Neue Richtervereinigung: „Recht auf faires Verfahren darf nicht unter Finanzierungsvorbehalt stehen“

Neue RichtervereinigungDie Fachgruppe Interkulturelle Kommunikation der Neuen Richtervereinigung (NRV) hat darauf hingewiesen, dass das Recht auf ein faires Verfahren nicht unter einem Finanzierungsvorbehalt stehen dürfe und den Gesetzgeber aufgefordert, die europarechtlich geforderte Qualität von Dolmetschleistungen und Übersetzungen und deren Umfang bundesgesetzlich zu verankern. Nur so könne verhindert werden, dass das von der EU-Richtlinie vorgegebene hohe gesetzliche Schutzniveau für Beschuldigte durch den Einsatz von billigen, aber unqualifizierten Dolmetschern unterlaufen werde.

Nach Auffassung der NRV enthält der vorliegende Gesetzentwurf der Bundesregierung (Gesetz zur Stärkung der Verfahrensrechte von Beschuldigten in Strafverfahren) keine vollständige und zum Teil sogar eine richtlinienwidrige Umsetzung der EU-Richtlinie. So will die Bundesregierung u. a. bei verteidigten Angeklagten gemäß § 187 Abs. 2 Satz 5 GVG-E in der Regel nur eine mündliche Übersetzung oder Zusammenfassung von wesentlichen Unterlagen zulassen. Das widerspreche eindeutig der EU-Richtlinie.

EU-Richtlinie über Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren

Die Richtlinie 2010/64/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Oktober 2010 stellt das Recht von Beschuldigten auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren auf eine neue Grundlage und thematisiert insbesondere die Qualität der Dolmetsch- und Übersetzungsleistung sowie die Übersetzung von Unterlagen, die wesentlich sind, um die Wahrnehmung der Verteidigungsrechte durch den Beschuldigten und das Recht auf ein faires Verfahren zu gewährleisten.

ATICOM: „Stellungnahme der NRV spricht uns aus der Seele“

„Die Stellungnahme der NRV spricht uns aus der Seele“, betont Dragoslava Gradincevic-Savic, stellvertretende Vorsitzende von ATICOM. „Dies zum einen deshalb, weil sich unser Berufsverband im Interesse der Rechtssicherheit und der Allgemeinheit seit vielen Jahren für die Professionalisierung und Qualitätssicherung der Dolmetscher und Übersetzer innerhalb der eigenen Reihen einsetzt. Zum anderen, weil ATICOM seit langem engagiert für die Anerkennung der komplexen und verantwortungsvollen Funktion von Dolmetschern und Übersetzern im Justiz- und Polizeibereich kämpft und im Zuge des Informationsaustauschs immer sehr eng mit den Bedarfsträgern wie Richterschaft und Polizei zusammengearbeitet hat“, so Gradincevic-Savic. „Die EU-Richtlinie 2010/64, die bis Oktober 2013 in nationales deutsches Recht umgesetzt werden muss, stellt die große Verantwortung von Dolmetschern und Übersetzern ganz besonders heraus.“

Verbandsübergreifender Protest gegen geplante Senkung von Übersetzerhonoraren im Justizbereich

Die gebotene Anerkennung der vielschichtigen und verantwortungsvollen Funktion muss sich nach Auffassung von ATICOM auch in einer adäquaten Vergütung der hochqualifizierten Dolmetschern und Übersetzern im Justiz- und Polizeibereich widerspiegeln. Der Gesetzesentwurf der Bundesregierung (2. Kostenrechtsmodernisierungsgesetz – 2. KostRMoG) weist dagegen in eine andere Richtung.

„Die Hoffnungen unseres Berufsstandes, dass der bedeutende Beitrag qualifizierter Übersetzer und Dolmetscher zur Gewährleistung von Kommunikation und somit Rechtssicherheit  im Polizei- und Justizbereich nach vielen Jahren des Stillstandes endlich eine entsprechende leistungsgerechte Vergütung erfährt, wird sich erneut nicht erfüllen, wenn der vorliegende Regierungsentwurf unverändert verabschiedet werden sollte“, so Gradincevic-Savic.

Statt zumindest seit 2004 inflationsausgleichender Erhöhungen sind in dem Gesetzentwurf insbesondere bei den Übersetzern sogar drastische Vergütungskürzungen um bis zu 61,4 Prozent vorgesehen.

Seit Bekanntgabe des Regierungsentwurfs hat ATICOM, auch in Kooperation mit anderen deutschen Übersetzer- und Dolmetscherverbänden, durch ausführliche schriftliche wie mündliche Stellungnahmen auf den unhaltbaren Missstand in dem Gesetzentwurf reagiert und konkrete, der Wirtschaftslage und dem Spargebot entsprechende moderate Forderungen nach Vergütungserhöhungen gestellt.

Darüber hinaus kämpft der Fachverband der Berufsdolmetscher und Berufsübersetzer auch darum, dass die Belange der Dolmetscher und Übersetzer u. a. bei der bevorstehenden 2. Kostenrechtsmodernisierung  endlich die entsprechende Würdigung und Anerkennung durch die Entscheidungsträger bekommen, die aufgrund der Verantwortung und der komplexen Leistung des Berufsstandes, die für die Kommunikation im sensiblen Rechtsbereich unverzichtbar sind, geboten ist.

Sollten die im Entwurf reduzierten Honorarsätze jedoch unverändert in Kraft treten, befürchtet ATICOM, dass qualifizierte, öffentlich bestellte und beeidigte Dolmetscher bzw. ermächtigte Übersetzer künftig den Justizbehörden nicht mehr in ausreichender Zahl zur Verfügung stehen werden. Ohne rechtssichere Übersetzungen kann jedoch keine funktionierende Rechtspflege sichergestellt werden. Damit wäre auch die Einhal-tung der Qualitätskriterien der neuen EU-Richtlinie über das Recht auf Dolmetschleistungen und Übersetzungen in Strafverfahren (2010/64/EU) gefährdet.

Weitere Informationen zum Thema:
Pressemitteilung der Neuen Richtervereinigung

Über ATICOM e. V.
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[Text: Sabine Milowan. Quelle: Pressemitteilung ATICOM, 2013-03-06. Bild: ATICOM.]