Zur der von Justiz und Politik so gut wie beschlossenen Einführung von Englisch als Gerichtssprache in Deutschland erklärt Helena Piprek (Bild), Vorsitzende der Interessengemeinschaft Bundesdeutscher Gerichtsdolmetscher (IGBG):
Grundsätzlich ist dieses Vorhaben aus Sicht der IGBG sehr zu begrüßen, dient es doch der Stärkung des bundesdeutschen Rechtsstandorts. Zudem werden im EU-Kontext gut 70 % der anstehenden Übersetzungen für die Sprache Englisch ausgeführt, was die herausgehobene Stellung des Englischen auch in internationalen Wirtschaftsbezügen betont.
Allerdings fehlt es noch an greifbaren Strukturen und Kriterien für die Gewährleistung einer hohen Qualität der juristischen Verdolmetschung und Übersetzung bei den vorgeschlagenen Kammern. Es ist nämlich nicht nur eine hohe theoretische und praktische Sprachbeherrschungskompetenz der Richterinnen und Richter, sondern auch sämtlicher beteiligten Verfahrensparteien bis hin zu den Protokollführern und den Geschäftsstellen zu gewährleisten.
Da die juristische Verdolmetschung und Übersetzung darüber hinaus Höchstanforderungen stellt, greift die Bezeichnung Dolmetscher aus Sicht der IGBG viel zu kurz. Hier ist in jedem Fall die Doppelkompetenz im Sinne des akademisch ausgebildeten Lawyer-Linguisten bzw. Linguisten-Lawyer unter Ausweis der einschlägigen Qualifikationen und analog zu anderen EU-Mitgliedstaaten sicherzustellen (siehe auch Reflection Forum on Multilingualism and Interpreter Training im Auftrag der GD Dolmetschen der Europäischen Kommission).
Zudem wäre in einem weiteren Schritt darzulegen, wie diese Sprachmittlerinnen und Sprachmittler strukturell eingebunden werden sollen – in Festanstellung oder als Freelancer (Direktbeauftragung).
Ein weiterer Punkt ist bei einer freiberuflichen Tätigkeit die Frage der Vergütung. Hier verweist die IGBG auf das JVEG, allerdings ohne Öffnungsklausel. Da es sich hierbei durchweg um Fachtexte handeln wird, wäre auch der jeweils höhere Zeilensatz pro Normzeile von mindestens 1,85 EUR/Normzeile anzusetzen. Bei der juristischen Verdolmetschung ist der Ansatz von 55,00 EUR netto/Std. im Marktvergleich wie bekannt sehr niedrig; hier möchte die IGBG auf die deutlich höheren Stundensätze für Simultan-, Konsekutiv- bzw. Flüsterdolmetschen der freien Wirtschaft verweisen.
Gegen eine Beauftragung von Agenturen und eine Vermakelung hoch spezialisierter Sprachmittlerinnen und Sprachmittler mit der sprach- und rechtswissenschaftlichen Doppelkompetenz spricht sich die IGBG in dem Zusammenhang schon jetzt nachdrücklich aus.
Links zum Thema auf uepo.de
2010-05-23: Im Namen der Globalisierung: Englisch als Gerichtssprache in Deutschland
2010-05-08: Bundesrat: Auch Englisch soll zulässige Gerichtssprache sein
2010-05-03: Landgericht Bonn plant erste Gerichtsverhandlung in englischer Sprache
[Quelle: Mitteilung IGBG, 2010-05-10. Bild: Piprek.]