Der Streit um die vor zehn Jahren behutsam aktualisierte und reformierte deutsche Rechtschreibung scheint dieses Jahr endlich beigelegt zu werden. Die Kultusministerkonferenz der Länder hat heute die Kompromissvorschläge des 2004 als eine Art Vermittlungsausschuss eingesetzten Rats für deutsche Rechtschreibung abgenickt. Nun müssen die Ministerpräsidenten noch zustimmen, was jedoch als reine Formsache gilt.
Alle Beteiligten sind sichtlich bemüht, die polemischen Debatten der vergangenen Jahre nicht wieder aufflammen zu lassen.
Ob die jetzt vorgeschlagenen Teilrückschritte in der Praxis wieder Fuß fassen werden, ist allerdings fraglich. Immerhin hat bereits eine komplette Schülergeneration ausschließlich die neuen Regeln gelernt. Wer dieses Jahr mit der mittleren Reife die Schule verlässt, hat von der ersten Klasse an nie etwas anderes gelernt. Wer dieses Jahr sein Abitur macht, hat auf dem Gymnasium ebenfalls nie etwas anderes als die reformierte Rechtschreibung kennen gelernt.
Daher sind die Beschlüsse in erster Linie als Beruhigungspille für die Rentnergeneration zu verstehen. Außerdem bieten sie Desperados wie Nordrhein-Westfalen, Bayern und der FAZ einen willkommenen Anlass, unter Wahrung des Gesichts auf den Weg der Vernunft zurückzukehren.
Eines hat die Rechtschreibreform auf jeden Fall wieder einmal überdeutlich gezeigt: Dass dieses Land reformunfähig ist und keinerlei Hoffnung auf Besserung besteht.
Es ist denkbar, dass um das Jahr 2100 herum mutige Sprachpfleger erneut versuchen werden, die Rechtschreibung und Zeichensetzung an den allgemeinen Sprachgebrauch anzupassen, die Regeln zu vereinfachen, zu systematisieren und von den gröbsten Absurditäten zu befreien.
Unsere Urenkel können sich dann aber auf dasselbe Affentheater gefasst machen, das das deutsche Bildungsbürgertum bei den vorangegangenen Rechtschreibreformen von 1901 und 1996 aufgeführt hat. Aber vielleicht heißt die Amtssprache dann schon längst Englisch.
Richard Schneider