Prof. Dr. Wang Jianbin (48, Bild) ist Prodekan der Deutschen Abteilung der Beijinger Fremdsprachenhochschule (Beiiing Foreign Studies University/BFSU). Der gebürtige Beijinger gehört zu den wichtigsten Dolmetschern Chinas. Seine Erfahrungen, die er in vielen Einsätzen als Simultandolmetscher sowohl gegenwärtiger als auch ehemaliger deutscher Spitzenpolitiker wie Angela Merkel, Gerhard Schröder oder Johannes Rau gesammelt hat, sind in seine Forschungsarbeiten über Textlinguistik und Übersetzungswissenschaft eingeflossen.
In einem Audio-Interview mit Radio China International berichtet Prof. Dr. Wang Jianbin über das Übersetzen und Dolmetschen, über die Voraussetzungen für einen guten Dolmetscher, über seine Dolmetschertätigkeit und über China und Deutschland. Nachfolgend eine verkürzte Transkription des Gesprächs:
Ist Übersetzen/Dolmetschen für Sie eine Wissenschaft oder eine Technik?
Beides. Wenn man übersetzt/dolmetscht, kann man von einer praktischen Anwendung, der Anwendung von Sprachkenntnissen, sprechen. Viele bezeichnen das Übersetzen und Dolmetschen nicht als Wissenschaft, sondern vielmehr sprechen sie dabei von einer Technik bzw. von einem Handwerk. Doch die wissenschaftliche Beschäftigung mit dieser Technik, mit diesem Handwerk ist schon eine Wissenschaft. Und diese Wissenschaft hat sich in China und Europa fest etabliert. In Heidelberg habe ich meine Doktorarbeit zu dem Thema Übersetzbarkeit von der chinesischen Werbesprache ins Deutsche geschrieben. Wäre es keine Wissenschaft gewesen, dann hätte man sicherlich keine Möglichkeit gehabt, in dieser Disziplin zu promovieren.
Sie dolmetschen selbst als Dolmetscher bei wichtigen Kongressen und Verhandlungen manchmal auch simultan. Der Beruf des Simultandolmetschers gilt als ungewöhnlich und manchmal auch als mysteriös. Warum ist das so?
Für Laien ist das Simultandolmetschen etwas Besonderes, denn die Parallelität bzw. die Gleichzeitigkeit des Hörens und Sprechens ist sehr auffallend. Deshalb sagen viele, Simultandolmetschen kann nicht jeder. Aber letztlich ist das Simultandolmetschen nicht so geheimnisvoll. Man kann bestimmte Techniken erwerben, um einen Text zu hören, den gehörten Text zu verstehen und zu verarbeiten und in die Zielsprache zum Ausdruck zu bringen.
Würden Sie sagen, jeder kann Simultandolmetscher werden oder hängt diese Technik eher von der sprachlichen Begabung ab?
Wenn man sprachlich begabt ist und wann man großes Interesse hat an der Sprache und an dem Spracherwerb, dann sind die Grundlagen für die Ausbildung eines Dolmetschers gegeben. Die wichtigste Eigenschaft eines Dolmetschers ist Neugierde. Ein Dolmetscher muss neugierig sein darauf, was ihm unbekannt ist. Der Dolmetscher dolmetscht nicht nur Smalltalk, sondern ist auch auf Fachtagungen tätig. Dort werden komplexe und technische Fragen behandelt. Dazu ist Sachwissen erforderlich und dieses Sachwissen kann man nur erwerben, wenn man Lust hat, dieses Wissen selbst zu erlernen.
Was ist das wichtigste für einen guten Dolmetscher? Die Sprachkenntnisse? Das Sachwissen?
Nein, es ist das Verantwortungsbewusstsein. Der Erste Generalsekretär der Vereinten Nationen sagte Anfang der 50er-Jahre: Die Qualität der heutigen Welt hängt in erster Linie von den Politikern ab, in zweiter Linie von der Qualität des Dolmetschers. Das heißt, Dolmetscher haben eine enorme Verantwortung. Aus diesem Grund sind wir immer ein bisschen aufgeregt. Vor jedem Einsatz habe ich Bammel, denn man weiß nicht, welche Themen plötzlich besprochen werden, auf die man sich nicht vorbereiten konnte. Aber das wichtigste ist, dass man die Kompetenz haben sollte, sich zu beherrschen und schnell zur inneren Ruhe zurückzukommen. Das ist eine der Kernkompetenzen eines Simultandolmetschers.
Sie erleben als Dolmetscher viele Verhandlungen. Einige Gespräche waren wichtige Augenblicke für die Volksrepublik China und die Bundesrepublik Deutschland. Wie bewerten Sie als Beobachter das Verhältnis zwischen den beiden Ländern?
Die Beziehungen zwischen der Volksrepublik China und der Bundesrepublik Deutschland haben ein sehr hohes Niveau erreicht. Als ich mit dem Dolmetschen anfing, gab es noch nicht so viele Kontakte zwischen China und Deutschland zumindest nicht so vielfältig. Aber inzwischen haben wir so eine Palette von Kontakten, von Beziehungen. Und diese Beziehungen werden nicht allein von der Politik und von der Wirtschaft getragen, sondern auch von der Zivilgesellschaft.
Das in deutscher Sprache geführte Interview mit Prof. Wang Jianbin können Sie sich auf der Website von Radio China International, dem staatlichen Auslandsrundfunk der Volksrepublik China, anhören (8:57 Minuten).
[Text: Jessica Antosik. Quelle: Radio China International, 13.09.2012. Bild: Radio China International.]