„Mehr als eine Sprache“ – Pariser Intellektuelle zur Übersetzungspolitik

In diesen Tagen will die Europäische Union über neue Initiativen in ihrer Übersetzungspolitik beraten. Dazu erschien vorab in verschiedenen europäischen Zeitungen der folgende „Appell“ von Angehörigen der Pariser Kulturschickeria, unter ihnen auch zwei deutsche Professoren.

Die Resolution war am 26.09.2008 an der Sorbonne von drei Dutzend Geistesgrößen unterzeichnet worden. Innerhalb eines Monats schlossen sich über das Internet 1.300 Personen den sehr allgemein gehaltenen Forderungen an.

Aufruf für eine europäische Übersetzungspolitik

Wenn Europa das europäische Aufbauwerk fortsetzt, ohne die Vielfalt seiner Sprachen zu achten, wird es sich selbst verleugnen. Es gibt zwei Möglichkeiten: entweder einen „Transaktionsdialekt“ allgemein anwenden, um den Austausch zu fördern, wobei das Risiko einer kollektiven Verarmung besteht; oder sich über die Sprachenvielfalt freuen und sie im Sinne eines besseren gegenseitigen Verständnisses und eines wahren Dialogs gewährleisten.

Die Europäische Union stellte, zumindest innerhalb ihrer provisorischen Grenzen, den freien Waren-, Kapital- und Personenverkehr sicher. Es ist an der Zeit, dass sie sich darum bemüht, das Wissen, die Werke und die Fantasien frei verkehren zu lassen und somit an die fruchtbaren Momente des historischen Europas anzuknüpfen. Es ist an der Zeit, dass die Europäer lernen, miteinander in ihren Sprachen zu sprechen. Die Aufwertung der Sprachen Europas wird zur Versöhnung der Bürger mit Europa beitragen. Die Übersetzung spielt dabei eine wichtige politische Rolle.

Denn eine Sprache ist nicht nur ein Kommunikationsmittel oder eine Dienstleistung. Sie ist auch nicht nur ein kulturelles Erbe, eine zu bewahrende Identität. Jede Sprache ist ein anderes Netz, das auf die Welt ausgeworfen wird, sie besteht nur in ihrer Interaktion mit den anderen Sprachen. Indem man übersetzt, vertieft man ihre Eigenheit sowie die der anderen Sprache: Man muss mindestens zwei Sprachen verstehen, um zu wissen, dass man eine spricht.

Da Übersetzen das Überschreiten der Identitäten und die Erfahrung der Unterschiede darstellt, muss es im Zentrum des öffentlichen europäischen Raumes stehen, den in seinen bürgerlichen und institutionellen Dimensionen, in seinen kulturellen, sozialen, politischen und wirtschaftlichen Komponenten zu errichten allen gemeinsam obliegt.

Deshalb rufen wir zur Umsetzung einer wahren europäischen Übersetzungspolitik auf, die auf zwei Prinzipien beruhen sollte: Alle Akteure und Sektoren des kulturellen Lebens (Lehre, Forschung, Dolmetscher- und Verlagswesen, Kunst, Medien) müssen mobilisiert werden; die internen Dynamiken der Union müssen genauso wie auch ihre außenpolitischen Maßnahmen strukturiert werden, indem die Aufnahme der anderen Sprachen in Europa und das Verständnis der Sprachen Europas in der übrigen Welt konkret gewährleistet werden.

Aus der Übersetzung wird das europäische Projekt neue Energie schöpfen.

Die Erstunterzeichner sind: Adonis, Vassilis Alexakis, Etienne Balibar, Tahar Ben Jelloun, Yves Bonnefoy, Barbara Cassin, Michel Deguy, Emmanuel Demarcy-Mota, Claude Durand, Umberto Eco, Paolo Fabbri, Maurizio Ferraris, Michèle Gendreau-Massaloux, Ghislaine Glasson Deschaumes, Yves Hersant, Jean-Noël Jeanneney, François Jullien, Julia Kristeva, Eduardo Lourenço, Amin Maalouf, Robert Maggiori, Federico Mayor, Ariane Mnouchkine, Edgar Morin, Manoel de Oliveira, Jacqueline Risset, Fernando Fernandez Savater, Antonio Tabucchi, Jürgen Trabant, Heinz Wismann.

Wer mitmachen möchte, kann hier elektronisch unterschreiben: plus-dune-langue.eu