Nach Amoklauf in München: BDÜ und VKD „hoffen“, FIT-Präsident „betet“

VKD, FIT auf Twitter

FIT, VKD und BDÜ twittern im Stil von Politikern

Schon wenige Stunden nach dem Amoklauf eines Deutsch-Iraners in München, bei dem am 22.07.2016 zehn Menschen ums Leben kamen, fühlten sich einige Berufsverbände der Übersetzungsbranche dazu aufgerufen, Solidarität auszusprechen, zu beten und diversen Hoffnungen Ausdruck zu verleihen.

Der FIT-Präsident twitterte über den offiziellen Verbands-Account: „Solidarität von @fit_ift nach @BDUe_eV und nach Deutschland. Mein gebet für die opfer des terroranschlags in #München #Munich“

Der Verband der Konferenzdolmetscher im BDÜ (VKD) zog wenig später nach und versuchte, einen Bezug zum Verband zu konstruieren, indem er verkündete: „Wir hoffen, dass es allen Mitgliedern und ihren Freunden und Familienmitgliedern gut geht! #München #OEZ“

BDÜ Facebook

Am nächsten Morgen, als sich bereits herauskristallisierte, dass es sich nicht um einen Terroranschlag, sondern um einen Amoklauf handelte, verbreitete auch noch der Bundesverband des BDÜ über Twitter und Facebook folgende Meldung:

„Hoffentlich geht es allen Mitgliedern, Kolleginnen und Kollegen sowie ihren Freunden und Familienmitgliedern gut und sie haben den gestrigen Abend ohne körperliche und seelische Schäden überstanden! #München #OEZ“

Warum nicht einfach mal die Klappe halten?

Liebe Berufsverbände der Übersetzungsbranche!

Es ist schon schlimm genug, dass unsere Politiker nach derartigen Vorfällen die ewig gleichen Betroffenheitsfloskeln absondern.

Fachverbände, die mit den Geschehnissen nicht das Geringste zu tun haben und deren Mitglieder und Gremien nicht zum Kreis der Betroffenen gehören, sollten in solchen Fällen einfach gar nichts sagen – auch wenn es schwer fällt.

Denn wo soll das enden, wenn man einmal damit anfängt? Sind die Übersetzerverbände ab jetzt bei jedem Anschlag und Amoklauf „in Gedanken bei den Opfern und deren Angehörigen“, wie es immer so schön heißt? Oder wird nur dann zum Gebet aufgerufen, wenn Deutsche ums Leben gekommen sind? Oder verleiht man nur dann der Hoffnung Ausdruck, dass keine Übersetzer betroffen sind, wenn die Zahl der Opfer (wie in München) zweistellig ist? Wer entscheidet das?

Die zahlenden Mitglieder und die Fachöffentlichkeit erwarten, dass ihr euch um die Belange der Berufsgruppe kümmert – und zwar ausschließlich darum.

Politisieren könnt ihr gerne in eurer Freizeit. Über eure privaten Twitter- und Facebook-Profile dürft ihr euch nach Herzenslust an dem Geschwätz in den Sozialen Medien beteiligen und zur allgemeinen Panikmache beitragen.

Über die offiziellen Kommunikationskanäle der Berufsverbände sollten aber nur Meldungen verbreitet werden, die etwas mit der Übersetzungsbranche zu tun haben.

Aufgaben und Ziele des BDÜ

Hier zur Erinnerung noch einmal eure eigentlichen Aufgaben und Ziele:

Ziele und Aufgaben des BDÜ
Auf seiner Website beschreibt der BDÜ die Ziele und Aufgaben des Berufsverbandes. Ansprachen an die Bevölkerung nach Terroranschlägen und Amokläufen gehören nicht dazu.

Nachtrag: Seit Reutlingen und Ansbach herrscht Funkstille

Innerhalb weniger Tage nach dem Amoklauf von München haben sich ähnliche Wahnsinnstaten in Reutlingen und Ansbach ereignet. Die Übersetzerverbände widerstanden der Versuchung, erneut inhaltsleere Betroffenheits-Textbausteine über die Sozialen Medien zu verbreiten. Danke! Ihr seid also durchaus lernfähig. Hoffentlich bleibt ihr auch bei allen künftigen Anschlägen dieser Linie treu.

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[Text: Richard Schneider. Quelle: FIT, VKD, BDÜ.]