Kulturelle Entwicklung bestimmt Sprachen

Weltweit werden etwa 6000 bis 7000 Sprachen gesprochen. Davon ist die Hälfte vom Aussterben bedroht, da sie kaum noch gesprochen oder nicht an die Nachkommen weitergegeben werden. Momentan werden die häufigsten 50 Sprachen von rund 80 Prozent der Menschheit als Muttersprache gesprochen. Wie sich diese Sprachenvielfalt entwickelt hat, ist jedoch bis heute ein Rätsel. Linguisten suchen nach wiederkehrenden Mustern in der Sprachstruktur. In einigen Sprachen steht das Verb am Satzanfang, in anderen jedoch in der Mitte oder am Satzende. Auch die Bildung von Wörtern erfolgt nach bestimmten Prinzipien. Der amerikanische Professor für Linguistik Noam Chomsky ist seit den 50er-Jahren der Ansicht, dass die Fähigkeit, Äußerungen zu strukturieren, angeboren ist und damit ein Teil des genetischen Programms des Menschen darstellt. Dies wird auch als „Universalgrammatik“ bezeichnet. Der Linguist Joseph Greenberg hingegen geht von einer „universellen Weltordnung“ aus: Allgemeine Mechanismen der Sprachverarbeitung im Gehirn bestimmen die Reihenfolge von Wörtern und Satzteilen.

Eine Forschergruppe am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik in Nijmegen relativiert die beiden oben beschriebenen Annahmen und ist nun zu der Kenntnis gelangt, dass die Evolution der Wortstellung im Satz bei Sprachen aus verschiedenen Sprachfamilien unterschiedlich abläuft. Dies stellt einen Widerspruch zu den bisherigen Meinungen dar, nach denen sich die Wortstellung nach universellen, auf alle Sprachen anwendbaren Regeln entwickelt. Die Forscher leiten daraus ab, dass sich Sprachen nicht auf eine genetisch vorprogrammierte „Universalgrammatik“ stützen, sondern die Satzstruktur einer Sprache entscheidend von ihrer Vorgeschichte, der kulturellen Prägung, bestimmt wird.

Michael Dunn und Stephen Levinson vom Max-Planck-Institut für Psycholinguistik haben 301 Sprachen aus vier großen Sprachfamilien im Hinblick auf die Reihenfolge von Satzteilen wie „Objekt-Verb“, „Verhältniswort-Hauptwort“, „Genitiv-Hauptwort“ oder „Relativsatz-Hauptwort“ analysiert. Zudem stand die Frage, ob sich deren Stellung im Satz gegenseitig beeinflusst, im Zentrum ihres Interesses. Sie zielten darauf ab, herauszufinden, ob sich die Stellung des Verbs auch auf andere Wortfolgen auswirkt.

„Unsere Studie zeigt, dass in den verschiedenen Sprachfamilien unterschiedliche Prozesse ablaufen“, so Michael Dunn. „Die Evolution von Sprache folgt nicht einem einzelnen universellen Regelwerk.“ In den Austronesischen und Indo-Europäischen Sprachen habe die Stellung „Verb-Objekt“ Einfluss auf die Reihenfolge „Verhältniswort-Hauptwort“. In den Bantu- und Uto-Aztekischen Sprachfamilien sei dies allerdings nicht der Fall. „Die Sprachstruktur ist also offenbar weniger biologisch festgelegt, sondern wird von ihrer Abstammung geprägt“, erklärt Stephen Levinson.

Nun wollen die Wissenschaftler weitere Sprachfamilien sowie den Einfluss der Sprachentwicklung dieser Sprachen auf die Sprachstrukturen untersuchen.

[Text: Jessica Antosik. Quelle: mpg.de, 14.04.2011; wikipedia.de. Bild: wikipedia.de.]