Die Goethe-Institute in Polen kommen einmal im Monat mit einem Übersetzer „ins Gespräch“. Übersetzer mit der Sprachenkombination Polnisch-Deutsch bzw. Deutsch-Polnisch beantworten in der Interview-Reihe Fragen wie „Welche sprachlichen Schwierigkeiten haben Sie beim Übersetzen schon einmal an den Rand der Verzweiflung gebracht?“ und „Können Sie vom Übersetzen leben?“.
Nachfolgend ein Auszug aus den Interviews mit den Übersetzern:
Frage: Wie sind Sie zum Übersetzen gekommen?
Tomasz Ososiński: „Das Übersetzen ist in meinem Fall [
] nicht der Hauptberuf, ich übersetze eher, wenn sich die Gelegenheit ergibt, wenn sich ein Verleger findet, der sich für einen meiner Vorschläge interessiert.“
Esther Kinsky: „Das Übersetzen war ein ganz früher Wunsch, der eigentlich schon in meinem ersten Lesealter seine Wurzeln hat, als ich irgendwann in einem Kinderbuch im Impressum den unverständlichen ‚Originaltitel‘ entdeckte, und mir erklärt wurde, dass dieses Buch in einer anderen Sprache geschrieben worden war.“
Stichwort: Übersetzer als Vermittler zwischen den Kulturen
Anna Gamroth: „Als Übersetzerin von Kinderliteratur habe ich es da nicht [
] so schwer Kinder sind überall auf der Welt gleichermaßen spontan, können auf Knopfdruck lachen oder weinen, naschen in aller Regel gern Süßigkeiten und wollen immer noch ein bisschen länger aufbleiben.“
Tomasz Ososiński: „Damals war der Übersetzer ein Vermittler, eine Art Priester, ohne den die Kommunikation mit einer fremden Kultur fast unmöglich war. Deshalb war zum Beispiel der Übersetzer in Osteuropa während des Kommunismus eine so wichtige Person. Heute, in Zeiten des allgemeinen Internetzugangs und einer viel leichteren Kommunikation, ist der Übersetzer nicht mehr der einzig Eingeweihte, ohne den nichts geht.“
Esther Kinsky: „Es geht [ ] darum, ein dem originalen Kunstwerk ebenbürtiges Gebilde zu schaffen, dessen ‚fremde‘ Herkunft aber dennoch wahrnehmbar bleibt.“
Stichwort: Kulturelle Distanz
Anna Gamroth: „Die kulturelle Distanz zwischen den Welten von Kindern und Erwachsenen ist garantiert größer als die zwischen polnischer und deutscher Kinderliteratur.“
Tomasz Ososiński: „Das von mir übersetzte Buch von Matthias Göritz, Der kurze Traum des Jakob Voss, spielt in Westdeutschland vor dem Fall der Mauer. Viele Elemente dieser Welt würden für den polnischen Leser unverständlich bleiben, wollte man das Buch eins zu eins übersetzen. In solchen Fällen stellt sich immer die Frage: Soll man eine Anmerkung machen oder den Text den polnischen Realien anpassen?“
Tomasz Dominiak: „[Nach] meinem Dafürhalten ist jeder Text im Grunde ein Kosmos für sich.“
Bernhard Hartmann: „Besonders deutlich wird die Distanz bei Texten oder Begriffen, die mit dem Zweiten Weltkrieg und seinen Folgen zu tun haben man denke nur an die Wörter ‚Vertreibung‘ (‚wypędzenie‘) oder ‚Umsiedlung‘ (‚przesiedlenie‘), die in Deutschland und Polen jeweils ganz andere Erinnerungen wecken.“
Stichwort: Sprachliche Schwierigkeiten beim Übersetzen
Anna Gamroth: „Sprachliche Schwierigkeiten? Vielleicht ist es sogar ganz gut, dass es sie gibt. Sonst könnte es fast ein bisschen langweilig werden
[
] [In Paul Maars Büchern] jagt ein Sprachspiel das nächste, Idiome purzeln und entstehen neu, phonetische Verwandtschaften werden ausgeschlachtet,
und all das hat Konsequenzen und zieht seitenlange Komplikationen nach sich.“
Renate Schmidgall: „Im Polnischen gibt es eine Kombination aus Vulgärem und Vertrautem, Liebevollem, Zärtlichem, das die deutsche Hochsprache nicht kennt, anders gesagt: formal vulgäre Ausdrücke drücken gar nichts Vulgäres aus, sondern markieren eine Stufe der Umgangssprache.“
Esther Kinsky: „Dieses Aufbrechen, Klittern, Neuschaffen von Sprache, dieser unglaubliche, aus allem Gesehenen, Gehörten, Gewussten, Gelesenen erschriebene Kosmos aus Worten ist fast unübersetzbar, man muss sich vollkommen diesem Bialoszewski-Hirn verschreiben, sich völlig in diesen Sprachprozess versenken, um etwas annähernd Vergleichbares zu schaffen.“
Elżbieta Kalinowska: „[Oftmals] finde ich keinen adäquaten polnischen Ausdruck für etwas [ ], das mir auf Deutsch sehr schön, ja perfekt erscheint.“
Alicja Rosenau: „Was mich an den Rand der Verzweiflung bringt, sind Wortspiele und Sprachspielereien, mit denen man nichts, aber auch gar nichts machen kann. Die Übersetzung kann ihren Sinn nicht übertragen und ein weit gefasster Kontext lässt nicht zu, dass man das polnische Äquivalent verwendet. Was mir dann übrig bleibt, ist das Erstellen von Fußnoten, in denen ich dem Leser nach dem Prinzip der Holzhammermethode erkläre, warum diese Stelle gerade lustig sein sollte.“
Bernhard Hartmann: „Das im Vergleich zum Deutschen einfachere Tempussystem des Polnischen oder das Fehlen von Artikeln machen mir immer wieder Probleme.“
Frage: Wonach entscheiden Sie, was Sie übersetzen?
Paulina Schulz: „Wenn ich in Polen Bücher scoute und dann Übersetzungsproben für Verlage erstelle, gehe ich nach persönlichem Interesse; der Text muss mich einfach hinreißen!“
Bernhard Hartmann: „Wenn ich auf eigenes Risiko übersetze, was bei der Lyrik meist der Fall ist, rein nach Interesse die Texte müssen mir gefallen oder eine übersetzerische Herausforderung bieten. Bei Auftragsarbeiten und Sachtexten spielen auch profane Faktoren wie die Höhe des Honorars, das Renommee des Auftraggebers oder der Abgabetermin eine Rolle.“
Stichwort: Gespräch mit dem Autor
Renate Schmidgall: „Wenn man den Menschen kennt, kann man das, was er schreibt, intuitiv viel besser verstehen und einordnen.“
Tomasz Ososiński: „Das Gespräch mit dem Autor ist in jedem Fall sehr wichtig, vor allem, wenn man Lyrik übersetzt, das heißt Texte, die vieldeutig sind und manchmal schwer zu erkennende Bezüge und Anspielungen enthalten.“
Esther Kinsky: „Gespräche mit dem Autor sind eigentlich nur dann relevant, wenn es um Sachfragen geht. [ ] Ich glaube, das wichtigste ist, dass der Autor dem Übersetzer vollkommen vertraut. Der Übersetzer muss die ‚Vollmacht‘ haben, das Kunstwerk sozusagen nachzubauen, mit seinen Mitteln.“
Tomasz Dominiak: „Aus Respekt vor dem Autor würde ich [ ] den Kontakt auf ein absolut notwendiges Mindestmaß begrenzen. Meiner Überzeugung nach ist das Werk das letzte Wort des Autors.“
Stichwort: Übersetzungsarbeit als Kunst bzw. Übersetzungen als eigenständige Kunstwerke
Anna Gamroth: „[Das] Balancieren mit dem linken Fuß in der einen und dem rechten in der anderen Sprache [ist] [
] eine Art Drahtseilakt. Es geht ja beim literarischen Übersetzen nicht allein darum, zu verstehen und das optimale sprachliche Äquivalent zu finden. Ziel ist es doch, den Leser in der Illusion zu wiegen, er habe es mit einem Originaltext zu tun.“
Renate Schmidgall: „Die Übersetzung ist ebenso wie das Original ein sprachliches Kunstwerk. Wenn sie das nicht ist, ist sie keine gute Übersetzung. Das Übersetzen ist eine Tätigkeit, in der sich Handwerk und Kunst verbinden. [ ] [Der] Übersetzer ist im gleichen Sinn Künstler wie ein Pianist, der ein Stück von Chopin spielt.“
Tomasz Ososiński: „Das Übersetzen von Gedichten kann man bestimmt als künstlerische Tätigkeit sehen. Wenn man ein Gedicht übersetzt, übersetzt man ja nicht nur seine semantische Seite, sondern auch seine lautliche Seite und manchmal sogar seine visuelle …“
Jakub Ekier: „Der englische Übersetzungstheoretiker Alexander Fraser Tytler forderte im 18. Jahrhundert, die Übersetzung müsse ‚die Leichtigkeit der originalen Komposition‘ besitzen. Auch ich denke, dass es die Pflicht des Übersetzers ist, die Kunstfertigkeit des Originals zu transportieren also verlange ich von meinen Übersetzungen, dass sie diese Kunstfertigkeit möglichst in analogem Maße und auf analoge Weise wiedergeben.“
Frage: Können Sie vom Übersetzen leben?
Tomasz Ososiński: „Zum Glück muss ich das nicht. Das wäre schwierig in Polen.“
Esther Kinsky: „Ich kann nur dank der in Deutschland verfügbaren Stipendien und Förderungen davon leben.“
Andreas Volk: „Albrecht Lempp, den ich in meiner grenzenlosen Naivität vor einigen Jahren fragte, ob er denke, ich hätte das Zeug zum Literaturübersetzer, antwortete auf meine Frage mit der Gegenfrage: ‚Kannst du es dir denn leisten?'“
Jakub Ekier: „Hier kann ich nur die Antwort meines deutschen Kollegen Bernhard Hartmann wiederholen: Ich kann nicht vom Übersetzen leben, aber ich hätte nichts dagegen. Wie viele Übersetzer aus al“em möglichen Ländern würden wohl diesen Satz unterschreiben! Und das ist doch eigentlich ein ermutigendes Beispiel von Gemeinsamkeit über kulturelle Grenzen hinweg, oder nicht?“
Die Interviews mit den Übersetzern können Sie hier in ausführlicher Länge lesen
Außerdem bieten die Goethe-Institute in Polen auf der Webseite eine Rubrik „Übersetzerwelt“ mit Artikeln und Interviews rund ums Übersetzen in Polen und Deutschland. Dort können Sie sich u.a. über die deutsch-polnische Übersetzerszene, die Übersetzerstammtische in Berlin und Warschau, die erste Ausgabe des deutsch-polnischen Übersetzerjahrbuchs OderÜbersetzen und über Aktuelles informieren.
[Text: Jessica Antosik. Quelle: goethe.de. Bild: wikipedia.de.]