Jürgen Trabant: „Ganze Wissensbibliotheken verschwinden in der exklusiven Anglophonie“

Englisch lernen
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„Was hat es für Auswirkungen, wenn auf deutschen Bürofluren nur noch das Englische dominiert?“, fragt sich die Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung am 10. Mai 2014, die zu diesem Thema ein Gespräch mit dem Sprachwissenschaftler Jürgen Trabant (71) geführt hat.

An Anglizismen störe er sich nicht, so der ehemalige Professor für Romanische Philologie in Berlin. Das nerve zwar manchmal, aber darunter leide nicht die deutsche Sprache. Wenn in einem Unternehmen Englisch als Firmensprache eingeführt werde, ändere sich allerdings das Denken und Verhalten:

Zumindest die Führungskräfte übernehmen mit der Sprache auch einen ganzen Lebensstil. Sie schicken ihre Kinder auf eine englischsprachige Kita, Schule, Universität. Da muss sich eine Gesellschaft die Frage stellen, ob sie ihre ökonomischen Eliten einfach auswandern lässt. Es ist schon ein Problem, wenn sich eine ganze Gruppe von Menschen in eine andere sprachliche und kulturelle Welt flüchtet – wie die Aristokratie des 18. Jahrhunderts ins Französische. […] Was nicht bedeutet, dass die Eliten nicht mehrsprachig sein sollen. In Deutschland waren sie es immer. Und es ist auch gut, wenn viele Menschen mehrsprachig sind.

Trabant kritisiert, dass an den öffentlichen Schulen in Amerika und England der Fremdsprachenunterricht so gut wie abgeschafft sei:

Dieser sprachliche Provinzialismus gefährdet das Denken. Als die Amerikaner aus dem Irak abzogen, sagte Präsident George W. Bush: Dann schicken wir die Übersetzer nach Afghanistan. Er wusste offensichtlich nicht, dass in Afghanistan kein Arabisch gesprochen wird!

Hier irrt Trabant allerdings, denn dieser Lapsus mit Arabisch und Afghanistan unterlief nicht George W. Bush, sondern Barack Obama im Wahlkampf 2008. UEPO.de hat das damals sauber dokumentiert:

Jürgen Trabant hat die letzten fünf Jahre an einer englischsprachigen Hochschule in Deutschland unterrichtet. Dabei habe er gemerkt:

Alles, was ich in meinem Forscherleben getan habe, kommt in der abgeschlossenen Anglo-Welt nicht vor. Aus anderen Sprachen wird nichts wahrgenommen und nur wenig ins Englische übersetzt, und wenn, dann müssen es die anderen selbst bezahlen. Ganze Bibliotheken von Wissen verschwinden auf Nimmerwiedersehen in der exklusiven Anglophonie.

Trabant weist darauf hin, dass die Vorherrschaft des Englischen auch ein Wirtschaftsfaktor sei. In England gingen bis zu 20 Prozent der Wirtschaftsleistung auf den Englischunterricht für Ausländer zurück. Der belgische Sozialphilosoph Philipp Van Parijs habe ausgerechnet, dass die nichtanglophone Menschheit jedes Jahr 300 Milliarden Euro allein fürs Englischlernen ausgebe.

Richard Schneider