Robert Habeck als Übersetzer englischer und irischer Lyrik

Robert Habeck
Robert Habeck hat im Alter von 28 bzw. 29 Jahren gemeinsam mit seiner Frau Andrea Paluch drei Lyrikbände und einen Essay aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt. - Bild: Richard Schneider

Dass Robert Habeck ein homme de lettres ist, war seit Jahren bekannt. Der promovierte Philologe hat – meist gemeinsam mit seiner Frau Andrea Paluch – eine ganze Reihe von Büchern verfasst, die auch politisch Anderdenkenden einen gewissen Respekt abverlangen.

Dass er aber während seines Promotionsstudiums in Hamburg – wieder gemeinsam mit seiner Frau – auch als Übersetzer tätig war, ist in der breiten Öffentlichkeit erst im Rahmen des Bundestagswahlkampfs 2021 bekannt geworden. Habeck stand im Rampenlicht, weil er fast zum Kanzlerkandidaten seiner Partei gekürt worden wäre.

Ehepaar Habeck-Paluch gewann 1996 Hamburger Übersetzerpreis

Fünfundzwanzig Jahre zuvor, im Jahr 1996, konnte er gar – gemeinsam mit seiner Frau – einen der drei jährlich vergebenen Übersetzungsförderpreise im Rahmen der Hamburger Literaturpreise einheimsen. Diese waren damals mit jeweils 2.500 Euro dotiert. Die Ehrung erfolgte offenbar für die Übertragung eines Paul-Auster-Essays.

Auf die übersetzerische Vergangenheit des „Kanzlerkandidaten der Herzen“ wurde erst am 6. Dezember 2021 durch einen Artikel im britischen Guardian aufmerksam gemacht. Der Journalist Philip Oltermann schreibt darin:

Robert Habeck: from translating English verse to German high office

Ted Hughes felt the soon-to-be minister for economy and climate was ‘on the same wavelength’

The man who will spend the next four years trying to bring about a green transformation of Germany’s coal-hungry industry once faced another daunting challenge in a previous, less publicly exposed career: translating the most controversial poems in recent British history from English into German. […]

Yet 25 years ago, Habeck and his wife, Andrea Paluch, both literature graduates, still worked as jobbing translators specialising in contemporary English verse.

After winning a prestigious translation prize for their rendering into German of the work of the Merseyside poet Roger McGough in 1997, the pair were commissioned a year later to translate Ted Hughes’ newly published Birthday Letters […].

In a 2005 article for Süddeutsche Zeitung, Habeck and Paluch recalled how they communicated with Hughes by faxing his agent pages of multiple choices for difficult-to-translate passages. “He would have only needed to tick the right solution, we didn’t expect more of him in his tragic state of solitude,” they wrote. Instead, Hughes sent Habeck and Paluch a series of long letters expanding not just on linguistic nuance […].

After Hughes death from a heart attack on 28 October 1998, […] his second wife, Carol, sent Habeck and Paluch a note thanking them for their work, saying the British poet had “felt you were on the same wavelength”. […]

„England verneigt sich vor dem Literaten Robert Habeck“

Der Guardian-Artikel fand im deutschen Blätterwald ein wohlwollendes Echo, ist Habeck doch ein Liebling der Medien. Die Wochenzeitung Die Zeit zitierte einige Zeilen aus Habecks lyrischem Frühwerk und merkte an: „Habecks und Paluchs Übersetzung gilt in Fachkreisen als gelungen.“ Ein Beispiel:

Die dunkle Tiefenströmung ihres deutschen Akzents
In der funkelnden, goldenen Kensington-Aussprache
War das Schwarzwaldflüstern deiner Vorfahren –
Sanft verbrämt mit dem fettigen Ruß der Todeslager.

Mit der Unterüberschrift des Artikels – „England verneigt sich vor dem Literaten Robert Habeck“ – hat es der begeisterte Zeit-Redakteur aber übertrieben. Ein einzelner Zeitungsartikel im Feuilleton des Guardian ist nicht „England“.

Robert Habeck 2020
Robert Habeck entspannt und gut gelaunt auf einer Wahlkampf-Veranstaltung der Grünen im September 2020 in Düsseldorf aus Anlass der Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen. – Bild: Richard Schneider

Ted Hughes, William Butler Yeats, Paul Auster und Roger McGough übersetzt

Wie eine Internet-Recherche von UEPO.de zeigt, war der vom Guardian aufgegriffene Lyrikband nicht die einzige Übersetzung des Duos Habeck/Paluch. Bei Amazon lassen sich drei Bücher sowie ein Essay in einem Sammelband finden:

  • Tigerträume – Gedichte zweisprachig von Roger McGough, erschienen 1997 beim Mattes Verlag Heidelberg. Da war Habeck 28 Jahre alt.
  • Ein Morgen / Grünes Gras. 1998 bei Luchterhand herausgebrachter Sammelband mit erstmals oder neu übersetzten Gedichten des irischen Dichters William Butler Yeats in einer zweisprachigen Ausgabe.
  • Birthday Letters von Ted Hughes, auf Deutsch 1998 von der Frankfurter Verlagsanstalt veröffentlicht.
  • Essay „Reznikoff x 2“ in dem von Paul Auster 2019 selbst zusammengestellten Sammelband Paul Auster – Mit Fremden sprechen, 2020 auf Deutsch bei Rowohlt erschienen. Darin werden ausgewählte Schriften Austers aus 50 Jahren präsentiert.

Darüber hinaus hat Habeck 2021 für die Neuübersetzung von George Orwells 1984 durch Lutz-W. Wolff das Vorwort verfasst.

Wie kamen Habeck und Paluch zum Übersetzen?

Wie die Berliner tageszeitung am 4. Dezember 1997 schreibt, machte das studentische Duo im November 1994 im Rahmen eines Uni-Workshops Bekanntschaft mit Roger McGough:

Der renommierte Liverpool-Poet war für einen einwöchigen „Writer in Residence“-Aufenthalt nach Hamburg geladen, und Andrea Paluch war beauftragt worden, den Literaten mit Hamburg bekannt zu machen. Das übliche Kulturprogramm ergänzte sie um ein „echt studentisches Abendessen“ im Paluch-Habeckschen Privathaushalt – ein Entschluß mit weitreichenden Folgen.

Anschließend hätten die beiden „eine Reihe ausgewählter McGough-Poeme erstübersetzt“, wofür sie 1996 mit dem Übersetzerpreis der Stadt Hamburg ausgezeichnet wurden. Daraufhin wiederum habe der „kleine, aber feine Mattes Verlag in Heidelberg“ beschlossen, „ein McGough-Best-Of der Jahre 1967 bis 1992“ herauszubringen, übersetzt von Robert Habeck und Andrea Paluch. Der Band kam schließlich unter dem Titel Tigerträume in die Buchläden.

Der 1937 geborene britische „Dichter, Dramatiker, Musiker, Komiker und Performance-Künstler“ (Wikipedia) sei davon so angetan gewesen, dass er die Übersetzer für zwei Wochen in sein Londoner Haus eingeladen habe.

Nach Veröffentlichung ihres Erstlingswerks bei Mattes sind auch andere Verlage (Luchterhand, Frankfurter Verlagsanstalt, Rowohlt) an das talentierte Duo herangetreten, dessen übersetzerisch produktive Phase aber nur wenige Jahre währte: von 1994 bis 1998.

Habeck spricht fließend Dänisch, wohnt im Grenzland

Robert Habeck wurde 1969 in Lübeck geboren und lebt seit mehr als 20 Jahren in der Region Flensburg an der dänischen Grenze. In einem Interview mit dem dänischen Magazin Grænsen erläuterte er 2018 seine Liebe zu diesem „Zwei-Kulturen-Land“:

Hier ist die Begegnung zwischen Deutsch und Dänisch Alltag geworden. Bei uns gibt es dänisches Theater, dänische Schulen, dänische Sportvereinen und dänische Kindergärten. Und auf der anderen Seite der Grenze gibt es genau dasselbe, nur eben auf Deutsch.

Wenn man selbstverständlich mit zwei Sprachen lebt, dann wird das Springen zwischen den Sprachen ein Übersetzen, das andauernd daran erinnert, dass die Dinge auch anders gesagt werden können. Nichts ist so, wie es in einer Sprache allein ist.

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Richard Schneider