„Für arbeitslose Geisteswissenschaftler ist die Flüchtlingskrise eine Chance: Sie können als Sprachlehrer arbeiten – auch ohne pädagogische Ausbildung. Schlecht bezahlt, aber besser als Hartz IV“, heißt es bei Spiegel Online. Unter der Überschrift „Jobchance Deutschlehrer: Ich Paul, du Mahmud“ porträtiert das Nachrichtenmagazin die Arbeit eines Quereinsteigers.
Gigantischer Bedarf an Deutschlehrern – BA stellt 400 Mio. Euro zur Verfügung
Mehr als eine Million illegale Einwanderer sind 2015 auf Einladung von Angela Merkel nach Deutschland gekommen. 400 Millionen Euro hat die Bundesagentur für Arbeit für „Einstiegskurse zur Sprachförderung“ bereitgestellt. Gleichzeitig wurden die formellen Anforderungen an Lehrkräfte drastisch gesenkt.
Bürokratische Hürden für Lehrkräfte gesenkt
Früher durften nur diejenigen Deutsch als Fremdsprache unterrichten, die eine Zulassung des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF) besaßen. Diese Zulassung wurde nur erteilt, wenn man einen akademischen Abschluss und ein Zusatzstudium „Deutsch als Fremdsprache“ (DaF) oder eine vergleichbare pädagogische Qualifikation nachweisen konnte.
Diese Regeln gelten nicht mehr, weil es auf dem Arbeitsmarkt keine entsprechend qualifizierten Deutsch-Muttersprachler mehr gibt und der Bedarf sonst nicht zu decken wäre.
Jetzt kann „jeder Deutsch-Muttersprachler auch ohne pädagogische Ausbildung an privaten Sprachschulen freiberuflich Deutsch unterrichten“, wie es in dem Artikel heißt.
Der im Text porträtierte früher arbeitslose Slawist (Titel der Masterarbeit: „Das Paradoxon in Sigizmund Krzizanovskijs Prosa“) wurde lediglich in einem einwöchigen Einführungskurs auf seine Aufgabe vorbereitet.
Wie bei Tarzan und Jane: „Ich Paul, du Mahmud.“
Er erzählt, dass man sich ohne pädagogische Ausbildung an den Lehrbüchern orientiere: „Aber ganz am Anfang ist es ein bisschen wie bei Tarzan und Jane. Ich Paul, du Mahmud. Kleine Schritte. Fünf Tage pro Woche, vier Monate lang.“
Erst nach einem solchen Einstiegskurs komme der Anfängerkurs A1. Und erst ab dem Niveau B2 könne man sich einigermaßen in einer Sprache verständigen.
Der Markt für Sprachkurse bei freien Trägern boomt
Das deutsch-türkische Zentrum (dtz) in Berlin-Neukölln gehört zu den vielen freien Trägern, die mit öffentlichen Geldern Deutschunterricht anbieten. Dessen Leiterin erklärt:
„Wir haben wegen der großen Nachfrage kaum Dozenten gefunden“, sagt sie. Jeder zum Sprachkurs angemeldete Flüchtling habe am nächsten Tag drei Freunde mitgebracht. Die Schülerzahlen seien explodiert. Heute gibt es an ihrer Schule 85 Kurse mit je rund 15 Teilnehmern.
Schlecht bezahlt, aber besser als Hartz IV
Die DaF-Lehrer verdienen rund 1.000 Euro netto im Monat. „Schlecht bezahlt, aber immerhin besser als Hartz IV“, scheint die einhellige Meinung unter den Sprachdozenten zu sein.
Der Slawist berichtet, dass er nun zum ersten Mal seit seinem Studium von seiner Arbeit leben könne. Und er fügt hinzu: „Ich fühle mich gebraucht, das ist vielleicht das Wichtigste.“
[Text: Richard Schneider. Quelle: Spiegel Online, 2016-03-13.]