Die Tür konnte nicht mehr geschlossen werden, so voll war der Raum bei der Präsentation des „modernen Übersetzerarbeitsplatzes“ im Bundessprachenamt. Und dies war nur eine von zahlreichen Veranstaltungen am Tag der offenen Tür am 7. Juni 2009.
Das Bundessprachenamt beschäftigt an rund 100 Dienstorten in Deutschland 975 Mitarbeiter. 450 davon sind in der Zentrale in Hürth tätig, davon 270 als Übersetzer, Dolmetscher und Terminologen. Rund 50 Fremdsprachenassistenten arbeiten den Übersetzern zu und übernehmen wichtige vorbereitende Tätigkeiten. Hinzu kommen mehrere hundert muttersprachliche Lehrer für die Sprachausbildung von Beamten – vor allem im diplomatischen Dienst.
80 bis 90 Prozent des Übersetzungsvolumens machen Aufträge aus der Bundeswehr aus, das Bundessprachenamt steht aber laut Gründungserlass dem gesamten öffentlichen Dienst im Rahmen der Amtshilfe zur Verfügung.
Heinz Zundel präsentierte die Arbeitsumgebung der Übersetzer, die aus Word und Trados besteht. Die Translation Memories des Bundessprachenamts enthalten rund fünf Millionen Satzpaare. Zum Vergleich: Bei der EU sind es rund 200 Millionen.
Der Sprachendienst erwartet von seinen Mitarbeitern ein Arbeitspensum von sechs Seiten pro Tag. Zwei Drittel der Übersetzungen werden von so genannten „Überprüfern“, das sind besonders erfahrene Übersetzer, noch einmal gegengelesen.
Die maschinelle Übersetzung (MÜ), für die Systran zur Verfügung steht, wird beim Bundessprachenamt kaum genutzt. Nur in Ausnahmefällen wird die MÜ zur Inhaltserschließung von Texten verwendet, wenn man also wissen will, worum es in dem fremdsprachigen Text überhaupt geht.
Anschließend führte Annette Reißner die Terminologiedatenbank des Bundessprachenamts vor. LEXIS, das lexikographische Informationssystem, wurde bereits zu Zeiten der Lochkarte für die Bundeswehr entwickelt, was man heute trotz moderner Windows-Oberfläche an diversen Beschränkungen noch erkennen könne, so die Referentin.
LEXIS arbeitet sprachpaarbezogen, wobei Deutsch stets Ausgangs- oder Zielsprache ist. Die Datenbank enthält rund 1,5 Mio. Einträge in 10 Sprachen. Die meisten entfallen auf Englisch, gefolgt von Russisch, der alten „Feindsprache“ aus den Zeiten des kalten Krieges. An dritter Stelle liegt Französisch.
Die Qualitätssicherung übernehmen 17 Terminologen, die sich regelmäßig in Terminologieausschüssen mit Fachleuten zusammensetzen, um offene Fragen zu klären und Vorzugsbenennungen festzulegen.
Die Terminologiedatenbank steht allen internen Mitarbeitern über das Intranet zur Verfügung. Mitarbeitern im Auslandseinsatz wird eine Offline-Version auf DVD zur Verfügung gestellt.
Von den anwesenden freiberuflichen Übersetzern aus der Wirtschaft waren viele daran interessiert, Zugriff auf die Datenbank zu bekommen, gilt diese doch als qualitativ hochwertig und deutlich besser als etwa die EU-Datenbank IATE, das frühere Eurodicautom. Sie mussten jedoch erfahren, dass es keine Möglichkeit gibt, über das Internet auf LEXIS zuzugreifen und dass man die DVD-Version nicht käuflich erwerben kann. Selbst die wenigen und selten beschäftigten freien Mitarbeiter des Amtes erhalten keinen Zugriff auf LEXIS.
Zum Abschluss präsentierte Peter Krüger seine Erfahrungen mit der Profi-Version von Dragon Naturally Speaking. Die Diktiersoftware wird zurzeit von 10 Mitarbeitern des Amts im praktischen Einsatz getestet.
Bereits nach kurzer Einarbeitungszeit seien die Ergebnisse der Spracherkennung erstaunlich gut, was den Anwesenden ausführlich demonstriert wurde. Allerdings ändere sich durch die Diktiersoftware die Arbeitsweise beim Übersetzen. Krüger liest sich den Ausgangstext zunächst komplett durch, klärt Terminologiefragen und fängt dann erst an zu diktieren.
Problematisch sei die Spracherkennung, wenn man erkältet und heiser sei. Der Autor dieses Artikel wollte wissen, ob sich durch Dragon die Produktivität beim Übersetzen erhöht habe. Darauf erklärte Krüger mit einem Augenzwinkern, diese Frage sei nicht zulässig.
Von den anwesenden freiberuflichen Übersetzern hatten sicherlich viele gehofft, vom Bundessprachenamt mit Aufträgen bedacht zu werden. Das Amt vergibt allerdings nur in seltenen Ausnahmefällen Übersetzungen nach außen, da der gesamte Bedarf intern abgedeckt werden kann.
Auch diejenigen, die sich Hoffnungen auf eine Festanstellung gemacht hatten, wurden enttäuscht. Die Mitarbeiterzahl des Bundessprachenamts ist in den vergangenen Jahrzehnten praktisch konstant geblieben. Offene Stellen werden nur dann ausgeschrieben, wenn Mitarbeiter aus dem Sprachendienst ausscheiden.
Und trotzdem hat wohl keiner der angereisten freien Übersetzer sein Kommen bereut. War der Tag doch eine spannende Exkursion in eines der letzten großen und offenbar noch weitgehend intakten Reservate für angestellte und verbeamtete Sprachmittler. Eine kleine, heile Welt mit ganz offensichtlich glücklichen Einwohnern, denen die Stürme der Weltwirtschaftskrise nichts, aber auch gar nichts anhaben können.
Das weitläufige Gelände ist wie eine Kaserne mit hohen Zäunen und Schlagbaum nach außen abgeschottet und wirkt wie ein Zoo, in dem die vom Aussterben bedrohten Arten des angestellten und verbeamteten Übersetzers gehegt und gepflegt werden.
Ausführliche Informationen über die Geschichte und die Aufgaben des Bundessprachenamts enthält das 56-seitige Programmheft, das gleichzeitig auch eine Art Jubiläumsschrift aus Anlass des 40-jährigen Bestehens ist.
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[Text: Richard Schneider. Bild: Richard Schneider.]