetschen.

Vermutlich ist es der Unwissenheit vieler Menschen geschuldet, weshalb sich das Gerücht, dass künftig Maschinen die Arbeit der Übersetzer (und Dolmetscher) übernehmen werden, so hartnäckig hält und verbreitet. Aber wie sieht es in der Realität aus? Hier die Fakten:

Hand ragt aus Grab
Sind Sprachmittler lebende Tote in einer sich (zu) schnell wandelnden Umwelt? – Bild: Romolo Tavani / Fotolia

1. Die maschinelle Übersetzung nutzt derzeit künstliche neuronale Netze und große Textkorpora, um eigenständig neue Texte zu übersetzen. Auf den ersten Blick ist das Ergebnis bei bestimmten Textsorten erstaunlich gut. Das Problem: Die Systeme fokussieren sich auf Sätze, das heißt sie sind auf Satzgrenzen beschränkt. Dies führt häufig zu terminologischen Inkonsistenzen. Zudem gibt es keine Garantie, dass die Übersetzung vollständig ist. So kommt es immer wieder vor, dass z. B. Verneinungen oder ganze Satzteile ausgelassen werden, wodurch der Sinn des Textes verfälscht wird.

2. Die Qualität unterscheidet sich je nach Sprachpaar erheblich, da die MÜ auf im Internet vorhandene Texte zurückgreift. Dies erklärt, warum die Qualität der MÜ-Übersetzungen für Englisch – Deutsch wesentlich besser ist als für Sprachpaare mit weniger häufig genutzten Sprache wie Portugiesisch, Dänisch oder Niederländisch. Grundsätzlich werden die MÜ­Systeme immer leistungsfähiger, allerdings erreicht die Qualität der Übersetzung noch lange nicht die eines sogenannten „Humanübersetzers“. In einigen Bereichen, wie z. B. bei Werbetexten oder Literaturübersetzungen, sind sie nur eingeschränkt oder sogar gänzlich unbrauchbar.

3. Bei genauerer Überprüfung von durch MÜ angefertigten Übersetzungen findet der erfahrene Übersetzer häufig Fehler, die auf den ersten Blick schwer zu erkennen sind. Bei fachspezifischen Texten im Bereich Recht oder Medizin ist die Zeitersparnis für die Nachbearbeitung dieser Texte, das sogenannte Post-Editing, gegenüber einer Neuübersetzung durch einen fachlich versierten Übersetzer nur noch sehr gering oder gar nicht gegeben.

4. Weitere Probleme betreffen den Datenschutz. So heißt es bei DeepL (auch beim kostenpflichtigen Angebot): „Bitte beachten Sie, dass Sie unseren Übersetzungsservice nicht für Texte nutzen dürfen, die personenbezogene Daten jeglicher Art enthalten.“ Auch andere Sicherheitsaspekte dürfen nicht außer Acht gelassen werden. Bei der Übersetzung von Beipackzetteln von Medikamenten oder Bedienungsanleitungen für Maschinen wäre es grob fahrlässig, sich auf eine MÜ zu verlassen.

5. Weltweit werden mehr als 6.500 Sprachen gesprochen. Die globale Übersetzungsbranche setzt zurzeit fast 50 Milliarden Euro pro Jahr (Stand 2018) um, mehr als die Hälfte davon in Europa (laut Marktforschung von Common Sense Advisory). Seit der Nutzung von MÜ ist der Marktanteil noch gewachsen, denn dadurch werden heute Texte übersetzt, die früher nicht übersetzt worden wären.

Technologischen Wandel gab es schon immer – Übersetzer haben ihn stets zu nutzen gewusst

Fazit: Natürlich ist auch die Sprachmittlerbranche einem steten Wandel unterworfen. Aber das ist nichts Neues. Angefangen mit der Einführung des Computers und des Faxgerätes in den 90er Jahren, gefolgt von sogenannten CAT-Tools (computergestützte Software für Übersetzer) und Spracherkennungssoftware bis hin zu der heutigen neuronalen MÜ wie beispielsweise DeepL: Der Fortschritt lässt sich nicht aufhalten, und das ist auch gut so.

Mit dieser Entwicklung sind sowohl Vorteile als auch Herausforderungen verbunden, und wie schon zuvor wird sich die Branche um- bzw. darauf einstellen. Dies betrifft jedoch nicht nur die Sprachmittlerbranche.

Künstliche Intelligenz und Deep Learning sind auch in anderen Branchen ein Thema, beispielsweise in der Medizin oder in der Luftfahrt, mit einem Unterschied: Niemand bezweifelt die Daseinsberechtigung von Ärzten oder Piloten. Zumindest noch nicht.

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[Text: ADÜ Nord. Quelle: Pressemitteilung ADÜ Nord, 2018-12.]