Kritik an uneinheitlicher und später Übersetzung von Geschäftsberichten

BörsenkurseAm 2. April 2009 veröffentlichte der französische Haut Conseil du Commissariat aux Comptes eine Stellungnahme, die festschreibt, dass Abschlussprüfer nicht befugt sind, die Übersetzung der Geschäftsberichte von Unternehmen vorzunehmen, deren Jahresabschlüsse sie prüfen. Dies dürfte bei manchen Unternehmen zu Änderungen bei den Übersetzungsabläufen führen. Hinzu kommt, dass die europäischen Melde- und Transparenzvorschriften eine gleichzeitige Veröffentlichung für alle Marktteilnehmer im In- und Ausland vorschreiben. Aber werden diese Vorgaben auch eingehalten?

Übersetzungen von Pflichtveröffentlichungen werden heute von mindestens ebenso vielen Interessenten gelesen wie die in der Ursprungssprache verfassten Texte. Das auf die Erstellung und Übersetzung von Geschäftsberichten spezialisierte französische Unternehmen Labrador hat deshalb eine Umfrage zur gängigen Praxis bei der Übersetzung ins Englische durchgeführt.

Die Befragung von Unternehmen des französischen SBF120 und des Dow Jones Stoxx50 ergab, dass französische Unternehmen auf diesem Gebiet Defizite aufweisen. Vor allem die Zeitspanne zwischen der Veröffentlichung der französischsprachigen Dokumente und ihrer englischen Übersetzung ist meist zu hoch.

Ende Mai 2009 hatten sämtliche Unternehmen des Dow Jones Stoxx50 die englischsprachige Übersetzung ihrer Referenzdokumente veröffentlicht. Hingegen war dies nur bei 79 % der Unternehmen des SBF120 (95 % des CAC40, 70 % des SBF80) der Fall. Nur 37 % hatten beide Sprachversionen gleichzeitig oder annähernd gleichzeitig veröffentlicht (innerhalb einer Woche). Meist verstreichen zwischen der Veröffentlichung beider Sprachversionen zwei bis sieben Wochen.

Laurent Rouyrès„Diese Unternehmen sollten sich fragen, ob eine derart verzögerte Veröffentlichung überhaupt noch relevant ist. Denn die englischsprachigen Interessenten dürften sich die Informationen bis dahin bereits auf anderen Wegen verschafft haben“, betont Laurent Rouyrès (Bild), President und Managing Director von Labrador.

Ein weiterer Stein des Anstoßes: die Vergleichbarkeit der französisch- und englischsprachigen Dokumente. Beide Versionen enthalten nur bei 54 % der Unternehmen des CAC 40 und nur bei 40 % der Unternehmen des SBF80 identische Informationen (gleiche Paginierung, gleiches Inhaltsverzeichnis). Bei 31 % der Unternehmen des CAC40 und 44 % der Unternehmen des SBF80 weisen die Dokumente zwar dasselbe Inhaltsverzeichnis auf, jedoch nicht dieselbe Seitenanzahl, was die Kommunikation zwischen französisch- und nicht französischsprachigen Lesern erschwert. Diese Diskrepanzen wurden unter anderen auch in den interaktiven elektronischen Versionen der Dokumente festgestellt. Und 15 % der Unternehmen des CAC40 und 16 % der Unternehmen des SBF80 veröffentlichen in jeder Sprache völlig andere Dokumente.

Noch größere Verwirrung stiften die unterschiedlichen Titel, die den Übersetzungen gegeben werden: Die Unternehmen des CAC40 verwenden meist die Bezeichnung „Registration document“ (31 %), so wie dies vom Amtsblatt der Europäischen Union und von der englischen Übersetzung der Allgemeinen Regeln der französischen Börsenaufsicht AMF empfohlen wird. Unternehmen des SBF80 tendieren zur Überschrift „Reference document“ (34 %), während die entsprechenden Dokumente des Dow Jones Stoxx50 mit „Annual report“ (57%) und „20F“ (33 %) betitelt werden.

„Obwohl die Veröffentlichung der Referenzdokumente strikten gesetzlichen Bestimmungen unterliegt, ist die übliche Praxis weit von einer Standardisierung entfernt. Unternehmen, die ihre französisch- und englischsprachigen Dokumente gleichzeitig veröffentlichen, erstellen meist auch gleichartig strukturierte Dokumente. Eine Standardisierung würde die Vergleichbarkeit der Informationen sowie ihre Zugänglichkeit vereinfachen und den Zeitraum bis zu ihrer Veröffentlichung verkürzen“, analysiert Laurent Rouyrès.

Auch die Unternehmen selbst sind sich darüber im Klaren, dass hier Nachholbedarf besteht: Auch wenn nahezu alle Unternehmen angeben, mit der englischen Übersetzung zufrieden zu sein, würden sie dennoch gerne den Übersetzungsprozess optimieren, um eine schnellere Veröffentlichung zu ermöglichen.

Die Umfrage von Labrador konzentrierte sich auf die Referenzdokumente für das Jahr 2008, die seit dem 31. Mai 2009 erhältlich sind, d. h. 108 Dokumente in französischer Sprache und 85 entsprechende englische Übersetzungen, sowie 42 Dokumente in englischer Sprache, die von den Unternehmen des Dow Jones Stoxx50 (ausschließlich CAC40) veröffentlicht wurden. Die Antwortquote der Umfrage lag bei 23 % der Unternehmen des SBF120 (einschließlich 1 von 3 Unternehmen des CAC40). Daneben antworteten auch 4 Unternehmen des Dow Jones Stoxx50.

Labrador
Labrador wurde 1992 von Laurent Rouyrès gegründet und ist das einzige Unternehmen in Frankreich, das die Erstellung, Überarbeitung und Übersetzung von Pflichtveröffentlichungen an der Börse zu seinem Kerngeschäft gemacht hat. Labrador beschäftigt sich mit allen Arten periodischer Finanzdokumente, vor allem solchen, die im Rahmen von Wertpapierangeboten für börsennotierte Unternehmen benötigt werden. Labradors optimiert die Klarheit, Verständlichkeit, Kohärenz und Vergleichbarkeit der Texte. Die jüngsten Forderungen nach mehr Transparenz bei börsennotierten Unternehmen kurbelten die Geschäftstätigkeit von Labrador weiter an.

[Text: Labrador, überarbeitet von Richard Schneider. Quelle: Pressemitteilung Labrador, 2009-06-23. Bild: bilderbox, fotolia.de; Labrador.]