Auf der vom BDÜ im September 2009 veranstalteten Fachkonferenz „Übersetzen in die Zukunft“ in Berlin hielt der Generaldirektor der Generaldirektion Übersetzung der Europäischen Kommission Juhani Lönnroth (Bild) einen Vortrag zum Thema „Von Schlossern und Brückenbauern: Der Beitrag der Übersetzung zum europäischen Einigungsprozess“.
Hier ein paar Zitate aus diesem Vortrag:
Die EWG hatte am Anfang sechs Mitgliedsstaaten und vier Amtssprachen: Deutsch, Französisch, Italienisch und Niederländisch. Die Übersetzung erfolgte somit in zwölf Sprachkombinationen. Heute haben wir 27 Mitgliedsstaaten, 23 Amtssprachen und 506 Sprachkombinationen.
Klaus Wowereit bezeichnete die Übersetzer als ‚professionelle Brückenbauer, die den Zugang zu einer anderen Welt eröffnen und so dazu beitragen, dass Begegnung auch mit gegenseitigem Verstehen einhergeht.‘ Sprachmittler sind wohl am ehesten mit den Schlossern zu vergleichen, die Türen und Fenster öffnen, damit die Bürger im einen Zimmer sehen können, was in den anderen Zimmer geschieht.
Alle Sprachendienste aller europäischen Einrichtungen – also dieDolmetsch- und die Übersetzungsdienste – zusammen betrachtet, kommen wir auf über 6000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. […] 2008 wurden bei der Generaldirektion Übersetzung – also nur bei der Kommission – 1.805.589 Seiten übersetzt. Das ist mehr als das Hundertfache des Übersetzungsaufkommens von 1958.
Nur die Hälfte der Bevölkerung in der EU kann sich in einer anderen Sprache als der Muttersprache unterhalten. Erfolgreicher Fremdsprachenerwerb setzt voraus, dass der Lernende zunächst seine Muttersprache perfekt berherrscht. Beherrschuung der Muttersprache kommt jedoch nicht von allein, hier spielt die Bildungspolitik eine zentrale Rolle. […] Aus den Statistiken geht hervor, dass die deutsche Sprache als Ausgangssprache eine noch bescheidene Rolle spielt.
Es müssen innovative Verfahren und Materialien ausprobiert werden, um dadurch den Beitrag zum Fortschritt zu leisten. Wir sind ständig darum bemüht, unsere Effizienz und Produktivität zu verbessern. In der heutigen Zeit genügt es nicht, gut zu sein und zu wissen, dass man gut ist. Und wir alle wissen natürlich, dass nichts so gut sein kann, dass es nicht noch verbessert werden könnte. […] Qualitätsmanagement und -sicherung bedeutet eine ständige Überprüfung aller Arbeitsabläufe, sowie eine gründliche Revision und ein Gegenlesen der Übersetzung. […] Wir arbeiten seit Jahren daran, die Sprache der EU für den Bürger verständlicher zu machen.
Juhani Lönnroth erklärte desweiteren:
Wir haben zurzeit Nachwuchsprobleme bei der Übersetzung ins Englische sowie ins Dänische. Viele Mitglieder der englisch- und dänischsprachigen Abteilungen sind eingestellt worden, als das Vereinigte Königreich, Irland und Dänemark 1973 den Europäischen Gemeinschaften beitraten. Heute, etwa 35 Jahre später, treten die ersten Vertreter dieser Generation in den Ruhestand und weitere werden ihnen folgen. Damit gehen sprachliche und technische Fertigkeiten verloren, die über Jahrzehnte angesammelt wurden. […] Das ‚Europäische Master Übersetzen‘ soll ein Netz von Studiengängen schaffen und so das Niveau der Übersetzerausbildung heben.
Zum Abschluss bediente sich Juhani Lönnroth noch eines Vergleichs, um die Situation der Übersetzerinnen und Übersetzer zu verdeutlichen:
Nicht jeder, der ein Haus bezieht, macht sich Gedanken darüber, wie viele Handwerker wie lange arbeiten müssen, bevor das Gebäude bezugsfertig wird. Man betrachtet die Handwerker eher als ein lästiges Übel. So geht es auch uns. Die Bürger lesen unsere Übersetzungen, und da diese so gut sind, merken sie oft gar nicht, dass sie eine Übersetzung in der Hand halten. Den Schlüsseldienst ruft man erst, wenn die Tür verschlossen ist, und dann wundert man sich, warum jemand so lange braucht, um diese Tür aufzukriegen. Wie lange man braucht, um mal eben so ein paar Seiten in hervorragender Qualität zu Übersetzen, können sich nur diejenigen Vorstellen, die das selbst schon einmal versucht haben. Aber wir haben eine wichtige Aufgabe. Wir leisten einen Beitrag zur Verständigung und somit zum Frieden in Europa. Denn die Menschen, die einander verstehen, schießen nicht aufeinander.
Juhani Lönnroth (64) ist Finne und hat seit dem 01.01.2004 den Posten des Generaldirektor der Generaldirektion Übersetzung der Europäischen Kommission inne. Er studierte u.a. in Helsinki und Wisconsin, sowie in Frankreich und den USA. Lönnroth spricht 5 Sprachen (Finnisch, Schwedisch, Englisch, Französisch und Deutsch) und verfügt über Grundkenntnisse in Russisch und Spanisch. Er veröffentlichte bereits zahlreiche Beiträge zu den Themen Beschäftigung, Soziales, Migration und Sprachen.
Den obigen Vortrag können Sie in gesamter Länge auf den Seiten der Generaldirektion Übersetzen der EU-Kommission abrufen.
[Textauswahl: Eva Mauermann. Quelle: Vortragsmanuskript Juhani Lönnroth, zur Verfügung gestellt vom BDÜ. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des Autors und des Veranstalters. Bild: BDÜ.]