Über den dreißigjährigen Rechtschreibkrieg

Im Jahre 1996 beschlossen die Kultusminister Deutschlands, Österreichs und der Schweiz in Wien die Einführung der Rechtschreibreform an allen Schulen und Behörden für 1998. In der Abschlusserklärung des ersten Wiener Gesprächs von 1986 wurden die Ziele einer Rechtschreibreform wie folgt umrissen: „Grundsätzliches Einvernehmen wurde darüber erzielt, die auf der Orthographischen Konferenz von 1901 in Berlin erreichte einheitliche Regelung der deutschen Rechtschreibung den heutigen Erfordernissen anzupassen. Insbesondere geht es darum, die in vielen Teilbereichen der Rechtschreibung im Laufe der Zeit kompliziert gewordenen Regeln zu vereinfachen.“

Sowohl wegen der angestrebten Änderungen der Rechtschreibung als auch wegen der Vorgehensweise bei der Durchsetzung war die Reform von Anfang an umstritten und führte zu Auseinandersetzungen zwischen Befürwortern und Gegnern. Die Verlage erwarteten Umstellungskosten in dreistelliger Millionenhöhe. Auch Juristen und Politiker meldeten Bedenken an. Damals forderte u. a. der Weilheimer Deutschlehrer Friedrich Denk in der „Frankfurter Erklärung“ zu einem Stopp der Reform auf. Die Argumente lauteten: Milliardenteuer, wissenschaftlich unhaltbar, unpädagogisch und undemokratisch durchgesetzt. Einer Umfrage des Instituts für Demoskopie Allensbach 1997 zufolge waren rund 70 Prozent der Deutschen gegen die neuen Regeln. „Überflüssig wie ein Kropf“, meinte sogar der damalige Bundespräsident Roman Herzog (CDU).

Doch wie steht es heute um die Rechtschreibreform? Ist der Konflikt gelöst? Die Antwort ist: Jein. Es gibt im Schritttempo voran. Die Widerspruchsbeseitigung und Regelvereinfachung sind nur in Maßen gelungen. Die Reformgegner sind darüber erbost, dass oftmals zwei Schreibweisen eines Wortes zugelassen sind. 2009 waren der Berliner Forschungsgruppe Deutsche Sprache 350 Fälle bekannt, in denen die damals neu erschienenen Ausgaben der maßgeblichen Rechtschreibwörterbücher „Duden“ und „Wahrig“ voneinander abwichen. Die größten Unterschiede lagen in der Eindeutschung von Fremdwörtern. Der „Duden“ ging hier oft weiter und plädierte für „Schimäre“, „tschau“ oder „Kakofonie“, wohingegen der „Wahrig“ zu „Chimäre“, „ciao“ und „Kakophonie“ riet. Zudem fanden die Berliner Forscher im „Duden“ die Schreibweisen „bei Weitem“, „seit Neuestem“ und „dahin gehend“, während der „Wahrig“ an „bei weitem“, „seit neuestem“ und „dahingehend“ festhielt. Heiß diskutierte, vorgeschlagene Neuregelungen wie beispielsweise „Keiser“ statt „Kaiser“, „Pitza“ statt „Pizza“ oder „Bot“ statt „Boot“ wurden von der Kultusministerkonferenz bereits 1996 als unannehmbar zurückgewiesen.

Auf einige alternative Schreibweisen könnte man jedoch durchaus verzichten, da sich im Alltagsgebrauch bestimmte Varianten durchgesetzt haben. Der Rat für die deutsche Rechtschreibung hat im Juli 2011 die Löschung von „Butike“ (Boutique), „Fassette“ (Facette), „Krem“ (Creme), „Maffia“ (Mafia), „Myrre“ (Myrrhe), „Scharm“ (Charme), „Sketsch“ (Sketch) und „transchieren“ (tranchieren) empfohlen.

Die Neuregelungen der Reform der deutschen Rechtschreibung von 1996 gliedern sich in folgende Bereiche:

  • Die Beziehung zwischen Lauten und Buchstaben (hierunter fallen auch die Regeln zur Schreibung von Fremdwörtern);
  •  Groß- und Kleinschreibung;
  •  Getrennt- und Zusammenschreibung;
  •  Schreibung mit Bindestrich;
  •  Zeichensetzung;
  •  Worttrennung am Zeilenende (die nach der Neuregelung nicht mehr unbedingt eine Silbentrennung ist).

Zu einer der leichtesten und nachvollziehbarsten Regelungen zählt die heysesche s-Schreibung. Die adelungsche s-Schreibung wird in der traditionellen deutschen Rechtschreibung verwendet. Nach der reformierten Schreibung steht „ß“ (Eszett) nur noch nach einem langen Vokal und nach einem Diphthong: Maß, außen, gießen. Nach einem kurzen betonten Vokal steht „ss“ nicht mehr nur, wenn ein weiterer Vokal folgt, sondern auch vor Konsonanten und am Silbenende, wo in traditioneller Schreibung ein „ß“ steht (Fluss, muss, nass, Riss, wässrig).

Dreifachkonsonanten standen nach der alten Rechtschreibung nur dort, wo der folgende Bestandteil eines zusammengesetzten Wortes mit einer Konsonantenkombination beginnt: „Sauerstoffflasche“, „Werkstatttreppe“. Beginnt der folgende Wortbestandteil mit nur einem Konsonanten, der dem vorangehenden Doppelkonsonanten gleicht, so wurde in der Zusammensetzung einer der drei gleichen Konsonanten weggelassen. In der reformierten Schreibung bleiben immer alle drei Konsonanten erhalten, so dass Dreifachkonsonanten jetzt recht häufig auftreten, beispielsweise in „Schifffahrt“, „Schritttempo“, „wettturnen“ und „Flusssenke“.

Der Hauptschauplatz der Reform ist das weite Feld der Groß- und Klein- sowie Getrennt- und Zusammenschreibung. Der frühere rheinland-pfälzische Kultusminister Georg Gölter (CDU) prangerte die Absurditäten der Rechtschreibreform an und erklärte den Unterschied, den der „Duden“ zwischen „in bezug“ und „mit Bezug“ macht, für „völlig belanglos“.

Der Kampf um die Reform war ein seit etwa 1980 währender „Dreißigjähriger Krieg“ und ähnelte dem historischen Vorbild darin, dass er insbesondere wegen allgemeiner Erschöpfung endete. Zudem kam es, wie von 1618 bis 1648, im Dreißigjährigen Rechtschreibkrieg zu spektakulären Seitenwechseln. Zahlreiche Reformer wurden mit der Zeit zu Reformgegnern.

Im Juli 2005 wiederholte das Institut für Demoskopie in Allensbach seine Untersuchung zur Akzeptanz der Rechtschreibreform unter der Bevölkerung. Die Reform stoß in der Bevölkerung nach wie vor auf wenig Zustimmung: Lediglich 8 Prozent der Befragten waren Befürworter der Reform, eine deutliche Mehrheit von 61 Prozent sprach sich gegen die Reform aus. Ob man trotz dieser Zahlen von einer „Schlechtschreibreform“ sprechen kann, bleibt offen. Festzuhalten ist dennoch 1., dass die Reform fünf Jahre, nachdem sie am 1. August 2006 endgültig Gesetzeskraft erlangt hat, wie einige Beispiele gezeigt haben, immer noch reformbedürftig ist und 2., dass sich weniger Personen über die Reform aufregen als bei ihrer Einführung und die Korrekturen – wenn auch zähneknirschend – akzeptieren. Schließlich haben die Medien und die Deutschschreiber letztlich den größten Einfluss auf die deutsche Rechtschreibung.

[Text: Jessica Antosik. Quelle: focus.de, 21.12.1996; wikipedia.de; welt.de, 09.10.2011. Bild: Túrelio (via Wikimedia-Commons), Lizenz: Creative Commons CC-BY-SA-2.5.]

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