Die sprachkritische Aktion „Unwort des Jahres“ hat soeben ihre drei Unwörter für das Jahr 2014 präsentiert. In der Pressemitteilung heißt es:
(1) „Lügenpresse“
Das Wort „Lügenpresse“ war bereits im Ersten Weltkrieg ein zentraler Kampfbegriff und diente auch den Nationalsozialisten zur pauschalen Diffamierung unabhängiger Medien. Gerade die Tatsache, dass diese sprachgeschichtliche Aufladung des Ausdrucks einem Großteil derjenigen, die ihn seit dem letzten Jahr als „besorgte Bürger“ skandieren und auf Transparenten tragen, nicht bewusst sein dürfte, macht ihn zu einem besonders perfiden Mittel derjenigen, die ihn gezielt einsetzen.
Dass Mediensprache eines kritischen Blicks bedarf und nicht alles, was in der Presse steht, auch wahr ist, steht außer Zweifel. Mit dem Ausdruck „Lügenpresse“ aber werden Medien pauschal diffamiert, weil sich die große Mehrheit ihrer Vertreter bemüht, der gezielt geschürten Angst vor einer vermeintlichen „Islamisierung des Abendlandes“ eine sachliche Darstellung gesellschaftspolitischer Themen und differenzierte Sichtweisen entgegenzusetzen.
Eine solche pauschale Verurteilung verhindert fundierte Medienkritik und leistet somit einen Beitrag zur Gefährdung der für die Demokratie so wichtigen Pressefreiheit, deren akute Bedrohung durch Extremismus gerade in diesen Tagen unübersehbar geworden ist. (Der Ausdruck wurde in dieser Form 7-mal eingesendet.)
„Lügenpresse“ hat auch eine demokratische und linke Tradition – Und wie soll man das Phänomen sonst bezeichnen?
Die Jury übersieht, dass der Ausdruck „Lügenpresse“ auch eine demokratische Tradition hat, die gar nicht so weit zurückliegt. Die Bürgerrechtsbewegung von 1989 belegte die gleichgeschalteten Systemmedien der DDR mit dieser Bezeichnung.
Und schon Ende der 1970er Jahre recherchierte der Enthüllungsjournalist Günter Wallraff verdeckt bei der Bild-Zeitung und veröffentlichte mehrere Bücher zu deren Arbeitsmethoden. Sein Fazit: „Bild lügt!“ Dass dies auch von der Allgemeinheit so gesehen wurde, zeigte ein Test, bei dem er an verschiedenen Kiosken „Einmal das Lügenblatt bitte!“ verlangte und ohne weitere Rückfrage der Händler stets die Bild-Zeitung ausgehändigt bekam. In dieselbe Zeit (1980) fällt auch die „Lügenblatt“-Aktion des linken Grafikers Klaus Staeck.
Leider gibt die Unwort-Jury keine Empfehlung für eine politisch korrekte Bezeichnung für den allgemein seit Jahren zu beobachtenden Verfall journalistischer Standards. Die früher übliche Trennung von Bericht und Kommentar wurde schon länger aufgegeben, statt Informationen werden überwiegend Meinungen verbreitet.
Gerade in Sachen PEGIDA ist das manipulative Agitieren der Medien für jedermann offensichtlich und tagtäglich zu beobachten. Deutlich wurde es auch im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg in der Ukraine und der Kritik an Russland, die man durchaus auch als „Kriegshetze“ bezeichnen könnte.
Von einer „sachlichen Darstellung gesellschaftspolitischer Themen“ und dem Präsentieren „differenzierter Sichtweisen“ haben sich nicht nur die Boulevard-Zeitungen, sondern auch die überregionalen Tages- und Wochenzeitungen und die öffentlich-rechtlichen Rundfunk- und Fernsehsender, die sich gerne als „Qualitätsmedien“ verstehen, so weit entfernt, dass sie für viele unglaubwürdig geworden sind.
Stattdessen grassiert in Politik und Medien unverkennbar ein Trend zur Einheitsmeinung, verbunden mit der Diffamierung aller Andersdenkenden. (Mit der Kür des Wortes „Russland-Versteher“ zum Unwort hat die Jury das durchaus richtig erkannt.)
(2) „Erweiterte Verhörmethoden“
Aktuell geworden durch den CIA Bericht 2014, hat sich der Begriff „erweiterte Verhörmethoden“ in der Berichterstattung zu einem dramatisch verharmlosenden Terminus Technicus entwickelt. Der Ausdruck ist ein Euphemismus, der unmenschliches Handeln, nämlich Folter, legitimieren soll. Auch wenn er in deutschen Medientexten in distanzierenden Anführungszeichen steht, dient er letztlich dazu, das in seiner Bedeutung sehr klare Wort „Folter“ zu umgehen. Dass man sich die Sprache der Täter mit dieser Übernahme zu eigen macht und damit akzeptiert, ist bedauerlich. (Der Ausdruck wurde in dieser Form 5-mal eingesendet.)
(3) „Russland-Versteher“
Zum Unwort wird dieser in der aktuellen außenpolitischen Debatte gebrauchte Ausdruck vor allem, weil er das positive Wort „verstehen“ diffamierend verwendet (und zwar ohne die Ironie, wie sie beispielsweise hinter der analogen Bildung des „Frauen-Verstehers“ steht).
Wie Erhard Eppler im in seinem kritischen Essay „Wir reaktionären Versteher“ (Spiegel 18/2014 vom 28.04.2014) darlegt, sollte das Bemühen, fremde Gesellschaften und Kulturen zu verstehen, Grundlage einer jeden Außenpolitik sein, weil die Alternative nur Hass sein kann. Eine fremde Perspektive zu verstehen, bedeutet keinesfalls, damit zugleich Verständnis für daraus resultierende (politische) Handlungen zu haben.
Andere polemisierend als „Versteher“ zu kritisieren, ist damit unsachlich und kann die inhaltliche Diskussion nicht ersetzen. Ein ganzes Volk zudem pauschal für eine politische Richtung haftbar zu machen und es mit dem Ausdruck „Putin-Versteher“ auf einen Autokraten zu reduzieren, zeugt von mangelnder Sprachreflexion oder aber gezielter Diffamierung. (Der Ausdruck wurde in dieser Form 6-mal eingesendet.)
Unwort-Statistik 2014
Für das Jahr 2014 wurden 733 verschiedene Wörter eingeschickt. Die Jury erhielt insgesamt 1246 Einsendungen. Die häufigsten Einsendungen (je über 10 Einsendungen), die den Kriterien der Jury entsprechen, waren Putin-Versteher / Russland-Versteher (zusammen 60-mal), PEGIDA / Patriotische Europäer gegen Islamisierung des Abendlandes (44-mal), Social Freezing (29-mal), tierische Veredelung / Veredelungsindustrie / Veredelungswirtschaft (in allen Varianten zusammen 25-mal) und Gutmensch / Gutmenschentum (zusammen 15-mal).
Die Jury
Die sprachkritische Aktion „Unwort des Jahres“ besteht aus sechs Personen: vier linken Professoren und einem linken Journalisten, die sich alljährlich einen Gastjuror einladen, der ebenfalls ihrer Meinung ist. Dieses Jahr entschieden sie sich für die WDR-Journalistin Christine Westermann, die durch die Fernsehsendung „Zimmer frei“ bekannt geworden ist.
Die Aktionsgruppe hat sich vor Jahren im Streit von der Gesellschaft für deutsche Sprache (GfdS) abgespalten, die zuvor neben den nach wie vor von ihr gekürten „Wörtern des Jahres“ stets auch ein „Unwort“ benannte.
Ständige Mitglieder der Jury sind die vier Sprachwissenschaftler Prof. Dr. Nina Janich/TU Darmstadt (Sprecherin), PD Dr. Kersten Sven Roth (Universität Düsseldorf), Prof. Dr. Jürgen Schiewe (Universität Greifswald) und Prof. Dr. Martin Wengeler (Universität Trier) sowie der Autor und Journalist Stephan Hebel (1986-2011 Frankfurter Rundschau).
Weiterführende Links
- „Professor Unwort und sein Wächterrat“ (Stern.de-Artikel, der sich kritisch mit der Unwort-Aktion auseinandersetzt)
- www.unwortdesjahres.net (Website der sprachkritischen Aktion „Unwort des Jahres“)
[Text: Sprachkritische Aktion Unwort des Jahres, ergänzt von Richard Schneider. Quelle: Pressemitteilung Unwort des Jahres. Bild: Unwort des Jahres.]