Jugendsünden? Joschka Fischer als Übersetzer „schmuddeliger Romane“

Olympia Press
Typische Titel des längst eingegangenen Frankfurter Verlags Olympia Press, für den Joschka Fischer nach Angaben von Weggefährten als Übersetzer tätig war. - Collage: UEPO

Der deutsche Außenminister JosephJoschkaFischer (56) soll in seiner Jugend für einen linken Verlag, bei dem auch Pornografisches herausgegeben wurde, „schmuddelige Romane“ übersetzt haben.

Unter der Überschrift „Mit Pornos Literatur finanzieren“ berichtet die Berliner tageszeitung am 17. Juli 2004 über Jörg Schröders „März Verlag“, der in den 1960er und 1970er Jahren als Hort literarischer Subversion galt.

Bei März erschienen zum Beispiel erstmals in deutscher Sprache Einer flog über das Kuckucksnest und das Manifest der Gesellschaft zur Vernichtung der Männer von Valerie Solanas. Noch heute sei März ein „Vorbild für alle linken, unangepassten Verlage in Deutschland“. Die taz schreibt:

Beim März Verlag fand man seinerzeit nicht nur linke Größen wie Klaus Behnken, der später die Wochenzeitung Jungle World mitbegründete, oder K. D. Wolff, der heute den Stroemfeld Verlag mühsam über Wasser hält. Auch der derzeitige deutsche Außenminister fand als Übersetzer schmuddeliger Romane bei Jörg Schröder ein Auskommen.

Biografie enthält ebenfalls Hinweis auf Fischer als Übersetzer

Die Information über Fischer als Übersetzer findet sich auch in der Fischer-Biografie von Sibylle Krause-Burger (Joschka Fischer: Der Marsch durch die Illusionen), wie Markus Krah herausfand und auf der Mailingliste U-LITFOR mitteilte. Da das Buch in Zusammenarbeit mit Fischer entstand, dürfte an der Geschichte tatsächlich etwas dran sein.

Wie viele und welche Werke der junge Fischer dem deutschsprachigen Kulturraum zugänglich gemacht hat, ist allerdings nicht bekannt.

„Möglichst saftig drauflosschreiben“

Ebenfalls in U-LITFOR erinnert sich der Literaturübersetzer Friedrich Griese aus Michelstadt:

Mir selbst wurden von Schröder seinerzeit Schmuddelbücher angeboten. Aufs Übersetzen käme es dabei nicht an. Ich solle nur „möglichst saftig“ drauflosschreiben. In den Räumen des Verlages Ecke Mendelssohn-/Bockenheimer Landstraße sind mir alle möglichen Leute begegnet, nur nicht Joschka. Aber das will nichts heißen. Mag sein, daß er die nötigen Talente besaß, „saftig“ zu schreiben – aufs Übersetzen kam es, wie gesagt, nicht an. Das brauchte er als Mulitalent auch nicht zu können.

Auskommen? Das „Auskommen“, das man mit den Schröder-Honoraren finden konnte, war recht dürftig. Manche Verlage, die oder deren Inhaber/Leiter in derselben Ecke angesiedelt sind wie damals Schröder oder biographische Verbindungen zu „68“ haben, machen sich bis heute der unverschämtesten Ausbeutung schuldig. „Genossen“ waren schon immer besonders gnadenlos mit ihresgleichen. Besser, man lässt die Finger davon, nicht wegen des Schmuddels, sondern wegen der lausigen Knete.

Schmuddel hin, Schmuddel her – jedenfalls scheint festzustehen, dass der seit Jahren beliebteste deutsche Politiker in seiner Sturm-und-Drang-Zeit – wenn auch nur kurzzeitig – der Berufsgruppe der Übersetzer zuzurechnen war.

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Nachtrag 2013

„Messdiener, Pornoübersetzer, Buchhändler …“

Die Hannoversche Allgemeine bezeichnet Fischer 2013 zu seinem 65. Geburtstag in einer Aufzählung der von ihm in seinem Leben bisher ausgeübten Tätigkeiten unter anderem als „Pornoübersetzer“. Er habe „mehr Schalen als eine Zwiebel“:

Flüchtlingskind, Messdiener, Fotografenlehrling, Pflastermaler, Pornoübersetzer, Buchhändler, Berufsrevolutionär, Taxifahrer, Politiker, Landesumweltminister, Bundesaußenminister, Vizekanzler und in der Selbstwahrnehmung: Staatsmann, Professor auf Zeit, Politikberater.

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Nachtrag 2017

Wolfgang Kraushaar: Fischer arbeitete für „Porno-Verlag Olympia Press“

Im 2017 bei Klett-Cotta erschienen Band Die blinden Flecken der RAF findet sich ebenfalls ein Hinweis auf Fischers Übersetzertätigkeit. Autor Wolfgang Kraushaar, 1974/75 AStA-Vorsitzender an der Frankfurter Uni und selbst Teil und intimer Kenner der damaligen Studentenbewegung, schreibt:

Seinen Sitz hatte er [Jörg Schröders März-Verlag] in einem Hochhaus des boomenden Frankfurter Westends, eine Etage darunter der von ihm gleichzeitig gegründete Ableger, der Porno-Verlag Olympia Press, für den – selbstverständlich nur unter Pseudonym – als Übersetzer auch der spätere Bundesaußenminister Joschka Fischer arbeitete.

Der März-Verlag, der schon mit seiner Namensgebung an den revolutionären Frühling von 1848 erinnern wollte, besaß nichts, was man als Programm hätte bezeichnen können, eher eine Attitüde. Denn er war sichtlich von dem Bestreben geprägt, in allem, was dort an Buchpublikationen erschien, der Frechste und Radikalste überhaupt zu sein.

Aus Pussy in Boots wurde Das gestiefelte Kätzchen

Lotos von Jerry Joth, Übersetzer Petrus JosuahDie bei Olympia Press verlegten Werke wurden offenbar wie am Fließband übersetzt. In Online-Antiquariaten finden sich noch erstaunlich viele Exemplare, die ein halbes Jahrhundert überdauert haben.

Die Bücher tragen Titel wie Heiße Blicke, Sexpatrouille, Am liebsten zu dritt, In fremden Betten, Ehepaar sucht gleichgesinntes, Von Sex besessen, Die scharfen Bräute von Texas, Die Lustinsel, Karriere im Bett, Feuchte Haut, Der Spanner, Rotschwanz, Frau sucht Freundin, Sex mit 150 PS, Wellen der LustEngel der Lust, Straße der Geilheit, Treibhaus der Triebe oder Monika, die Stripperin.

Der Originaltitel Pussy in Boots von Keith Kerner wurde beispielsweise 1970 von Übersetzer „B. Florian“ gar nicht einmal so unelegant als Das gestiefelte Kätzchen ins Deutsche übertragen. Weitere ermittelbare Übersetzernamen sind u. a. Horst Stein, Petrus Josuah, Karl-Heinz Bär, Hardo Wichmann.

Welche Titel Fischer übersetzt hat, bleibt Spekulation

Vermutlich haben die meisten Olympia-Press-Übersetzer unter Pseudonym gearbeitet. (Außer zum Beispiel Hardo Wichmann, der später die Politthriller von Tom Clancy übersetzt hat.) Daher ist es kaum möglich, einzelne Titel dem späteren Außenminister zuzuordnen. Alle dazu angestellten Mutmaßungen bleiben pure Spekulation.

So vermuten zwei Berliner Antiquare, dass „Petrus Josuah“ Fischers Pseudonym gewesen sein könnte. Wegen Petrus als Menschen-„Fischer“ und weil Josuah so ähnlich klingt wie „Joschka“. Ein „Petrus Josuah“ hat zum Beispiel den erotischen Roman Lotos von Jerry Joth aus dem Amerikanischen übersetzt. Das ist kein Heftchen im Umfang eines Groschenromans, sondern mit 318 Seiten ein veritables Buch – wenn auch nach Ansicht der taz ein „schmuddeliges“.

Richard Schneider