Höhere Produktivität durch maschinelle Übersetzung?

Ist die Übersetzungsindustrie dabei, sich selbst überflüssig zu machen? Ein neues Arbeitsmodell macht sich langsam im Produkt- und Leistungssortiment der großen Branchenanbieter breit. Dokumente werden mithilfe intelligenter maschineller Übersetzungssysteme übersetzt und zeitgleich oder nachträglich von Fachübersetzern verbessert. Eine Werbung spricht sogar von „beautifully finished jobs“, was ein bisschen danach klingt, als ob McDonald’s uns mit einem Gourmet-Burger verwöhnen möchte. Die Anbieter versprechen durch dieses Modell eine deutliche Produktivitätssteigerung ohne Qualitätsverlust.

Was kann man in der Alltagspraxis von solchen Modellen erwarten? Sind sie heute eine Lösung für die Mehrheit der Industriebetriebe in Deutschland? Welchen Einfluss haben sie auf die Qualität der Übersetzungen? Werden künftig Übersetzer zu Hilfsarbeitern für schwer erziehbare Maschinen degradiert? Wird diese neue Entwicklung das Preisgefüge der Branche ändern? Diese Fragen möchten wir hier versuchen zu beantworten.

Intelligente Produktionsprozesse entwickeln

Dass man sparen und intelligente Produktionsprozesse entwickeln soll, stellen die wenigsten in Frage. In den letzten Jahren haben sich die Anforderungen an Unternehmen massiv geändert: Mehr Dokumentation, mehr Sprachen, kürzere Entwicklungszyklen, modulare Produktentwicklung usw. Das wäre mit althergebrachten Produktionsmethoden gar nicht zu bewältigen. Es gibt keine fundierten und zuverlässigen Zahlen über die Kosten der Dokumentation in Unternehmen, denn diese Kosten verschwinden im Rechnungswesen auf sehr unterschiedliche Positionen. Es ist aber realistisch anzunehmen, dass etwa 1-3% des Umsatzes eines Unternehmens (je nach Branche) in die Erstellung dieser Dokumentation geht. Alles, was diese Prozesse optimiert, hat also einen direkten Einfluss auf das Betriebsergebnis.

Technische Dokumentation modular erstellen

Die meisten Unternehmen gehen dazu über, ihre technische Dokumentation modular zu erstellen und zu verwalten. Ein Redaktionssystem speichert vordefinierte Informationseinheiten und kombiniert sie nach Bedarf, um neue Dokumente zu generieren. Nur das, was komplett neu ist bzw. angepasst werden soll, wird bearbeitet und an den Übersetzer geschickt.

Wer regelmäßig Informationsblöcke zum Übersetzen oder ein so angefertigtes Dokument erhält, erkennt einige Schwachstellen dieses Verfahrens. Eine betrifft die Terminologie und den Satzbau. Ohne kontrollierte Sprache wird der Leser/Übersetzer mit unterschiedlichen Schreibweisen, Fachtermini und Satzkonstruktionen konfrontiert. Der Übersetzer wird sie möglicherweise in die Fremdsprache übertragen oder sogar verstärken.

Ein anderer Schwachpunkt betrifft den Informationsgehalt, denn der Autor des ursprünglichen Moduls weiß in der Regel nicht, wie und wo dieses Modul ein Jahr später wieder eingesetzt wird. Das kann dazu führen, dass der Bediener einer Maschine auf einmal Informationen oder Anweisungen erhält, die zu seiner Maschine gar nicht passen. Wer dabei nicht mitdenkt, wird Bedienfehler machen. Es hilft eigentlich nur eine gründliche inhaltliche Qualitätskontrolle des Endergebnisses.

Translation-Memory-Systeme

Was geschieht auf der Übersetzungsseite? Translation-Memory-Systeme (TMS) verwalten Satzpaare (Ausgangssprache – Zielsprache) in einer Datenbank und bieten sie dem Übersetzer zur Wiederverwendung an. Es gibt hier zwar Ähnlichkeiten mit Redaktionssystemen, aber ein wichtiger Unterschied liegt in der Größe der verwalteten Einheiten. Beim TMS ist es i.d.R. ein einzelner Satz. Und ohne Zusammenhang kann dieser Satz schnell missverstanden werden.

Leistungsfähigere maschinelle Übersetzungssysteme 

Seit einigen Jahren haben maschinelle Übersetzungssysteme (MÜ-Systeme) dank statistischer Verfahren, optimierter Regeln und leistungsfähigerer Prozessoren große Fortschritte gemacht. Ohne allzu sehr in die Details zu gehen, liegt der Schlüssel zu besseren Ergebnissen in statistischen Verfahren und im Trainieren dieser Systeme mit großen Datenmengen.

Durch die besseren Ergebnisse der letzten Jahre ist die Hemmschwelle für den Einsatz von MÜ niedriger geworden. MÜ ist im Grunde bereits bei vielen Übersetzern angekommen, die bei geeigneten Texten und Sprachen Vorschläge von MÜ in Verbindung mit ihrem TMS benutzen, um so schneller zu übersetzen. Eine aktuelle Umfrage der Übersetzerplattform Proz.com zeigt, dass 37% der befragten Übersetzer MÜ als Hilfe verwenden. Ein Übersetzer kommentiert das Thema so:
„I was a vehement opponent of machine translation but since recently I find Google translate quite helpful particularly for various ISO QMS and legal texts“.

Heißt es nun, dass diese Arbeitsweise auf Firmenebene überall zu empfehlen ist und dass sie keinen Einfluss auf die Qualität hat? Das hängt zuerst einmal davon ab, ob dieser Einsatz für den internen Gebrauch (z. B. übersetzen von Support-Anfragen) oder als Mittel zur Erstellung druckfertiger technischer Dokumentationen gedacht ist.

Produktivitätssteigerung, aber zusätzliche Kosten

Eine Produktivitätssteigerung durch MÜ muss zusätzlich die Kosten für die Anschaffung, die Einrichtung und die Pflege von MÜ-Systemen amortisieren, die sich in relativ hohen mehrstelligen Bereichen bewegen. Ein Übersetzer hat heute im Schnitt nicht einmal 2 Minuten Zeit, um einen komplett neuen Satz ohne Treffer aus dem Translation Memory zu übersetzen. Das ist wenig, wenn man bedenkt, dass die Terminologierecherche für ein Fachwort manchmal bis zu einer halben Stunde benötigt. Diese zwei Minuten sind die Messlatte, die MÜ-Systeme deutlich übertreffen sollen.

Eine Verdoppelung der Produktivität bezogen auf diese neuen Sätze wäre nur dann zu erreichen, wenn der Übersetzer nicht mehr als 1 Minute für die Überprüfung und Übernahme des Maschinenvorschlags benötigte. Dazu sollten de facto diese MÜ-Vorschläge annähernd so gut sein wie die durch Menschen produzierten Übersetzungen. Nach dem heutigen Stand der Technik ist das nicht der Fall. Wer sich davon überzeugen möchte, kann einige bereits übersetzte Texte bei maschinellen Übersetzungsportalen wie http://itranslate4.eu übersetzen lassen und die Ergebnisse vergleichen.

Kontrollierte Sprache und standardisierte Terminologie unabdingbar

Für den Erfolg von MÜ braucht man Texte in kontrollierter Sprache und eine hinterlegte Fachterminologie. Ferner muss das MÜ-System entsprechend trainiert sein, was auch viel Zeit kostet. Dabei sind die Ergebnisse sprachabhängig. Manche Sprachkombinationen bringen bessere Resultate.

Was die Qualität betrifft, ist eine gewisse Dosis Skepsis angebracht. Ein Hamburger bleibt ein Hamburger und ein Gourmet-Essen bleibt ein Gourmet-Essen, auch wenn beide den Menschen ernähren. Aufgrund des bereits vorhandenen starken Preisdrucks hat der Übersetzer wenig Zeit, um maschinelle Vorschläge zu überarbeiten. So kommt es vor, dass ein gut klingender Sinnfehler zu schnell bestätigt wird.

Hinsichtlich des Stils wird der Übersetzer meistens den Vorschlag unverändert lassen, wenn er grammatikalisch korrekt ist. Wörtliche Übersetzungen oder holprige Satzkonstruktionen werden dadurch ihren Weg in Translation Memories finden. Für künftige Projekte erhalten sie das Gütesiegel „geprüft durch Humanübersetzer“ (oder „beautifully finished“), auch wenn ein erfahrener Übersetzer einen solchen Satz sonst nie so produzieren würde.

Was bedeutet das für den Übersetzer?

Für den Übersetzer heißt es, dass neue Übersetzungsprozesse zunehmend sein Berufsbild verändern. Das Postediting maschineller Übersetzungen nimmt bei Aufträgen langsam an Bedeutung zu. Die maschinellen Übersetzungskomponenten in TMS werden besser und unterstützen Übersetzer mit wachsendem Erfolg bei der Arbeit. Preislich wird sich der Druck wohl in Grenzen halten, weil der Anpassungsprozess bereits im Gange ist und neue Leistungen und Qualifikationen wie das Postediting damit verbunden sind.

Hohe Investitionen und hoher Schulungsaufwand – für wen lohnt sich das?

Angesichts der Anforderungen an die Dokumentation, der hohen Investitionen und des Trainingsaufwands beschränken sich vorerst MÜ-Lösungen auf eine kleine Zahl großer Unternehmen. Kleine und mittelständische Betriebe können trotzdem ihre Übersetzungsproduktion optimieren, indem sie ihre Texte kontrolliert schreiben und ihre Terminologie standardisieren.

[Text: D.O.G. news. Quelle: D.O.G. news, 03/2013, Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Dr. François Massion. Bild: BeTa-Artworks/Fotolia.com.]