Pünktlich zum Reformationstag am 31. Oktober ist ein neuer Film über einen der einflussreichsten Übersetzer der Weltgeschichte ins Kino gekommen: Martin Luther (1483-1546). So gutaussehend wie in diesem Film war Luther noch nie. Joseph Fiennes (vielen noch als „Shakespeare in Love“ in Erinnerung) spielt den Ketzer bzw. Reformator ohne jeden Anflug von Fettleibigkeit.
Wie kam der aufmüpfige Mönch, der zwar sprachenkundig, aber weder staatlich geprüft noch gerichtlich ermächtigt oder beeidigt war, zum Übersetzen?
Luther wurde vom Papst gebannt und 1521 von Kaiser Karl V. geächtet. Er schwebte damit in Lebensgefahr. Friedrich der Weise nahm ihn in Schutzhaft und brachte ihn auf der Wartburg bei Eisenach in Sicherheit. Unter falschem Namen getarnt als „Junker Jörg“ blieb Luther dort zehn Monate. Um nicht in Langeweile zu versinken, begann er mit der Neuübersetzung des Neuen Testaments ins Deutsche.
Als Ausgangstexte dienten der von Erasmus von Rotterdam herausgegebene griechische Text samt lateinischer Übersetzung, der ursprüngliche griechische Text, also die Septuaginta, die lateinische Vulgata und eine damals schon existierende deutsche Übersetzung der Bibel.
Luther löste sich von der bis dahin gepflegten wörtlichen Übersetzung. Ihm kam es darauf an, den Inhalt zu übertragen. Neuschöpfungen wie „Götzenknecht“, „Lückenbüßer“, „Machtwort“ und „Herzenslust“ stammen von ihm. Dabei konnte die Suche nach dem treffenden Wort durchaus schon einmal mehrere Wochen dauern. Was für den Leser nicht auf Anhieb verständlich war, wurde in Randbemerkungen erläutert.
Ein Beispiel für das übersetzerische Talent Luthers: In der alten Fassung heißt es: „Anruf mich am Tage des Trübsals und ich erlös dich und du ehrst mich.“ Luther machte daraus: „Rufe mich in der Not, so will ich dich erretten und du sollst mich preisen.“
Luther übersetzte pro Tag rund 10 Druckseiten – ohne Computer, ohne Rechtschreibkorrektur und ohne Trados. Er war also nicht nur gut, sondern auch schnell. (Heute werden von einem Übersetzer acht Seiten pro Tag erwartet.) Seine Rohübersetzung wurde von sprach- und sachkundigen Freunden wie Philipp Melanchthon, Professor für die griechische Sprache und Kenner des Hebräischen, gewissenhaft redigiert.
„Das Newe Testament Deutzsch“ entwickelte sich zu einem Verkaufsschlager. Schon vier Monate nach dem Erscheinen musste es nachgedruckt werden. Durch den Erfolg beflügelt machte sich Projektmanager Luther mit einem Team von Experten an die Übersetzung der übrigen Bücher der Bibel. Zwölf Jahre später, 1534, lag das Buch der Bücher vollständig übersetzt vor.
Die Lutherbibel als sprachschöpferische Leistung trug entscheidend zur Entfaltung des Neuhochdeutschen und zur Vereinheitlichung der deutschen Sprache bei. Erstmals stand das Deutsche gleichberechtigt neben dem Lateinischen, Griechischen und Hebräischen.
In seinem „Sendbrief vom Dolmetschen“ (Dolmetschen = Übersetzen) erläutert er 1530, was eine adressatengerechte Übersetzung ausmacht:
Denn man man muss nicht die Buchstaben in der lateinischen Sprache fragen, wie man soll deutsch reden, wie diese Esel [die Papisten] tun; sondern man muss die Mutter im Hause, die Kinder auf der Gasse, den gemeinen Mann auf dem Markt darum fragen und denselbigen auf das Maul sehen, wie sie reden, und darnach dolmetschen, so verstehen sie es denn und merken, dass man deutsch mit ihnen redet.
Als [= zum Beispiel] wenn Christus spricht Matthäus 12, 34: Ex abundantia cordis os loquitur. Wen ich den Eseln soll folgen, die werden mir die Buchstaben vorlegen und also dolmetschen: Aus dem Überfluss des Herzens redet der Mund.
Sage mir, ist das deutsch geredet? Welcher Deutsche versteht solches. Was ist Überfluss des Herzens für ein Ding? Das kann kein Deutscher sagen, er wollte denn sagen, es sei, dass einer ein allzu großes Herz habe oder zu viel Herzen habe. Wiewohl das auch noch nicht recht ist. Denn Überfluss des Herzens ist kein Deutsch, so wenig als das Deutsch ist: Überfluss des Hauses, Überfluss des Kachelofens, Überfluss der Bank.
Sondern also redet die Mutter im Haus und der gemeine Mann: Wes des Herz voll ist, des gehet der Mund über. Das heißt gut deutsch geredet. Des ich mich gefließen [= befleißigt] und leider nicht allewege erreicht noch getroffen habe. Denn die lateinischen Buchstaben hindern aus der Maßen sehr, gut deutsch zu reden.
Richard Schneider