Modernisierung oder Frevel? IBS erstellt „politisch korrekte“ Übersetzung der Bibel

Die 1809 in New York gegründete protestantische International Bible Society (IBS) lässt zurzeit eine Neuübersetzung der Bibel erstellen. Dabei soll besonders auf eine „geschlechtsneutrale“ Sprache geachtet werden. Aus „Brüdern“ werden „Brüder und Schwestern“, aus „Söhnen Gottes“ werden „Kinder Gottes“, aus „Mann“ wird „Mensch“. Außerdem soll das Vokabular der modernen Alltagssprache angepasst werden.

Wird die Bibel dadurch nun verständlicher oder wird sie durch die voreilige Anpassung an vorübergehende Sprachmarotten verfälscht? Einige Beispiele für Änderungen gegenüber der früheren Fassung:

  • Matthäus 5:9: „sons of God“ > „children of God“.
  • Römer 3:28: „a man is justified by faith“ > „a person is justified by faith“.
  • An einigen Stellen wird „Christ“ durch „Messiah“ ersetzt, wenn die griechische Urfassung den „Befreier“ und „Erlöser“ meint und nicht die historische Person Jesus.
  • Hinweise auf „the Jews“ werden genauer umschrieben, um Verallgemeinerungen zu vermeiden. So heißt es künftig „the Jews there“ oder „the Jewish leaders“, wenn aus dem Kontext hervorgeht, dass eine bestimmte Gruppe von Juden gemeint ist.
  • Der gefühlsbetonte, verstärkende Anruf „o“ („o Maria!“) wird nicht mehr verwendet, da er in der heutigen Sprache nicht mehr existiert.
  • Die als archaisch empfundene Wendung „with child“ für schwangere Frauen (zum Beispiel in Bezug auf Maria) wird durch „pregnant“ ersetzt.
  • „Brothers“ werden zu „brothers and sisters“, wenn klar ist, dass der Originaltext nicht nur ein bestimmtes Geschlecht meint.

Die Gesellschaft geht davon aus, dass sich letztendlich rund sieben Prozent des Textes entsprechend ändern werden. Bei dem Projekt handelt es sich offenbar nicht nur um ein Lektorieren und Angleichen der früheren Übersetzung. Nach Angaben der Bibelgesellschaft wird auf der Grundlage der griechischen und aramäischen Urtexte eine komplette Neuübersetzung erstellt.

Die IBS wehrt sich allerdings gegen den Vorwurf, eine „geschlechtsneutrale“ Bibel zu schaffen. Dem Sprecher der Gesellschaft, Larry Lincoln, gefällt dieser Ausdruck gar nicht. Eine solche Formulierung habe eine „sehr negative Konnotation“. Es gehe vielmehr darum, die Heilige Schrift für die Leser von heute verständlicher zu machen. Lincoln meint: „The TNIV is, in fact, gender-accurate.“

Peter Bradley, President der IBS, erklärt: „We firmly believe that to effect positive change in our world, we must communicate with today’s generations in the English they are being taught and that they speak. To accomplish this mission, we must make certain that Scripture is presented in a way that is unquestionably accurate and perfectly clear.“

Demgegenüber erklären Kritiker wie Randy Stinson, Executive Director des Council on Biblical Manhood and Womanhood (CBMW): „This is incredibly serious to evangelicals, how the Bible is translated. We believe the Bible is the word of God, so changing these things deliberately is dangerous.“

Auch bei einer von CNN im Internet durchgeführten nicht repräsentativen Abstimmung lehnten mehr als zwei Drittel der Teilnehmer die Änderungen ab.

Bei der IBS handelt es sich nicht um eine Kirche oder Sekte, sondern um eine Gesellschaft, die ihre Ziele wie folgt beschreibt: „The purpose and passion of the International Bible Society is to faithfully translate, publish and reach out with God’s Word so that people around the world may become disciples of Jesus Christ and members of His Body.“

Der Geschäftsbericht für das Jahr 2001 weist Einnahmen von 29,5 Mio. und Ausgaben von 28,8 Mio. US-Dollar aus. Dabei entfallen allein 6 Mio. USD auf Übersetzungskosten. Die Einnahmen setzen sich im Wesentlichen aus dem Verkauf von Schriften (16,5 Mio. USD), aus Lizenzgebühren (7 Mio. USD) sowie Spenden (4,7 Mio. USD) zusammen.

Die Bibelgesellschaft hat das Buch der Bücher bereits in mehr als 60 Sprachen übersetzt. Andere christliche Schriften wurden nach eigenen Angaben in mehr als sechshundert Sprachen übertragen.

Die derzeit von der IBS vertriebene alte Bibelfassung ist als „New International Version“ (NIV) bekannt. Sie ist seit 1978 mehr als 150 Millionen Mal verkauft worden und damit weltweit die am weitesten verbreitete Bibelfassung in englischer Sprache. Die jetzt begonnene Neuübersetzung wird als „Today’s New International Version“ (TNIV) bezeichnet.

Die TNIV soll die NIV nicht ersetzen. Beide Fassungen werden künftig nebeneinander angeboten.

Die Neuübersetzung des Neuen Testaments wird im April 2002 erscheinen. Der Gesamttext einschließlich des Alten Testaments soll bis zum Jahr 2005 vorliegen. Die Übersetzungsarbeiten haben bis jetzt bereits 2 Millionen USD gekostet.

Wie schon die NIV wird auch die TNIV von Zondervan verlegt, einer Tochtergesellschaft des HarperCollins-Verlags. Zurzeit existieren weltweit rund 70 Übersetzungen der Bibel ins Englische.

[Text: Richard Schneider. Quelle: Oberösterreichische Nachrichten, Hamburger Abendblatt, The Detroit News, CNN, www.ibs.org, www.tniv.info.]