Berufseinstieg: Warum es keine gute Idee ist, als Übersetzer für die Kleinunternehmerregelung zu optieren

Daumen runterÜbersetzern und Dolmetschern, die nach dem Studium beginnen, freiberuflich zu arbeiten, wird von Steuerberatern und Kollegen oft empfohlen, die so genannte Kleinunternehmerregelung in Anspruch zu nehmen.

Nach dieser können Selbstständige darauf verzichten, in ihren Rechnungen Umsatzsteuer (umgangssprachlich „Mehrwertsteuer“) zu erheben, wenn ihr Bruttoumsatz (also einschließlich USt.) im vorangegangenen Kalenderjahr 17.500 Euro nicht überstiegen hat und im laufenden Kalenderjahr 50.000 Euro voraussichtlich nicht überschreitet.

Das klingt für Berufseinsteiger zunächst einmal verlockend. Sie denken sich: „In den ersten Jahren habe ich sicherlich weniger als 50.000 Euro Einnahmen pro Jahr. Wenn ich dann keine Mehrwertsteuer berechnen muss, werde ich für meine Kunden preiswerter und kann mich leichter auf dem Markt etablieren.“ Dies ist jedoch ein Trugschluss.

Erfahrene Übersetzer warnen in Online-Foren junge Kollegen immer wieder ausdrücklich davor, die Kleinunternehmerregelung in Anspruch zu nehmen, weil dies mehr Nachteile als Vorteile mit sich bringt.

Einziger Vorteil: Für Privatkunden wird man billiger

Für Privatkunden ist ein Übersetzer, der auf seinen Rechnungsbetrag nicht noch 19 % Umsatzsteuer aufschlägt, billiger als die Konkurrenz. Das ist bei Privatkunden, die Übersetzungen aus eigener Tasche bezahlen müssen und oft nicht von der Steuer absetzen können, durchaus ein schlagkräftiges Argument.

Aber: Privatkunden geben ausschließlich Kurztexte in Auftrag. Dabei handelt es sich praktisch immer um Urkunden, die beglaubigt werden müssen. Die meisten Berufseinsteiger sind aber noch gar nicht gerichtlich vereidigt.

Außerdem werden Berufseinsteiger von Privatkunden meist nicht gefunden, weil sie in ihrer Region noch nicht bekannt sind, keinen Eintrag in den Gelben Seiten besitzen und bei einer Google-Suche nicht auf der ersten Seite auftauchen.

Privatkunden laufen in der Regel zu den großen Übersetzungsbüros, die ein Ladengeschäft in der Innenstadt betreiben und sowohl in den Gelben Seiten als auch im Internet sofort gefunden werden.

Übersetzungsbüros und Direktkunden ist es egal, ob Umsatzsteuer berechnet wird

Allen Kunden, die selbst Unternehmen sind, ist es jedoch völlig egal, ob ein Übersetzer Umsatzsteuer berechnet. Dies gilt sowohl für die lukrativen Direktkunden als auch für Übersetzungsbüros. Gerade in der Anfangszeit sind Übersetzungsbüros nicht selten die einzigen und wichtigsten Auftraggeber für freiberuflich tätige Übersetzer.

Unternehmen brauchen die Umsatzsteuer, die ein Übersetzer auf seine Rechnung schreibt, grundsätzlich nicht zu bezahlen. Sie ziehen sie von der Umsatzsteuer ab, die sie selbst auf ihren eigenen Rechnungen ausweisen (Vorsteuerabzugsberechtigung). Damit ist ein Umsatzsteuer berechnender Übersetzer für Auftraggeber, die Unternehmer sind, keinen Cent teurer als ein Übersetzer, der die Kleinunternehmer-Regelung in Anspruch nimmt und keine Umsatzsteuer berechnet.

Wenn man sich bei Übersetzungsbüros um Aufträge bewirbt, ist es daher auch nicht sinnvoll, die Umsatzsteuerbefreiung durch die Kleinunternehmerregelung als besonderen Pluspunkt im eigenen Profil herauszustellen. Denn den Büros und Direktkunden ist ist dies egal. Lediglich gegenüber Privatkunden bringt die Kleinunternehmenrregelung Vorteile.

Drei massive Nachteile der Kleinunternehmerregelung

Nachteil 1: Durch eine Umsatzsteuer-freie Rechnung gibt man sich als Anfänger oder Nebenberufler und in jedem Fall als wirtschaftlich „kleines Würstchen“ zu erkennen. Ein klarer Nachteil bei der Selbstvermarktung.

Nachteil 2: Wer selbst keine Mehrwertsteuer berechnet, darf sie auch nicht von den eigenen Ausgaben abziehen. Die Folge: Man muss die in den betriebsbedingten Ausgaben enthaltene Umsatzsteuer – etwa beim Kauf von Computern, Schreibtischen, Bürostühlen, Handys, Visitenkarten, Tintenpatronen oder Druckerpapier – aus eigener Tasche bezahlen.

Alle Übersetzer, die Umsatzsteuer berechnen, können diese Beträge hingegen von der selbst erwirtschafteten und vereinnahmten Umsatzsteuer abziehen und brauchen sie daher nicht zu bezahlen (so genannter „Vorsteuerabzug“). Sie sparen Geld, weil sie letztendlich nur den Nettobetrag ausgeben müssen.

Nachteil 3: In dem Jahr, in dem man die Schwelle von 17.500 Euro überschreitet, kann man in Schwierigkeiten geraten, weil man unter bestimmten Bedingungen auch für das gesamte Vorjahr Mehrwertsteuer abführen muss, obwohl man in diesem keine berechnet und eingenommen hat. Dann muss man die Mehrwertsteuerbeträge aus eigener Tasche nachentrichten.

Zwar gilt im Prinzip, dass man dann, wenn man die Schwelle von 17.500 Euro Jahresumsatz überschreitet, erst im nachfolgenden Jahr umsatzsteuerpflichtig wird – also nicht in dem Jahr, in dem man diese Grenze überschritten hat.

Dies gilt jedoch nicht, wenn man überdurchschnittlich erfolgreich ist und von einem Jahr auf das andere von unter 17.500 auf über 50.000 Euro Einnahmen springt. Bei Akademie.de heißt es dazu etwas blauäugig:

Befürchtungen, dass eine nachträgliche Umsatzsteuerpflicht entsteht, sind in den meisten Fällen völlig unbegründet. Denn § 19 Umsatzsteuergesetz kennt nicht nur die 17.500-Euro-Marke, sondern auch das „großzügigere“ 50.000-Euro-Limit:

„Die […] Umsatzsteuer wird von Unternehmern […] nicht erhoben, wenn der […] Umsatz […] im vorangegangenen Kalenderjahr 17.500 Euro nicht überstiegen hat und im laufenden Kalenderjahr 50.000 Euro voraussichtlich nicht übersteigen wird.“

Mit anderen Worten: Wer seinen Jahresumsatz seriös schätzt und dabei feststellt, dass der umsatzsteuerpflichtige Gesamtumsatz 17.500 Euro voraussichtlich nicht überschritten wird, ist für das laufende Jahr meistens auf der sicheren Seite. Rückwirkend wird die Umsatzsteuer nur dann erhoben, wenn der Jahresumsatz völlig aus dem Ruder läuft und über 50.000 Euro liegt.

http://www.akademie.de/wissen/kleinunternehmer-umsatzgrenze

Gefahr der Steuernachzahlung ist real – Konkrete Fälle sind bekannt

Zwar versucht akademie.de, die Gefahr einer Steuernachzahlung kleinzureden, aber dem Autor dieser Zeilen sind in den letzten Jahren immerhin drei konkrete Fälle unter freien Mitarbeitern bekannt geworden, die für das gesamte Vorjahr die Umsatzsteuer nachentrichten mussten.

Diese haben sich bemüht, bei ihren Auftraggebern noch nachträglich die Mehrwertsteuer für das Vorjahr einzuholen. Die meisten derartigen Fälle dürften unbekannt bleiben, weil es den Betreffenden zu peinlich ist, bei den Auftraggebern betteln zu gehen.

Die betreffenden Kollegen hatten offenbar innerhalb eines Jahres ihren Umsatz mehr als verdoppelt und die 50.000-Euro-Grenze durchstoßen. Deshalb mussten sie dann auch rückwirkend für das Vorjahr die gesamte Mehrwertsteuer nachzahlen.

Das kann eine Summe von bis zu 3.325 Euro ergeben, die man auf einen Schlag entrichten muss – ohne entsprechende Rücklagen zu haben. Übersetzer können in den ersten Berufsjahren keinerlei Rücklagen bilden. Sie sollten dies auch nicht tun, sondern besser alles in die Akquisition und Fortbildung stecken.

Bei englischen Muttersprachlern dürfte die Situation einer Umsatzverdoppelung mit steuerrechtlichen Folgen überdurchschnittlich häufig vorkommen. Normalerweise erreichen diese innerhalb von zwei Jahren eine freiberufliche Vollauslastung, weil seit Jahrzehnten ein nicht behebbarer Mangel an Übersetzern und Dolmetschern mit Englisch als Muttersprache besteht.

All dieser vorprogrammierte Ärger lässt sich vermeiden, wenn man von Anfang an Mehrwertsteuer berechnet.

Fazit: Kleinunternehmerregelung? Nein danke!

Insgesamt betrachtet steht EIN minimaler Vorteil DREI massiven Nachteilen gegenüber.

Die Kleinunternehmerregelung ist nicht für Berufseinsteiger gedacht, sondern für diejenigen, die dauerhaft nur nebenberuflich arbeiten und sich dadurch „etwas dazuverdienen“ möchten. Nur in diesen Fällen ist die Kleinunternehmerregelung sinnvoll und empfehlenswert. Sie vereinfacht die Steuererklärungen, weil die Umsatzsteuervoranmeldungen entfallen.

Alle diejenigen, die sich fest vorgenommen haben, das Übersetzen und Dolmetschen zu ihrem Beruf zu machen und es über lange Jahre und möglicherweise ein Leben lang auszuüben, sollten daher von Anfang an Umsatzsteuer berechnen.

[Text: Richard Schneider. Bild: Denys Kurbatov / Fotolia.]