Bei der Bewältigung der gegenwärtigen Flüchtlingsflut kommt Dolmetschern eine Schlüsselfunktion zu. Ohne eine sprachliche Verständigung ist weder eine Aufnahme und Betreuung der illegalen Einwanderer noch eine spätere Abschiebung möglich.
Praktisch niemand der für das Jahr 2015 erwarteten 800.000 Menschen besitzt Deutschkenntnisse. Allerdings sind in der jetzt nach Deutschland auswandernden syrischen Oberschicht ausbaufähige Englischkenntnisse vorhanden.
Den mehr als 12.200 deutschen Städten und Gemeinden wird nun im Verhältnis zu ihrer Größe ein Anteil der Flüchtlinge zwangsweise zugewiesen. Städte und Gemeinden sind fieberhaft bemüht, so genannte Dolmetscherpools einzurichten, in denen Laiendolmetscher bei der Kommunikation helfen sollen.
Bei den dort helfenden Sprachmittlern handelt es sich in der Regel selbst um Einwanderer der ersten oder zweiten Generation, die die Situation der Neuankömmlinge aus eigener Erfahrung kennen.
Keine Bezahlung – Aufwandsentschädigung zwischen 1,05 und 12,00 Euro pro Stunde
Diese Dolmetscher arbeiten in der Regel ehrenamtlich, also ohne jegliche Bezahlung. Es gibt Gemeinden, die Aufwandsentschädigungen zahlen, die zwischen 1,05 und 12,00 Euro pro Stunde liegen.
Gelegentlich werden auch Pauschalbeträge pro Einsatz gezahlt – unabhängig von dessen Dauer. In Lörrach sind dies zum Beispiel 12,00 Euro für Einsätze von meist eineinhalb Stunden Dauer.
Laiendolmetscher keine Konkurrenz für Berufsdolmetscher
Mirjana Šimić, Integrationsbeauftragte des Landkreises Ebersberg in Oberbayern, legt Wert auf die folgende Feststellung: „Es geht hier natürlich nicht um die Tätigkeit der professionellen, amtlichen Dolmetscher. Die müssen davon leben und sind überdies auch ziemlich gut ausgebucht. Wir wollen für unser Netzwerk Menschen, die mehrere oder ausgefallene Sprachen beherrschen, und diese Fähigkeit gerne zum Allgemeinwohl einsetzen möchten. Neben den Gelegenheiten, in denen von Amts wegen ein Dolmetscher bestellt wird, also vor Gericht oder bei wichtigen behördlichen Vorgängen, gibt es zahllose Alltagssituationen, bei denen eine Übersetzung sehr hilfreich ist. Sei es bei uns im Landratsamt, beim Arzt, bei Konflikten in den Unterkünften oder bei der Anmeldung in der Kita.“
Praxisbeispiele: Dolmetscherpools in der Provinz
- Ebersberg (Oberbayern), 11.400 Einwohner: Dolmetscherpool mit 25 Helfern im Aufbau
Die Integrationsbeauftragte Mirjana Šimić erklärt: „Momentan haben wir eine Handvoll Übersetzer für Arabisch und Tigrinya, die wir oft einsetzen. Dazu kommen etwa 20 Ehrenamtliche für andere Sprachen. Aber grundsätzlich sind wir immer noch im Aufbau, vor allem am Sammeln und Erfassen.“
Ebersberg plant die Gewährung von Aufwandsentschädigungen, um zum Beispiel Fahrt- und Sachkosten abgelten zu können. Asylbewerber, die selbst als Dolmetscher fungieren, erhalten zurzeit 1,05 Euro pro Stunde. „Fahrtkosten entstehen ihnen aber keine, weil wir sie immer abholen, zum Einsatzort bringen und wieder zurückfahren“, so Šimić.
- Ehingen (Baden-Württemberg), 24.000 Einwohner: Laiendolmetscher werden geschult
Anfang 2015 hat die „Lokale Agenda“ damit begonnen, einen ehrenamtlichen Dolmetscherdienst für Behördengänge und Elternabende einzurichten. Dabei gehe es ausschließlich um das Dolmetschen in „ganz normalen Alltagsfragen“, also etwa beim Landratsamt, im Jobcenter, in Schulen und in Kindergärten.
Fälle vor Gericht oder das Dolmetschen beim Arzt bleiben den professionellen Dolmetschern überlassen. Vor ihrem ersten Einsatz werden alle ehrenamtlichen Dolmetscher geschult.
- Offenburg (Baden-Württemberg), 57.000 Einwohner: Diakonisches Werk betreibt Dolmetscherpool
Das Diakonische Werk Offenburg, eine Einrichtung der evangelischen Kirche, hat 2006 das Projekt „Dolmetscher-Pool“ gestartet. 24 ehrenamtliche Dolmetscher, die 17 Sprachen sprechen, helfen derzeit bei der sprachlichen Bewältigung von Alltagsproblemen.
Der Bedarf an Dolmetschern wird nach Angaben des Diakonischen Werks immer größer. 2011 hätten noch neun Dolmetscher 37 Einsätze durchgeführt, 2014 seien es bei 24 Dolmetschern 61 Einsätze gewesen.
- Regensburg (Bayern), 140.000 Einwohner: Integrationsstelle betreibt Dolmetscherpool
Eine Abteilung der städtischen Integrationsstelle betreibt einen Dolmetscherpool mit mehr als 60 ehrenamtlichen Sprachmittlern, die 25 Sprachen abdecken können. Sie leisten bei Behördengängen, Arztbesuchen und auch beim Einkaufen im Supermarkt Hilfe.
- Münsingen (Baden-Württemberg), 14.000 Einwohner: Dolmetscherakkreditierung beim Landratsamt
Wer sich als ehrenamtlicher Dolmetscher engagieren möchte, muss sich beim Landratsamt akkreditieren. Für den kreisweiten Pool freiwilliger Dolmetscher werden Schulungen durch die „Fachstelle für interkulturelle Orientierung“ des Diakonischen Werks Württemberg angeboten. Neben Dolmetschübungen anhand von Fallbeispielen werden die Teilnehmer über die rechtlichen Rahmenbedingungen ihrer Arbeit informiert, zum Beispiel die Schweigepflicht.
Zurzeit können folgende Sprachen abgedeckt werden: Arabisch, Französisch, Polnisch, Russisch, Farsi, Pashto, Dari, Englisch, Rumänisch, Ungarisch, Brasilianisch und Italienisch.
Einsatzorte sind Schulen, Kindergärten, Behörden und Beratungsstellen.
- Siegen (Nordrhein-Westfalen): Universität hat Dolmetscherpool mit 50 Sprachmittlern eingerichtet
An der Universität Siegen wurde eine Notunterkunft eingerichtet. Nach einem Aufruf der Universitätsleitung und des Allgemeinen Studentenausschusses (AStA) haben sich mehr als 50 Freiwillige für den Dolmetscherpool gemeldet. Benötigt werden vor allem verschiedene Dialekte des Arabischen sowie Kurdisch, Türkisch, Albanisch, Serbokroatisch, Rumänisch und verschiedene afrikanische Sprachen.
- Soest (Westfalen), 45.000 Einwohner: Kommunales Integrationszentrum baut Dolmetscherpool auf
Das Kommunale Integrationszentrum ist dabei, einen Dolmetscherpool aufzubauen. Nach einem entsprechenden Aufruf meldeten sich 49 Helfer, die bereit sind, bei alltäglichen Angelegenheiten Gespräche zu übersetzen. Es können 28 Sprachen abgedeckt werden.
- Lahr: Im Mai 2013 wurde ein ehrenamtlicher Dolmetscherpool gestartet. Mittlerweile stehen 24 Dolmetscher zur Verfügung. Folgende Sprachen sind derzeit verfügbar: Albanisch, Arabisch, Englisch, Französisch, Hocharabisch, Italienisch, Kurdisch, Libanesisch, Moldawisch, Polnisch, Russisch, Rumänisch, Spanisch, Syrisch, Tschechisch, Türkisch, Ukrainisch, Ungarisch. Gesucht werden aktuell Dolmetscher für Bulgarisch, Mazedonisch, Serbisch und Vietnamesisch.
- Lörrach: Malte Krieger, Fachbereichsleiter der städtischen Bürgerdienste, ist dabei, einen Dolmetscherpool aufzubauen. Es fehlen noch Sprachen wie Mazedonisch, Bulgarisch oder Vietnamesisch. Pro Einsatz, der maximal 90 Minuten dauern soll, erhalten die Dolmetscher eine Entschädigung von zwölf Euro. Die Kosten werden aus dem Budget der Internationalen Kommission getragen.
- Kleve: Die Caritas, eine Einrichtung der katholischen Kirche, betreibt einen Dolmetscherpool.
- Arnstein: Es gibt einen Dolmetscherpool für zehn verschiedene Sprachen.
- Bad Honnef: Dolmetscherpool für zehn Sprachen.
- Potsdam: Die Arbeiterwohlfahrt (AWO) betreibt einen Dolmetscherpool mit eigener Website (www.refconnect.de).
- Hannover: Das ethnomedizinische Zentrum in Hannover betreibt seit vielen Jahren einen Dolmetscherpool.
- Gronau: Für die Kommunikation mit den Flüchtlingen steht ein Dolmetscher-Pool zur Verfügung, den der städtische Integrationsbeauftragte Ahmed Sezer aufgebaut hat.
- Freiburg: Das Rote Kreuz betreibt einen Dolmetscherpool.
- Überlingen (Bodensee): Es existiert ein Dolmetscherpool mit mehr als 60 Teilnehmern und über 30 Fremdsprachen.
- Arnsberg-Wipperfürth: Die Aktionsgemeinschaft „WippAsyl“ hat einen Dolmetscherpool aufgebaut.
- Schleiz: Die Integrationsbeauftragte des Kreises, Silvia Koberstädt, will einen Dolmetscherpool im Landkreis aufbauen und sucht dafür noch Freiwillige.
Einige Städte sind gut vorbereitet, viele halbwegs, die meisten gar nicht
Diese Liste ließe sich um Dutzende weiterer Beispiele ergänzen. Während größere Städte besser vorbereitet zu sein scheinen, weil sie nicht selten schon seit mehr als 10 Jahren Dolmetscherpools betreiben, beginnt diese Arbeit in den kleineren Gemeinden jetzt erst.
Es fehlt überall an Dolmetschern in den jetzt für Syrer und Eritreer benötigten Sprachen Arabisch, Tigre und Tigrinya.
Berufsverbände mahnen und warnen, helfen aber nicht
Zahlreiche Berufsdolmetscher und -übersetzer engagieren sich persönlich im Rahmen der Flüchtlingshilfe und der Organisation von Dolmetscherpools.
Über konkrete Aktivitäten und Hilfsangebote der Berufsverbände für Übersetzer und Dolmetscher (BDÜ, ATICOM, ADÜ Nord, Universitas usw.) bei der Bewältigung dieser nationalen Aufgabe ist uns allerdings nichts bekannt. (Abgesehen von hilflos wirkenden Spendenaufrufen.)
Denkbar wären Schulungsangebote für die Laiendolmetscher, Leitfäden für die Behörden und Koordinierungshilfen beim Einrichten und Betreiben von Dolmetscherpools.
BDÜ hat bei Dolmetscherpools „gemischte Gefühle“
Noch im März 2015 trat der BDÜ in einer Pressemitteilung mahnend als Bedenkenträger auf:
Der Verband beobachtet deshalb auch mit gemischten Gefühlen, dass viele Gemeinden vermehrt so genannte „Dolmetscherpools“ mit ehrenamtlichen Laiendolmetschern aufbauen.
„Wir verstehen das Anliegen. Doch die Qualität der Verdolmetschung muss sichergestellt sein und die ehrenamtlichen Dolmetscher dürfen nicht in Situationen geraten, in denen die engagierte Hilfe zu einer Überforderung führt“, mahnt [BDÜ-Präsident] Lindemann.
Der Verband ist bemüht, die Pfründe für die eigene Klientel, die studierten und gerichtlich vereidigten Dolmetscher, zu sichern:
[Lindemann:] „Es muss klar sein, dass für bestimmte Situationen nur professionelle Dolmetscher herangezogen werden sollten.“ Dies sei insbesondere im medizinischen und juristischen Bereich der Fall. […]
„Der Einsatz von professionellen Dolmetschern ist für Gespräche jenseits von einfachen Alltagssituationen unverzichtbar. Die Grenzen des Ehrenamts und der Schutz der Helfer vor psychischen Belastungen sind bei der Planung und Kalkulation von Dolmetscherpools zu berücksichtigen.“
[Text: Richard Schneider. Quelle: Tagespresse. Bild: cevahir87 / Fotolia.]