Tote durch Übersetzungsfehler bei Strahlentherapie in Frankreich? – Eine Falschmeldung und ihre Geschichte

Arzt
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„Frankreich: Tödlicher Übersetzungsfehler in Spital“, melden die Salzburger Nachrichten. „Tote wegen Übersetzungsfehler“, heißt es in der Schweizer Tageszeitung 20 Minuten. „Übersetzungsfehler kostet vier Patienten das Leben“, so der MDR. „Tragischer Übersetzungsfehler: Drei Tote durch Röntgen“, berichtet n-tv. Was ist geschehen?

Die dpa behauptet, „Fehlinterpretationen einer Bedienungsanleitung“ hätten in einem Krankenhaus in Epinal „mindestens drei Krebspatienten […] das Leben gekostet“. Die Bedienungsanleitung eines Geräts für die Strahlentherapie habe nur auf Englisch vorgelegen. Anschließend widerspricht sich die Nachrichtenagentur jedoch selbst, indem sie einen Verantwortlichen der Aufsichtsbehörde mit der Aussage zitiert, Ursache des Problems sei „eine falsche Interpretation der Daten“ (nicht der Bedienungsanleitung) gewesen.

In der Schweizer Tageszeitung 20 Minuten heißt es, „wegen der Fehlinterpretation einer englischen Bedienungsanleitung“ sei es zu den Verstrahlungen gekommen. Und der MDR weiß: „Eine falsch übersetzte Bedienungsanleitung hat vier Krebspatienten in Frankreich das Leben gekostet.“

Recherche in französischen Medien ergibt, dass deutsche Zeitungen die Unwahrheit schreiben

Eine Recherche in französischen Medien ergibt, dass nichts davon wahr ist. Schon die vermutlich allen Zeitungsberichten zugrunde liegende dpa-Meldung, die als alleinige Ursache die „Fehlinterpretationen einer Bedienungsanleitung“ nennt, ist falsch. Die von den Redaktionen meist selbstgedichteten Überschriften (Salzburger Nachrichten: „Frankreich: Tödlicher Übersetzungsfehler in Spital“) verfälschen die Aussage weiter.

Warum die deutschsprachigen und einige englischsprachige Medien einen Nebenaspekt, der nicht ursächlich für die Verstrahlungen war, in den Mittelpunkt ihrer Berichterstattung stellen, ist unklar. Neben der Neigung zur Vereinfachung könnten dabei auch mangelnde Französischkenntnisse eine Rolle gespielt haben.

Untersuchungsbericht: Qualitätssicherung missachtet

Der offizielle Untersuchungsbericht der Autorité de Sûreté Nucléaire (ASN) und der Inspection Générale des Affaires Sociales (IGAS) kommt jedenfalls zu einem ganz anderen Ergebnis: Hauptursache der Verstrahlungen sei die Missachtung elementarer Qualitätssicherungsmaßnahmen. Und zwar zum einen bei der ergonomisch schlechten Bediensoftware des Geräts und zum anderen auf Seiten des Krankenhauses bei der Durchführung der Therapie. Einfache Kontrolluntersuchungen hätten die Fehlbehandlungen verhindern können, so die Gutachter.

Der Bericht weist außerdem darauf hin, dass die Schulung des Bedienpersonals unzureichend gewesen sei („Ils n’ont pas été formés correctement“). Dabei wird am Rande erwähnt, dass die Bedienungsanleitung des Geräts nicht auf Französisch vorlag: „De plus, les manipulateurs ne disposent d’aucun guide d’utilisation en français adapté à leur pratique quotidienne.“ Dies ist ein Verstoß gegen französische und EU-weite Gesetze, die vorschreiben, dass die technische Dokumentation von Maschinen stets auch in der Landessprache vorliegen muss.

Nicht ein Übersetzungsfehler, sondern eine fehlende Übersetzung wird bemängelt

Von einem Übersetzungsfehler als Ursache der Fehlbehandlungen ist an keiner Stelle die Rede. Nicht auf einen Übersetzungsfehler, sondern auf eine fehlende Übersetzung weisen die Gutachter hin. Diese ist nicht das entscheidende, sondern ein untergeordnetes Element in der Kette der Versäumnisse.

Auch eine exzellente Übersetzung hätte die Verstrahlungen nicht verhindern können. Denn die Bediensoftware des Geräts war unergonomisch, das Bedienpersonal war nicht ausreichend geschult und die behandelnden Ärzte haben nicht die nötige Sorgfalt walten lassen.

23 Patienten zu stark bestrahlt

Am Centre Hospitalier Jean Monnet (CHJM) in Epinal wurden zwischen Mai 2004 und August 2005 insgesamt 23 Patienten bei der Bestrahlung von Prostatakarzinomen einer Überdosis ausgesetzt. Vier von ihnen sind inzwischen verstorben, davon drei wegen der Überdosierung. Zehn weitere weisen schwere, neun andere leichte Strahlenschäden auf.

[Text: Richard Schneider. Quelle: dpa, 2007-03-06; Salzburger Nachrichten, 2007-03-06; MDR, 2007-03-06; 20 Minuten, 2007-03-06; n-tv, 2007-03-06; Untersuchungsbericht ASN-IGAS, 2007-03-06.]