Gerichtsdolmetscher tragen eine enorme Verantwortung. „Ein Fehler kann Leben zu Grunde richten. Unschuldige können verurteilt werden. Unethische und inkompetente Dolmetscher können dazu beitragen, dass gefährliche Verbrecher auf freien Fuss gesetzt werden“, sagt Prof. Dr. Christiane Driesen von der Hochschule Magdeburg-Stendal. Leider komme es immer wieder vor, dass bei Gerichtsverhandlungen Laien als Dolmetscher eingesetzt werden und „zwar nicht nur bei seltenen Sprachen“, so Werner Rühl, Vorsitzender Richter am Landesarbeitsgericht Hamburg.
Aus dieser Situation heraus enstand die Idee einer Hochschulweiterbildung von Dolmetschern zu besonders qualifizierten „Dolmetschern und Übersetzern an Gerichten und Behörden“ an der Arbeitsstelle für wissenschaftliche Weiterbildung (AWW) der Universität Hamburg. Das Besondere an dieser Weiterbildung: Sie beinhaltet nach bestandener Prüfung die Möglichkeit, ohne weitere Prüfung zum Gerichtsdolmetscher vereidigt zu werden.
Die AWW sprach mit Prof. Dr. Christiane Driesen und Werner Rühl über die Hintergründe.
Kommt es tatsächlich vor, dass bei Gerichtsverhandlungen Laien – v.a. bei „exotischen Sprachen“ – als Dolmetscher eingesetzt werden, weil es nicht genügend ausgebildete Gerichtsdolmetscher gibt?
Rühl: Ja, der Einsatz allgemein vereidigter Dolmetscher und Übersetzer ist zwar die Regel, es werden aber Ausnahmen gemacht und zwar nicht nur bei seltenen Sprachen. Leider gibt es keine offiziellen Statistiken zu dieser Frage. Die Entscheidung und damit auch die Verantwortung liegt beim jeweiligen Vorsitzenden Richter.
Kann es durch den Einsatz von Laien zu Fehlern kommen, die sich auf die Entscheidung eines Rechtsstreits auswirken? Können Sie Beispiele aus Ihrer Praxis nennen?
Driesen: Zwei Beispiele könnte ich hier anbieten: Französischsprachige Kanadier sprechen die Nasallaute anders als Franzosen, Belgier oder Schweizer. Ein unerfahrener Sprachmittler hatte daher in einer Vernehmung sämliche Begriffe mit dem Nasal „an“ mit dem „in“ verwechselt aus „hundert (cent)“ Dollar wurden fünf (cinq). Das zweite Beispiel betrifft die Unkenntnis der einfachsten Gerichtsterminologie: Ein ebenfalls unerfahrener Sprachmittler übersetzte den Begriff „auf Bewährung“ bei dem Strafmaß aus Unkenntnis einfach nicht. Der Angeklagte brach zusammen in der Annahme, 8 Monate im Gefängnis verbringen zu müssen.
Wie kann es sein, dass immer noch unprofessionelle Sprachvermittler bei Gericht eingesetzt werden. Ist das Problembewusstsein bei Ihren Kollegen nicht überall vorhanden, liegt es am Geld oder sind die Gerichte einfach zu überlastet, um gründlich nach geeigneten Dolmetschern zu suchen und diese einzuladen? Gibt es keine verbindlichen gesetzlichen Regelungen?
Rühl: Ich denke, der zentrale Punkt ist das fehlende Problembewusstsein. Viele Menschen – auch Juristen – glauben, jeder, der zwei Sprachen spricht, könne auch dolmetschen. Das ist ein grundlegender Irrtum. § 189 des Gerichtsverfassungsgestzes gibt dem Richter die Befugnis, nicht allgemein vereidigte Personen für eine bestimmte Verhandlung als Dolmetscher zu vereidigen. Ein verantwortungsvoller Umgang mit dieser Befugnis liegt m. E. nur vor, wenn der Richter die Sprachkompetenz des zu Vereidigenden in beiden Sprachen beurteilen kann. Das dürfte nur sehr selten der Fall sein.
Warum ist es so wichtig, professionelle Sprachmittler bei Gerichten und Behörden einzusetzen? Was unterscheidet einen professionellen Dolmetscher und Übersetzer von einer Person, die eine Sprache ebenfalls sehr gut beherrscht?
Driesen: Professionelle Dolmetscher verfügen über methodische Fertigkeiten (Dolmetschtechniken) und beachten das Gebot der Neutralität. Darüber hinaus ist zumindest ein Grundverständnis des Zusammenhangs erforderlich, in dem der Dolmetscher tätig wird.
Gerichte und Behörden bedienen sich einer Fachsprache, die teilweise erheblich vom allgemeinen Sprachgebrauch abweicht. Ein Gerichts- und Behördendolmetscher muss sowohl die deutsche Fachterminologie als auch die entsprechende Begrifflichkeit in der anderen Sprache beherrschen. Da es sehr unterschiedliche Rechtssysteme gibt, setzt das neben rein sprachlichen Fertigkeiten auch ein Verständnis der beteiligten (Rechts-)Kulturen voraus.
Und was ist nun das Besondere am Dolmetschen und Übersetzen für Gerichte und Behörden?
Driesen: Das Besondere ist zum einen, dass es für die Betroffenen in der Regel um sehr gravierende Fragen geht, z. B. ob sie wegen einer Straftat verurteilt oder freigesprochen werden, ob sie in der Bundesrepublik bleiben dürfen oder nicht. Hinzu kommt, dass Gerichte und Behörden den für die Entscheidung maßgeblichen Sachverhalt zunächst feststellen müssen. Dazu sind sie auf die Angaben von Betroffenen und Zeugen angewiesen.
Insbesondere die Gerichte müssen würdigen, ob die Aussagen wahr sind oder nicht. Dafür kommt es oft auf Nuancen an. Der Dolmetscher muss vollständig und sehr präzise arbeiten. Wenn ein Zeuge z. B. mehrfach zur Antwort ansetzt oder sich verspricht, kann das für die Beweiswürdigung von Bedeutung sein. Der Gerichtsdolmetscher muss auch solche „Unebenheiten“ übertragen. Das ist noch schwieriger als wohlgeformte Sätze zu dolmetschen.
Am Ende der zehn Monate steht eine anspruchsvolle Prüfung. Was können Sie uns dazu sagen, und was können die Absolventen damit anfangen?
Rühl: Das Bestehen der Prüfung soll die Befähigung nachweisen, als Dolmetscher und Übersetzer bei Gerichten und Behörden tätig zu sein. Die allgemeine Vereidigung erfolgt ohne weitere Prüfung erfolgen. Das ist eine sehr gute Perspektive für die Absolventen und lässt hoffen, auch im Sinne der großen Gruppe von Menschen, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind, dass immer mehr qualifizierte Dolmetscher zur Verfügung stehen und von den Gerichten und Behörden auch eingesetzt werden.
[Text: Jörg Gensel, Öffentlichkeitsarbeit AWW, 2008-02-07.]